Ein Zeitdokument aus Litauen
„Aber der Himmel – grandios“ – Dalia Grinkevičiūtė in der Hölle
Am 14. Juni 1941 wird die 14-jährige Dalia Grinkevičiūtė mit Mutter und Bruder und 1500 Litauern von den Sowjetischen Besatzern in die Arktis deportiert. Im Jahre 1944 gibt es eine zweite Deportationswelle, insgesamt werden 130.000 Menschen aus Litauen verschleppt. Noch heute preist das russische Außenministerium diesen Akt der Gewalt, der für viele Menschen den Tod bedeutete, als Befreiung der baltischen Staaten von Nazideutschland.
Grinkevičiūtė überlebte die Verbannung und schaffte es, als 21-jährige zurück nach Litauen zu fliehen, wo sie ihre Erinnerungen aufschrieb und in einem Marmeladenglas auf dem Grundstück ihrer Eltern vergrub. Der KGB war ihr bereits wieder auf den Versen. Die nach ihrem Tod entdeckten Originalaufzeichnungen wurden posthum veröffentlicht und zählen zur litauischen Nationalliteratur, die für jedes Schulkind Pflichtlektüre sind.
Auf weniger als zweihundert Seiten beschreibt Grinkevičiūtė die Deportation, die mehrere Monate lange Reise bis nach Trofimowsk oberhalb des nördlichen Polarkreises, wo die bis dahin nur noch 450 Überlebenden kurz vor der Polarnacht sich ihre Unterkunft selbst errichten sollen. Was folgt, ist so unwirklich wie erschütternd. Dalia Grinkevičiūtė beschrteibt detailreich das Leben im Gulag, das tatsächlich kein Leben, sondern ein einziger Kampf ums Überleben ist.
Das Lesen dieses Buches fiel mir leicht und schwer zugleich. Die Beschreibungen von Dalia Grinkevičiūtė sind so scharf beobachtet und so plastisch, dass ich es bisweilen nicht aushielt und das Buch immer wieder zur Seite legen musste, um kurz darauf doch weiterzulesen. Scheibchenweise folgte ich dem Alltag einer Jugendlichen in der Verbannung. Das Buch hat eine eigene literarische Stimme, die manchmal vergessen lässt, dass es sich hierbei um einen Tatsachenbericht handelt. Lobend muss man die gute Übersetzung ins Deutsche erwähnen. Und doch, die absurden Grausamkeiten des Alltags nötigten mich immer wieder zu Lesepausen.
Grinkevičiūtė überlebte auch die zweite Verbannung 1950 nach Sibirien. Erst 1956 darf sie nach Litauen zurückkehren und arbeitet dort nach ihrem Studium einige Jahre als Ärztin, bevor ihr die Berufserlaubnis 1974 entzogen wird.
Ihre ursprüngliche Aufzeichnung, die sie im Garten vergraben hatte, konnte sie nicht mehr finden. Eine zweite Version ihrer Aufzeichnungen, die sie später verfasste, eine kürzere, kursierten bereits als illegale Abschriften in der Bevölkerung. Am 25. Dezember 1987 stirbt Grinkevičiūtė in ihrer Geburtsstadt Kaunas.
1991 werden die vergrabenen Jugendaufzeichnungen gefunden und veröffentlicht. Ein wichtiges Dokument aus der Zeit der Sowjetischen Besatzung, aber auch ein Werk mit eigener literarischer Sprache. Bitte lesen Sie es, das Buch enthält einige Antworten darauf, wohin extremistische Politik uns heute noch führen könnte.
Aber der Himmel – grandios*
Taschenbuch, 208 Seiten
btb Verlag
9,99 Euro
Schlimme Helena
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