Jeder für sich und doch gemeinsam
Die nordischen Botschaften feiern 20-jähriges Jubiläum
Fünf Länder, ein Botschaftsgelände, ein Felleshus – das sind die Nordischen Botschaften in Berlin. Einzigartig in der Konzeption, preisgekrönt in der Architektur und verbunden mit einem umarmenden Band aus Kupfer.
Norwegen hat Fjorde und Öl, Schweden punktet mit Pippi Langstrumpf und Elchen, Dänemark lebt uns das Wohlgefühl Hygge vor, Island hat einen Minister für Troll-Angelegenheiten und Finnland ist Heimat von Sauna und Weihnachtsmann. Die einen haben Könige, die anderen Präsidenten – die einen sind in der NATO, die anderen in der EU oder in der EFTA organisiert. Fünf Länder mit eigener Geschichte, eigenen Sprachen und Ansichten teilen sich ein Botschaftsgebäude, aber auch viele Gemeinsamkeiten.
Kaum einer weiß, wo die slowenische Botschaft ist, aber jeder Berliner weiß, wo die Nordischen Botschaften zu finden sind; denn es gibt eine gleich lautende Haltestelle der Berliner Verkehrsbetriebe.
Gemeinsame Offenheit und Transparenz
Felleshus bedeutet Gemeinschaftshaus und deutet bereits an, was an der Nordischen Botschaft so besonders ist. Die fünf Länder Dänemark, Island, Schweden, Norwegen und Finnland haben nicht nur ein gemeinsames Botschaftsgelände am südlichen Rand des Tiergartens in Berlin, sie haben den Grund und Boden auch gemeinschaftlich gekauft.
Sie nutzen Felleshus gemeinsam und stellen rund 500 Veranstaltungen im Jahr auf die Beine – ein offenes Haus für Ausstellungen, Lesungen, Vorträge und Konzerte. Ungewöhnlich für diplomatische Vertretungen ist selbst die Kantine der Botschaften, ab 13 Uhr für jeden und jede geöffnet. Hier werden nordische Spezialitäten zu günstigen Preise serviert. Vor kurzem landete sie in den Top 10 der besten Kantinen Deutschlands. Und neuerdings gibt es im ersten Stock auch ein kleines Café.
Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Aufteilung des Geländes: die einzelnen Botschaftsgebäude der Länder sind wie eine Landkarte angeordnet. Ganz im Süden Dänemark, dann Island, im Nordwesten Norwegen, daneben Schweden und östlich davon Finnland. Selbst Nord- und Ostsee finden sich in Form von Wasserbassins zwischen Schweden und Finnland wider.
Keine Kriege mehr
Jeder für sich und doch gemeinsam – das ist das Motto der fünf Länder. Die Idee entstand in den 1950-er Jahren, als der Nordische Rat gegründet wurde. „Wir hatten beschlossen, keine Kriege mehr gegeneinander zu führen“, erzählt Mari Hellsén. Sie kam zunächst zur schwedischen Botschaft, seit 2003 leitet sie Felleshus. „Wir waren wie eine kleine EU und wollten einen gemeinsamen Raum; keinen co-working space, sondern einen echten Gemeinschaftskomplex.“
Wirklichkeit wurde das jedoch erst Jahrzehnte später dank der deutschen Einheit. Die Hauptstadt wurde von Bonn nach Berlin verlegt – diese historische Besonderheit bot den nordischen diplomatischen Vertretungen die seltene Chance auf einen kompletten Neubeginn.
Der Wille allein zählt
Alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen – egal wie groß oder klein das Land, jede Stimme ist gleich viel wert. Das ist vertraglich so festgelegt. Und das bei Ländern, die heute teils in der NATO, teils in der EU, teils in der EFTA organisiert sind. Wie das funktioniert? „Weil wir das wollen. Das ist unser Klebstoff“, sagt Hellsén.
„Die Eröffnung am 20. Oktober 1999 war ein einziger Superlativ, der seinesgleichen sucht“, erzählt Arja Straub, die als Botschaftsmitarbeiterin und heutige persönliche Referentin der finnischen Botschafterin vom ersten Tag an dabei ist.
„Königinnen und Könige aller nordischen Länder und Staatspräsidenten wohnten der Eröffnung bei. Ich war die meiste Zeit beim Abspülen in der Küche, denn wir hatten damals noch nicht genügend Gläser und Tassen für alle“, sagt Arja Straub und lacht.
Das Motto „Jeder für sich und doch gemeinsam“ stammt aus dem Mund der dänischen Königin Margarethe II. bei der Eröffnung 1999.
Ein Haus für alle und ein Haus der Begegnung ist es auch geworden, mit einem starken gemeinsamen Band der fünf Länder, das durch ein umlaufendes Kupferband auch für alle sichtbar ist. Mittlerweile türkis patiniert umarmt es alle Botschaften. „Das ist wie ein lebendiges Band, denn es verändert sich und zeigt das Gefühl der Zusammengehörigkeit auch nach außen hin“, sagt Hellsén.
„Wir sind keine Teenager mehr“
Das ganz junge, österreichisch-finnische Architektenduo Alfred Berger und Tiina Parkkinen entwarf den Komplex und das Felleshus. Die einzelnen Botschaftsgebäude wurden national ausgeschrieben, um so die Souveränität zu unterstreichen.
„Allerdings wurde das Botschaftsgebäude nicht rechtzeitig zur Eröffnung fertig“, erzählt Straub. „Noch monatelang saßen wir zwischen Baugerüsten und das Arbeiten war ziemlich anstrengend.“
Die Mühe hat sich wohl gelohnt, etliche Architekturpreise folgten – Sichtbeton war damals eine kleine Sensation und die Schlichtheit aus Stahl und Glas neu. Natürlich verfügt die finnische Botschaft auch über zwei Saunen.
Highlights in den vergangenen 20 Jahren waren Tage der Offenen Tür, Straub und Hellsén erinnern sich auch noch gut an die Ausstellung der zeitgenössischen Sami Kunst und die Marimekko-Ausstellung, als lange, bunt bedruckte Stoffbahnen von der Decke bis zum Boden des mehrstöckigen Eingangsbereiches hingen.
„Jetzt sind wir keine Teenager mehr,“ sagt Hellsén. 20 Jahre habe man nun Zeit gehabt, sich auszuprobieren und auch verrückte Sachen zu machen. Sie ist froh, dass sich fünf Länder finanziell am Felleshus beteiligen, denn auf diese Art und Weise könnten sie viel mehr auf die Beine stellen als andere Botschaften für sich allein.
Voneinander lernen und auf Veränderungen reagieren
Die Mitarbeiter loben den direkten Kontakt und den permanenten Austausch. Man lerne voneinander und Solidarität sei kein Fremdwort. Die Sprachen wechseln fliegend, je nachdem, welche Gruppe gerade zusammensitzt.
Dass Straub schon so lange dabei ist, sei ein großes Plus für alle neuen Mitarbeiter. Alles Wichtige geht über ihren Schreibtisch und durch ihre Hände; ihre Aufgabe ist es, dass die Botschafterin Anne Sipiläinen jederzeit gut vorbereitet ist, die erst seit Juni das Amt innehat. In den ersten drei Monaten habe sie bereits 25 Reisen absolviert.
Die Arbeit selbst hat sich in den vergangenen 20 Jahren stark verändert, bestätigt Straub. Die Repräsentationspflichten hätten zugenommen, die Sozialen Medien sind dazu gekommen, andere Dinge von der Bildfläche verschwunden. „Vor kurzem fragte jemand nach einem Fax. ich sagte: Gibt es Fax überhaupt noch?“
Auch in den Botschaften entwickle sich vieles mehr und mehr in Richtung Business. Die Exklusivität, die Botschaften noch vor 15 Jahren genossen, seien entdramatisiert worden. Wobei Berlin ein „hartes Pflaster“ sei, denn die Konkurrenz sei groß.
Gefragt sei finnische Erfahrung und Expertise vor allem bei Fragen der Gleichberechtigung, Bildung und des Sozialen.
„Gemeinsam sind wir stark“
Die Zusammenarbeit bewähre sich jedoch auch, wenn es darum ginge, bei deutschen Politikern Gehör zu finden.
„Es ist leichter, für fünf nordische Länder gemeinsam einen Termin zu bekommen“, sagt Straub. Außerdem erhöhe das die Schlagkraft und Durchsetzungsfähigkeit. Das betreffe auch die Kosten: alles wird geteilt, auch die Sorgen. Neben den Nationalfeiertagen – auch der Minderheiten wie Aland, Färöer oder Sami – bekomme man eben auch mit, wenn vor der Botschaft gegen eines der fünf Länder demonstriert werde. Oder wenn die Flaggen auf Halbmast stehen – wie bei dem Anschlag von Utoya. Kompliziert werde das nur, wenn ein Land Nationalfeiertag habe und ein anderes einen Trauertag – dann müssten die Fahnen mal rauf und mal runter.
Ebenso lange wie die Nordischen Botschaften in Berlin existieren, lebt Arja Straub nun schon in der Hauptstadt und habe es keinen einzigen Tag bereut. Die Stadt sei so lebendig, vielseitig und inspirierend. „Wenn ich irgendwann nach Helsinki zurückgehen sollte, muss ich wahrscheinlich vorher einen Kurs machen,“ sagt sie lachend. So vieles habe sich verändert. Gerade in Sachen Digitalisierung sei Helsinki anderen Ländern um einiges voraus.
Aktuelle Ausstellung: OCEAN DWELLERS
Zum Jubiläum zeigen die Nordischen Botschaften die Ausstellung „OCEAN DWELLERS – Meeresbewohner“, die sich mit der Bedeutung des Meeres und insbesondere mit den Folgen des ansteigendes Meeresspiegels auseinandersetzt.
Eine Videoarbeit von Tellervo Kalleinen & Oliver Kochta-Kalleinen aus Finnland zeigt verschiedene Zukunftsszenarien des Archipels vor Turkus Küste. Das Meer kann aber auch sinnlich erfahren werden, über Geruchsverstärkungssysteme im Beitrag der norwegischen Künstlerin Sissel Tolaas, aber auch über VR in einer finnischen Sauna. Klanginstallationen ergänzen die Ausstellung.
Noch bis Ende Januar 2020. Kuratiert von Solvej Helweg.
Felleshus:
Öffnungszeiten: Mo-Fr 10-19 Uhr , Sa-So 11-16 Uhr
Kantine: ab 13 Uhr für die Öffentlichkeit geöffnet
Website: www.nordischebotschaften.org
Text und Fotos: Tarja Prüss