Fast die Hälfte des Filmprogramms von Frauen
Neue Blickwinkel und bewegende Themen: Das Programm der 62. Nordischen Filmtage Lübeck
Zusammen mit Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau und Kurator:innen der Sektionen, stellte die Festivalleitung Linde Fröhlich und Susanne Kasimir vergangene Woche bei der Pressekonferenz in Lübeck das Programm der hybriden 62. Festivalausgabe vor.
Ein Hauptkommissar mit einer Angststörung, ein Song, der ein Lieblingsgericht thematisiert und zum Überraschungshit wird, oder die politische Zukunft der größten Insel der Welt. Das Programm der 62. Nordischen Filmtage Lübeck (04.-08.11.20) konfrontiert Fans des nordischen und baltischen Filmschaffens mit kontroversen, spannenden und manchmal unbequemen Themen. Aber auch Familien, die für einander einstehen, Freundschaften, die kulturelle Grenzen überwinden und vielschichtige Liebesgeschichten begegnen den Festivalgästen.
Von den 160 Filmen, die während der fünf Festivaltage in 224 Vorstellungen präsentiert werden, sind zudem 72 Filme von Filmemacherinnen, darunter sieben der 16 Beiträge im Spielfilmwettbewerb.
Damit sind insgesamt 45 Prozent des Programms von Frauen inszeniert. Neben dem regulären Programm in den Kinosälen Lübecks, stehen erstmals über 130 Filme deutschlandweit via Stream für das Publikum zur Verfügung. Seit diesem Jahr werden 10 Preise im Gesamtwert von 57.500 Euro bei der Preisverleihung am 7. November vergeben.
„2020 ist ein schwieriges Jahr, aber ein starker Jahrgang! Wir freuen uns, dass wir in diesem Herbst ein kulturelles Highlight setzen können mit einem besonders hochkarätigen Programm brandaktueller Filme. Sie erinnern uns daran, dass es neben Covid-19 noch andere Themen und Facetten des Lebens gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt. Sie betonen die Verantwortung jeder einzelnen Person für den Gang der Geschichte und die Bedeutung der Gemeinschaft für die Entwicklung des Individuums. Sie sind sozial aufmerksam und politisch bewusst – und es mitunter sogar etwas zum Lachen gibt!“, so die Künstlerische Leiterin Linde Fröhlich.
16 Filme im Wettbewerb um den begehrten NDR-Filmpreis
Im Mittelpunkt des Festivals steht der Spielfilmwettbewerb mit 16 Filmen, die u.a. in der Auswahl für den NDR-Filmpreis sind, der mit 12.500 Euro dotiert ist. Zehn Wettbewerbsbeiträge werden in deutscher Premiere präsentiert, einer als Europa-Premiere und zwei weitere feiern ihre internationale Premiere.
Dänischer Film eröffnet das Festival
Passend zum Deutsch-Dänischen Freundschaftsjahr 2020 wird „Unser Mann aus Amerika“ von Christina Rosendahl aus Dänemark am 4. November das Festival eröffnen. Hauptdarsteller Ulrich Thomsen verkörpert darin meisterlich den Diplomaten Henrik Kaufmann, dessen Haltung und Widerstand zur Zeit des Zweiten Weltkriegs gewürdigt wird.
Auch die beiden dänischen Filme der „Specials“ Reihe, „Die verfluchten Jahre“ von Anders Refn, der am Beispiel einer Fabrikantenfamilie ein großes Gesellschaftstableau Dänemarks zur Zeit der deutschen Okkupation zeichnet, und Thomas Vinterbergs „Der Rausch“, eine klarsichtige Analyse der „Volksdroge“ Alkohol als Katalysator gesellschaftlicher Spannungen wie als soziales Bindemittel, zählen dazu.
Fokus Familie, Beziehungen und Freundschaften
Im Wettbewerb liegt der Fokus auf Familie, Kindern und Eltern, aber auch Beziehungen, Freundschaften und Gruppenstrukturen finden Beachtung.
In der Tragikomödie „Eine total normale Familie“ erzählt Malou Reyman von einem Familienvater, der sich als transsexuell outet und David Färdmar zeigt in „Are We Lost Forever“ Szenen einer Trennung eines schwulen Paares.
Hippe finnische Mittdreißiger treffen sich in Jenni Toivoniemis Spielfimdebüt „Gesellschaftsspiele“, um Liebesdinge und Karrierepläne miteinander zu teilen, und Charlotte Blom erzählt in ihrer lebensnahen Alltagschronik „Dianas Hochzeit“ humorvoll vom Ehe- und Familienleben in einer norwegischen Reihenhaussiedlung der 1980er und 90er Jahre.
Jonas Selberg Augustsén zeigt in seinem Episodenfilm „Der längste Tag“, gedreht in einer der fünf offiziellen Minderheitssprachen Schwedens, die unterschiedlichsten Facetten menschlichen Lebens an einem Mittsommertag nördlich des Polarkreises.
In „Tiger“ beleuchtet Regisseur Ronnie Sandahl aus Schweden in seinem zweiten Spielfilm die Lebenskrise eines jungen Fußballtalents angesichts des erbitterten Konkurrenzkampfes und des knallharten Geschäftsgebarens im modernen Profi-Fußball.
Eine skurrile Familienfarce bietet „Goldregen“ von Ragnar Bragason (Island/Polen 2020), in der eine Wohlfahrtsempfängerin um die gleichnamige Pflanze und ihren erwachsenen Sohn kämpft – und um das Geld, das sie widerrechtlich für ihn kassiert. Skurril ist auch die Sause von sechs Männern in „Der letzte Angelausflug“. Genüsslich demontieren die isländischen Regisseure Þorkell S. Harðarson und Örn Marinó Arnarson Männerrituale.
Ein politisches Ereignis der jüngeren Vergangenheit Dänemarks greift Ole Christian Madsen in „Pulverfass“ auf, wenn er die Hintergründe der Attentate im Februar 2015 in Kopenhagen aus der Perspektive der Opfer und des Täters beleuchtet.
Maria Sødahls autobiografisch geprägte norwegisch-schwedische Produktion „Hoffnung“ thematisiert den Schock, den eine Krebsdiagnose im Leben einer erfolgreichen Bühnenregisseurin und ihrer Familie auslöst. Auch im Drama „Charter“ (Regie: Amanda Kernell, SE / NO / DK 2020) geht es um eine Mutter im Ausnahmezustand, die kurzerhand ihre beiden Kinder entführt, als der Vater im Scheidungskrieg das alleinige Sorgerecht bekommen soll.
Eine unglückliche Liebesepisode muss in „Helene“ die finnische Malerin Helene Schjerfbeck (1862-1946) verarbeiten – eine finnisch-estnische Produktion von Antti J. Jokinen.
Leben in der Provinz
Um das Leben in der Provinz drehen sich Filme aus Finnland und Lettland: „Der Waldriese“ des Finnen Ville Jankeri handelt von einem erfolgreichen Manager, der vor der Entscheidung steht zwischen beruflichem Aufstieg oder der Solidarität zu seinem Heimatort.
Einfühlsam erzählt Dace Pūce in „Die Grube“ von einem begabten Jungen auf dem Land, der beinahe an der Erwachsenenwelt zerbricht. Und schließlich untersucht Dag Johan Haugerud in „Vorsicht, Kinder!“ den Unfalltod eines Jungen und die Verantwortung der Erwachsenen.
Das Festival als Veranstaltung der Hansestadt Lübeck ist ein jährliches Highlight für alle Fans des nordischen und baltischen Kinos und seit langem eine feste Größe im Veranstaltungskalender Schleswig-Holsteins. Das Filmprogramm wird in zehn Festivalkinos und Sonderspielstätten präsentiert, wie im Schuppen 6, wo Stummfilmkonzerte mit Live-Musik veranstaltet werden, oder im Kolosseum, wo die nordische Buchlounge zur Entspannung zwischen den Filmen einlädt. Hinzu kommen virtuelle oder hybride Veranstaltungsformen im Rahmen der Branchen-Events von „Lübeck Meetings“, wie die Masterclass „Animadok“.
Hinsichtlich der Covid-19 Hygiene- und Schutzmaßnahmen gilt für alle Gäste (ab 6 Jahren) beim Besuch von Kinovorführungen und Veranstaltungen der 62. Nordischen Filmtage Lübeck grundsätzlich Maskenpflicht. Dies gilt für alle Kino- und Veranstaltungsgebäude, inklusive Foyer und in den Toilettenbereichen – auch auf dem Sitzplatz im Kino- bzw. Veranstaltungssaal während der Vorstellung.
Vorverkauf
Der Kartenvorverkauf startet am 1. November um 13 Uhr im CineStar Filmpalast Stadthalle Lübeck.
Das Festival bittet alle Filmtage Fans und Besucher:innen um besondere Rücksichtnahme und Eigenverantwortung.
ap und Nordischen Filmtage Lübeck