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Profitieren Fährgesellschaften perspektivisch von Brexit und Corona?

Interview mit Stena Line: „Reiselust der Menschen weiterhin ungebrochen“

„Eine Fährfahrt, die ist lustig“, singt (minimal abgewandelt) der Volksmund. Und in der Tat: Es hat etwas, mit den dicken Pötten in See zu stechen. Das Auto gut im Stahlbauch verstaut, den Urlaub noch vor sich. Die See, die Zeit, Kabine unter Deck, prima Unterhaltung an Bord – so lässt es sich aushalten. In Normalzeiten jedenfalls.

Stena Line Elektra
Nachhaltiger Fährverkehr: Mit der „Stena Elektra“ vollelektrisch in die Zukunft. (Bild: Stena Line)
Aber derzeit ist Corona, was die Sache mit dem unbeschwerten Fährurlaub seit gut einem Jahr kompliziert macht. Sehr kompliziert sogar, was zunächst mit den sich beständig abwechselnden Reisewarnungen und -beschränkungen zu tun hat. Aber auch das Urlaubsgefühl selbst hat gelitten, es reist sich halt nicht schön in dieser Zeit.

Dennoch blickt man bei Stena Line, einem der weltgrößten Fährunternehmen, nicht nur optimistisch in die nahe Zukunft, sondern auch ein wenig stolz zurück in die jüngste Vergangenheit. Denn Fähre, das bedeutet nicht nur Urlaub, sondern auch Fracht. Und Frachtkapazität bedeutet in der Pandemie – und obendrein nach dem Brexit – die grenzübergreifende Versorgung mit so ziemlich allem, was lebensnotwendig ist.

„Da waren wir gefordert und haben sprichwörtlich geliefert“, drückt es Martin Wahl aus. Er ist Unternehmenssprecher am Stena Line-Standort Kiel, wo er seit Beginn der Pandemie die meiste Zeit im Homeoffice arbeitet.

Wir haben mit ihm über, na klar, Corona gesprochen – und über den großen Blick nach vorne: die anstehende Reisesaison, ungestillten Urlaubshunger, Sicherheitsmaßnahmen an Bord und eine gute Vorahnung, die sich ziemlich plausibel anhört.

Stena Line Fracht
Frachtverkehr in Krisenzeiten: „Wir waren gefordert und haben geliefert“, sagt Stena Line-Sprecher Martin Wahl. (Foto: Stena Line)
Herr Wahl, wir erleben gerade herausfordernde Zeiten mit erheblichen Einschränkungen seit gut einem Jahr. Wann war Ihnen klar, dass die Reisesaison 2020 alles andere als normal verlaufen würde?

Das war direkt Anfang März. Wir arbeiten ja eng mit den Regierungen und Behörden all unserer Zielländer zusammen. Insofern war schnell klar: Da kommt etwas auf uns zu.

Wie geht man denn als riesige Fährgesellschaft mit urplötzlichen Entwicklungen wie bei Corona um?

Es gab definitiv keine Zeit für Schockstarre, wir mussten handeln. Da Stena Line mit seinem Routennetzwerk in ganz Nordeuropa operiert, haben wir gleich zum Start der Corona-Situation mehrere Krisenteams gebildet – regionale und überregionale. Wir mussten schnell sein, alle aktuellen Entwicklungen evaluieren und entsprechende Maßnahmen veranlassen. Es waren sehr herausfordernde Tage.

Der Tourismus ist natürlich nur eine Ihrer Säulen, der Frachtverkehr die andere. Welche Rolle hat das in der Corona-Frühphase gespielt?

Martin Wahl stena Kiel
Martin Wahl, Travel Commercial Manager bei Stena Line am Standort Kiel.
(Foto: Stena Line)
Eine sehr entscheidende. Als großes Fährunternehmen merkt man in solch einer Phase umso mehr, wie systemrelevant man ist. Erfreulicherweise konnten wir unseren Beitrag leisten, um die Versorgung mit Nahrungs- und Gebrauchsgütern, aber auch mit dringend benötigten Arzneimitteln und Schutzausrüstungen über viele Landesgrenzen hinweg sicherzustellen.

Und im Tourismusbereich?

Während wir im Frachtbereich alle Strecken und Fahrpläne aufrechterhalten konnten, mussten wir im Tourismusbereich zugegebenermaßen Abstriche machen. Unrentable, hauptsächlich für den Passagierverkehr ausgelegte Routen mussten wir schließen. Getroffen hat es leider die Strecken Frederikshavn – Oslo und Sassnitz – Trelleborg.

Wie haben Sie personell agiert?

Wir mussten zum einen den größten Teil unseres landseitigen Personals vorübergehend in Kurzarbeit schicken. Zum anderen sahen wir uns natürlich verpflichtet, schnellstmöglich ins Homeoffice zu wechseln. Geholfen hat dabei, dass unsere quer durch alle Unternehmensbereiche verlaufende Digitalisierungsstrategie zum Start der Pandemie schon Realität war.

Was denken Sie, wie die Pandemie Ihre Branche verändern wird? Eher Chance, eher Risiko?

Ich gehe fest davon aus, dass wir bestens gewappnet sind. Dafür gibt es plausible Gründe. Erstens: Fähren bieten sehr viel Platz, sodass man sich bei Bedarf beispiellos gut aus dem Weg gehen kann. Dazu gibt es jede Menge frische Seeluft und nebenbei keinerlei Gepäckbeschränkungen.

Zudem kann das eigene Fahrzeug praktischerweise überall hin mitgenommen werden, was uns – zweitens – zum idealen Transportmittel für den Familienurlaub im Ferienhaus, für Campingurlaube oder Roadtrips im Wohnmobil macht. Also für so ziemlich alle Reisetrends, die durch die Pandemie mit Sicherheit gestärkt werden.

Und drittens haben wir ein umfassendes Sicherheits- und Hygienekonzept auf die Beine gestellt, um die Ausbreitung von Corona gar nicht erst zuzulassen. Das Konzept ist darauf ausgelegt, unsere Passagiere und Crews auch bei erhöhter Nachfrage ideal zu schützen. Kurzum: Ich sehe viel mehr Chance als Risiko.

Gibt es auch technische Anpassungen, die durch Corona vorangetrieben werden?

Aber sicher. Ein wichtiger Punkt ist dabei die viel zitierte Digitalisierung. Es wird bei Stena Line schon bald deutlich mehr digitale Touchpoints geben.

Lässt sich beziffern, welche Auswirkungen das Corona-Jahr 2020 auf den Fährtourismus in Ihren Hauptdestinationen Skandinavien, Baltikum und Großbritannien/Irland hatte?

Die Pandemie ist auch an Stena Line nicht spurlos vorübergegangen, alles andere wäre gelogen. Um die Auswirkungen konkret zu bewerten, müssen die Routen jedoch einzeln betrachtet werden.

Können Sie Beispiele nennen?

Kabine Stena Line
Frischrenovierte Kabine auf der M/S Skåne mit großem Fenster für den Meerblick.
(Foto: Stena Line)
Erstes Beispiel: Unser Reiseverkehr zwischen den Niederlanden und Großbritannien ist zuletzt durch das Aufkommen der Virusmutante fast völlig zum Erliegen gekommen. Die Routen zwischen Nordirland und Schottland oder Wales sind dagegen weitaus weniger betroffen.

Zweites Beispiel: Bei unseren Routen von Deutschland nach Schweden ist klar zu erkennen, dass Kiel – Göteborg deutlich stärker für den touristischen Verkehr ausgelegt ist als Rostock – Trelleborg. Dementsprechend ist das Fahrgastaufkommen auf der Strecke Kiel – Göteborg merklich mehr zurückgegangen als auf der Strecke Rostock – Trelleborg. So ließe sich das Strecke für Strecke fortführen.

Inzwischen hat man fast das Gefühl, die aufgestaute Reiselust vieler Menschen mit Händen greifen zu können. Deckt sich das mit Ihren Erkenntnissen?

Dazu gibt es zahlreiche ermutigende Umfragen. Demnach ist die Reiselust der Menschen weiterhin ungebrochen. Zudem rechnen wir mit kräftigen Nachholeffekten, sobald uneingeschränktes Reisen wieder möglich ist. Dazu noch die Sache mit den vielversprechenden Reisetrends, wie vorhin beschrieben. Ich glaube, dass wir eine ziemlich gute Zukunft vor uns haben.

Worauf stellen Sie sich – auch zeitlich gesehen – mit Blick auf die Urlaubssaison 2021 ein? Gibt es erkennbare Reisetrends, Highlights und womöglich Phasen des Ansturms?

Aktuell lässt das Pandemiegeschehen in unseren Destinationen leider noch keine verlässlichen Aussagen zu. Was bislang eindeutig ist, ist lediglich der Trend zu kurzfristigen Buchungen mit flexiblen Umbuchungs- und Stornierungsbedingungen. Verständlich.

Wie werben Sie in der aktuellen Phase der Pandemie für Vertrauen?

Zunächst haben wir bei Stena Line, wie schon erwähnt, ein umfassendes Sicherheits- und Hygienekonzept konzipiert, das mittlerweile fest etabliert ist und konsequent umgesetzt wird. Dazu kommen transparente Informationen, wo immer es möglich ist – auf unseren Webseiten, in der Customer Journey und an Bord der Fähren. Überall ist der neueste Stand zu finden.

Dazu gehört natürlich, dass wir geltende Reiseeinschränkungen und Vorschriften für die Einreise in unsere Zielgebiete immer topaktuell kommunizieren. Nächster wichtiger Punkt: Für fast alle unsere Destinationen ist inzwischen ein negativer Corona-Test erforderlich. Dieser muss bereits beim Check-In zur Fährüberfahrt vorgelegt werden. Andernfalls ist keine Beförderung möglich.

Welche Rolle spielen für Sie aktuell die Land für Land stark unterschiedlichen Impfdynamiken?

Einen Vorteil für Reisende mit bereits absolvierter Impfung gibt es bisher nicht, falls Sie das meinen. Hier folgen wir strikt den Anweisungen der zuständigen Behörden.

Thema Brexit: Sie haben früh im Jahr Ihre Direktrouten nach Irland aufgestockt und so am EU-Warenmarkt eine wichtige Brücke gebaut. Womit rechnen Sie im nächsten Schritt beim Tourismusgeschäft?

Mit der Stärkung unserer Route von Cherbourg in Nordfrankreich nach Rosslare in Irland haben wir in der Tat auf die Anforderungen des Marktes reagiert, um es so auszudrücken. Zum Glück ist es uns dank der flexibel einsatzbaren Flotte in der Irischen See gelungen, die durch den Brexit kurzfristig entstandenen Spitzen im Frachtverkehr voll zu bedienen.

Touristisch haben bereits die letzten Jahre gezeigt, dass direkte Routen nach Irland immer mehr nachgefragt sind, wobei das Reisegeschäft natürlich stark saisonabhängig ist. Ich gehe aber davon aus, dass wir mit den beiden aktuellen Fähren auf dieser Route gut aufgestellt sind.

Ihre Branche steht vor einer weiteren großen Herausforderung: Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Wohin steuert Stena Line hier?

Es ist unser erklärtes Ziel, beim Thema Nachhaltigkeit führend in der Schifffahrt zu sein. Die dazu passende Strategie beruht auf fünf Schlüsselbereichen, die übrigens auch die Vereinten Nationen als maßgeblich betrachten: Nutzung sauberer Energien, verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen, Schutz des Lebens unter Wasser, Gesundheit und Wohlergehen sowie Gleichstellung und Inklusion.

Das klingt groß und ehrgeizig. Können Sie am Beispiel Umweltschutz konkret werden?

Gerne, wir setzen schon jetzt treibstoffeffiziente, KI-gestützte Fähren ein, die sowohl die Kapitäne als auch die Offiziere an Bord bei der Einsparung von Treibstoff und Emissionen unterstützen. Soweit Schritt eins.

Schritt zwei ist die Einführung der Elektromobilität: Die für uns ab 2030 in See stechende Stena Elektra wird die weltweit erste fossilfreie RoPax-Fähre ihrer Größe sein. Mit einer Länge von etwa 200 Metern soll sie Platz für 1.000 Passagiere bieten und eine Frachtkapazität von 3.000 Lademetern haben.

Welche Strecke ist für die Stena Elektra vorgesehen?

Die Batteriekapazität von 60 bis 70 MWh ist prädestiniert für die etwa 50 Seemeilen lange Strecke von Göteborg nach Frederikshavn. Geladen werden die Batterien dann während der Hafenliegezeit. Um die Reichweite des Schiffes zu verlängern, prüft Stena Line derzeit außerdem Kombinationsmöglichkeiten mit alternativen Antriebsvarianten – also Brennstoffzellen, Wasserstoff und Bio-Methanol.

Und zum Abschluss: Mit welchem Fazit für das Reisejahr 2021 könnten Sie an Silvester zufrieden ins neue Jahr blicken?

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, wäre es beruflich wahrscheinlich dieser hier: Eine tolle Party für alle Gäste, die sich Silvester an Bord unserer Schiffe befinden – unbeschwert und ohne Reisebeschränkungen. Damit könnte ich sehr gut leben.

Herr Wahl, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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