Umstrittene Entscheidung der City of London
Statuen zweier „angesehener“ Profiteure des Sklavenhandels bleiben stehen – aber …
Geschichte auf dem Prüfstand: Die Londoner Stadtverwaltung hat am Donnerstag dafür gestimmt, die Statuen zweier prominenter Förderer und Profiteure des transatlantischen Sklavenhandels nicht aus ihrer Zentrale – der Guildhall – entfernen zu lassen.
Die Ratsmitglieder gehen damit in Opposition zu einer Aufforderung der Antirassismus-Taskforce Londons. Diese hatte zuletzt dafür votiert, die Statuen des ehemaligen Oberbürgermeisters William Beckford und des Kaufmanns John Cass von ihren Sockeln zu nehmen.
Beiden wird posthum vorgeworfen, treibende Rollen im Sklavenhandel des Empire gespielt zu haben: einer Epoche, die heute von wachsenden Teilen der britischen Bevölkerung als wenig ruhmreich und beschämend wahrgenommen wird – um es milde auszudrücken.
Historisch belegt ist, dass britische Schiffe einst mehr als 3 Millionen afrikanische Sklaven über den Atlantik transportierten. Für die Allermeisten waren es Tickets in eine düstere Zukunft, an denen hochgestellte Persönlichkeiten und britische Institutionen maßgeblich beteiligt waren. Und davon wirtschaftlich profitierten, darunter auch die City of London.
„Die Geschichte unserer Stadt ist leider untrennbar mit diesen schrecklichen Praktiken verbunden. Dafür werden wir uns immer schämen müssen“, teilte Douglas Barrow, Stadtratsmitglied und Leiter einer zuständigen Arbeitsgruppe, in einem Statement mit.
Barrow, selbst Befürworter des Verbleibs der Statuen, fügte hinzu: „Es ist wichtig, dass wir die Beteiligungen von Cass, von Beckford und auch die unserer Stadt an den Gräueltaten des transatlantischen Sklavenhandels offen anerkennen.“
„Retain and explain“: Gedenktafeln sollen über persönliche Verstrickungen aufklären
Daher wurden die betreffenden Statuen nun mit Gedenktafeln versehen, um die persönlichen Rollen und Beteiligungen der beiden Protagonisten am britischen Sklavenhandel historisch einzuordnen. Gut sichtbar, transparent. Immerhin.
Es sei bei dem Entscheidungsprozess nie darum gegangen, einfach „eine Gedenktafel anzubringen und weiterzumachen“ oder aber „vor unserer Geschichte davonzulaufen“, unterstrich Barrow die von ihm selbst wahrgenommene Ernsthaftigkeit der Aufarbeitung.
Nach der gewaltsamen Tötung von George Floyd bei einem Polizeieinsatz im US-amerikanischen Minneapolis verstärkte sich im vergangenen Jahr unter dem Motto „Black Lives Matter“ der weltweite Protest gegen strukturellen/institutionellen Rassismus.
Im Zuge dessen kam es auch auf britischem Boden zu heftigen Kontroversen über die historische Rolle des Empire. Laut Reuters habe die Stadt London ihre historischen Verbindungen zur Sklaverei daraufhin minutiös untersuchen lassen. Besagte Taskforce wurde eingesetzt.
Dass die aktuelle Debatte über William Beckford und John Cass ohne den Druck der Öffentlichkeit nicht stattgefunden hätte, gilt als wahrscheinlich. Die Entscheidung über den Verbleib der Statuen sei eine „vernünftige und angemessene Antwort auf ein sensibles Thema“, urteilt abschließend Stadtratsmitglied Barrow. „So ist es uns möglich, das Erbe unserer Vergangenheit mit Offenheit und Ehrlichkeit anzuerkennen.“
Weiterführende Informationen:
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William Beckford (der Ältere), verstorben 1770, war während seiner politischen Laufbahn zweimal Lord Mayor of London. Der außerordentliche Wohlstand seiner Familie basierte maßgeblich auf ihrer Verwicklung in den transatlantischen Sklavenhandel. Offizielles dazu gibt es unter diesem Link (in englischer Sprache).
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John Cass, verstorben 1717, war einerseits Mitglied des Parlaments und andererseits eine Schlüsselfigur bei der Royal African Company. Die RAC verschiffte mehr afrikanische Sklaven über den Atlantik als jedes andere Unternehmen. Wegen der persönlichen Verfehlungen ihres Namensgebers wurde die Londoner Cass Business School 2020 in Bayes Business School umbenannt.
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Das British Empire, das größte Kolonialreich der Menschheitsgeschichte, war im 17. und 18. Jahrhundert tief in den transatlantischen Sklavenhandel verstrickt. „Großbritanniens Sklavenwirtschaft war riesig und äußerst komplex“, umriss Ryan Hanley, Geschichtsdozent der Universität Exeter, 2020 in einem Beitrag der Deutschen Welle die Rolle. Es sei zwar nicht möglich, die britischen Gewinne aus der Sklaverei insgesamt zu beziffern. „Sicher ist aber“, so Hanley, „dass die Wirtschaft von der Ausbeutung afrikanischer Sklaven enorm profitiert hat.“
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