Borisgate
Keine Moral, Lügen, Heuchelei: Misstrauensvotum gegen Boris Johnson
Mit Lügen über die EU und die angeblich negativen Auswirkungen ihrer Mitgliedschaft hat er sich ins Amt des britischen Premiers katapultiert. Nun werden ihm seine unablässigen „Unwahrheiten“ vielleicht doch noch zum Verhängnis.
Das Versprechen des „ofenfertigen Brexit-Abkommens“ hat Boris Johnson bei der Parlamentswahl 2019 zur absoluten Mehrheit verholfen. In Großbritannien muss dies nicht über 50% der Wählerstimmen betragen. 43.6% der Stimmen hatten die Tories damals für sich gewinnen können, darunter viele von den Wähler*innen, die sonst Labour gewählt haben, was ihnen 365 der insgesamt 650 Sitze im Parlament (House of Commons) eingebracht hat.
Selbstverständlich war das Brexit-Abkommen alles andere als „ofenfertig“, wie sich nun vor allem bei den Uneinigkeiten des Nordirland-Protokolls zeigt. Diese Probleme werden, wie zu erwarten, von Boris Johnson und seinem Team von Brexit-Befürwortern auch gänzlich der EU in die Schuhe geschoben.
Was genau geschah nun bei Partygate, der jüngsten und vielleicht doch noch verhängnisvollsten Affäre des Mannes, der anscheinend meint, über dem Gesetz zu stehen? Ironischerweise auch noch des Gesetzes, welches er selbst in Kraft gesetzt hat.
Corona und die Lockdowns in England
Zunächst einmal möchte ich beschreiben, wie die Lockdowns bei uns in England aussahen. Von Ende März 2020 bis Mitte Mai 2020 durften wir unsere Häuser/Wohnungen nur verlassen, um einmal am Tag Sport zu treiben oder mit dem Hund Gassi zu gehen, oder um notwendige Lebensmittel/Medikamente zu kaufen.
Wir durften uns auch nicht weiter als fünf Meilen von unserem Wohnsitz entfernen, und uns nicht länger als eine Stunde pro Tag außerhalb unserer eigenen vier Wände aufhalten. Es gab immer wieder leichte Lockerungen, gefolgt von weiteren Lockdowns, und im Dezember 2020 wurden wir fast komplett eingesperrt, um der Ausbreitung der damals hier zuerst entdeckten Alpha-Variante Einhalt zu gebieten.
Diese Regeln wurden streng kontrolliert, und nicht wenigen Menschen der gemeinen Bevölkerung wurden Bußgelder verhängt. Insgesamt 118.9632 Bußgeldbescheide wurden zwischen Mai 2020 und dem 19.Juli 2021, dem berüchtigten “Freedom Day”, an die breite Bevölkerung für „Regelbrüche“ gegen den Lockdown in England und Wales zugestellt.
Es gab viele persönliche Schicksalsschläge, wo Angehörige und enge Freunde nicht Abschied nehmen konnten von geliebten Menschen. Mir ist es auch so ergangen. Eine meiner engsten Freundinnen ist am 21. Mai 2020 an Lymphdrüsenkrebs gestorben. Nur ihr Mann durfte im Krankenhaus dabei sein, um sie in den Tod zu begleiten.
Nicht ihre Eltern, nicht ihre Schwester, und auch nicht ihre Tochter. Dafür hatten wir alle Verständnis, dennoch war es sehr schwer und traurig. Dann ist es umso zynischer zu erfahren, dass in der Downing Street am 20. Mai 2020, dem Tag vor dem Tod meiner Freundin, abends eine Party stattgefunden hat. Die meisten Verwandte und guten Bekannte meiner Freundin, inklusive mir, durften nicht zu ihrer Beerdigung, während man sich in der Downing Street und Whitehall eine schöne Zeit machte.
Die Königin musste dies, ein Jahr später, als wir uns noch immer nicht in großen Gruppen treffen durften, auch erfahren. Ganz allein saß sie am 17. April 2021, während des Trauergottesdienstes ihres Mannes, Prince Philip, in der Kirchenreihe. Wie sich später herausstellte, hatte es am Vorabend erneut eine Party in der Downing Street gegeben. Dafür musste sich Boris Johnson dann bei der Queen persönlich entschuldigen. Halbherzig entschuldigen tut er sich in letzter Zeit oft.
Boris Johnson sagte am 8. Dezember 2021 im Parlament, es haben während der Lockdowns keine Partys in der Downing Street stattgefunden, und alle Regeln seien befolgt worden. Zeitgleich zirkulierte ein Foto von ihm, mit Bier in der Hand, in einer Gruppe von Menschen (sieht nach Party aus), vom 13. November 2020. Hat er also im Parlament gelogen?
Was hat sich in der Downing Street und Whitehall abgespielt
Was hat sich in der Downing Street und Whitehall in der Zeit der Lockdowns nun tatsächlich abgespielt?
Ständig wurden wir, die gemeine Bevölkerung, damit vertröstet, den sogenannten Sue Gray-Report abzuwarten. Dies ist der Bericht einer Staatsbediensteten, die damit beauftragt wurde, den Anschuldigungen der illegalen Partys nachzugehen. Bis ihr Bericht endlich in der ersten Fassung vorlag, gab es jedoch eine Polizeiermittlung in Bezug auf die besagten Partys. Zwölf von insgesamt 16 Partys wurden von der Polizei untersucht. Nun sollten wir die Ergebnisse dieser Polizeiermittlung abwarten, bekamen also wieder keine Fakten vorgelegt.
Am 12. April 2022 bekam Boris Johnson einen Bußgeld-Bescheid von der Polizei. Insgesamt 126 Bußgelder wurden an Mitglieder der Tory-Partei (Konservative) verhängt. Eines auch an Boris Johnsons Frau, ein weiteres an Rishi Sunak, unseren Finanzminister. Auf den komme ich später noch zu sprechen.
In der Zwischenzeit tobte der Ukraine-Krieg, und Boris Johnson und sein Team nutzten die Gelegenheit, um von Partygate abzulenken.
Am 25. Mai, 2022, lag nun endlich der ausführliche Bericht von Sue Gray vor.
Die BBC befasste sich detailliert mit dessen Inhalt. Hier sind ein paar Auszüge:
-
Es gab eine fehlerhafte Führung und Einschätzung von Downing Street Nr. 10 und im Kabinett der britischen Regierung.
-
Augenzeugen berichten, sie kamen morgens ins Büro in der Downing Street und fanden überfüllte Mülleimer und leere Flaschen.
-
Z.T. haben Leute in der Downing Street übernachtet.
-
Es gab regelmäßig Einladungen per E-Mail zu „Zusammenkünften“, und diese fanden von vier Uhr nachmittags an statt.
-
Sue Gray kommt zu dem Schluss, dass die Partys und Treffen gegen bestehende Coronamaßnahmen verstoßen haben.
-
Angestellte wie Putzhilfen wurden herablassend behandelt.
-
Es wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der sich nicht getraut wurde, Kritik an diesen Zusammenkünften auszuüben, da sie „von oben“ abgesegnet zu sein schienen.
-
Es fand eine „Abschiedsparty“ am 17. Juni 2020 statt, wo es Pizza und Prosecco gab, außerdem eine Karaoke Maschine. Während dieser Veranstaltung, welche bis 3 Uhr morgens andauerte, musste sich eine Person übergeben, und es fand eine Auseinandersetzung zwischen zwei weiteren Personen statt.
Sue Gray sagte außerdem, dass sie nur eingeschränkte Informationen über die Veranstaltung vom 13. November 2020 hat, da ihre Befragungen gestoppt wurden, nachdem die Polizei mit ihrer Ermittlung begann.
Sie bedauere auch, dass sie und ihr Team über manche Ereignisse erst über Medien informiert wurden, und vorher keine Informationen darüber erhalten hatten.
Einen Tag, nachdem Sue Grays Bericht veröffentlicht wurde, gab Rishi Sunak, der bereits oben erwähnte Finanzminister, bekannt, nun doch noch Öl- und Gas-Firmen zu besteuern, die einen größeren Gewinn gemacht haben als erwartet, um damit Haushalte zu entlasten. Gegen diese „Windfall Tax“, die er auch bewusst nicht so nennt, und die von der Labour Opposition seit langem gefordert wurde, hat er sich bis dahin vehement gewehrt. Es wird erwartet, dass fünf Milliarden Pfund auf diese Weise eingefahren werden können, die bei den Erhöhungen der Lebenskosten als Entlastung genutzt werden können.
Aber selbst dieses Ablenkungsmanöver und das Platinum Thron-Jubiläum der Queen (Boris Johnson wurde bei seinem Auftritt dort ausgebuht) genügte nicht als Ablenkung.
Heute Abend wird ein Misstrauensvotum gegen Boris Johnson stattfinden. Mindestens 54 seiner Minister mussten dies beantragen. Er benötigt nun mindestens 180 Stimmen, um im Amt bleiben zu dürfen.
Prognosen zufolge scheint er das zu schaffen. Die Tory Partei hat einfach niemanden, der momentan als Nachfolger für ihn in Betracht kommt.
Bleibt also nur die nächste Parlamentswahl abzuwarten, und dass die britische Bevölkerung Partygate bis dahin nicht vergessen hat.
Unser QUIZ zum Thema ENGLAND