Eine Liebeserklärung an das Meer und das Leben
„Unsterblich sind nur die anderen“ – Ein abgefahrener Nordatlantikfähren-Roman von Simone Buchholz
Als Simone Buchholz im Herbst 2019 auf einem Krimifestival auf die färöer Nordatlantikfähre MS Norröna eingeladen war, bescherte der Wellengang ihr eine ordentliche Seekrankheit. Auf dem Schiff gab es Pillen dagegen zu kaufen, die eine Mischung aus Vomex und Koffein waren. „Eigentlich ein primitives Antidepressivum“, wie sie mir sagte – aber hoch effektiv.
Buchholz ging es danach so blendend, dass sie eine Verbindung zum Schiff aufgebaut hat und es gar nicht mehr verlassen wollte. Dabei fragte sie sich, was wäre, wenn man das Schiff tatsächlich nicht verlassen könnte. Dieser Gedanke brachte den Stein für ihren neuen genresprengenden Roman „Unsterblich sind nur die anderen“ ins Rollen.
Man kann sich beim Lesen des neuesten Werks der Autorin mit ihr gemeinsam in dem Schiff verlieren, das im Buch MS Rjúkandi heißt und zwischen Island, den Färöern und Dänemark pendelt.
Zu Beginn der Geschichte öffnet eine Frau in einem „Buddelschiffladen für den täglichen Bedarf“ eine Buddel und zieht sich und den Leser damit in eine Welt hinein, in der Wassersagengestalten mit Menschen und Raum mit Zeit verschmelzen.
Zwei Freundinnen, Iva und Malin, begeben sich auf die MS Rjúkandi, um nach ihren seit Wochen verschollenen Freunden zu suchen und je weiter die Reise fortschreitet, desto mehr verschwimmen die Realitäten miteinander.
Angeheizt von Alkohol, der reichlich fließt, und den Pillen gegen die Seekrankheit, die es hier genauso gibt wie auf dem Vorbild, der MS Norröna, versuchen Leser und Protagonistinnen zu Beginn noch mit unseren logischen Maßstäben der Verwirrung zu begegnen.
Aber mehr und mehr lösen sich die Welten ineinander auf, und wo die Freundinnen sich dem Schiff endgültig hingeben, war ich als Leserin ebenso endgültig fest im Seemansgarn verheddert.
Der #segelsexbuch-Hype
Auf Twitter entstand bereits kurz nach Veröffentlichung ein Hype um das Buch, als die Buchhändlerin Magda Birkmann den Hashtag #segelsexbuch etablierte und dieser es bis in die Twittertrends schaffte. Denn tatsächlich hat Sex auf dem Schiff, von dem es kein entkommen gibt, eine wichtige Funktion.
Was soll man auch den ganzen Tag tun, wenn man als Spielball der Wassergöttinnen, Nymphen, Nereiden und Selkies auf dem Meer feststeckt? Buchholz vereint hier die Wassersagengestalten unterschiedlicher Kulturen miteinander, – unsterblich und gelangweilt halten sie die Fäden der Menschen in ihren Händen. Googelt man jede von ihnen beim Lesen, hat man am Ende nicht nur einen unterhaltsamen Roman gelesen, sondern auch den Bachelor in Wassergöttinnenwissenschaft der Buchholzschen Akademie bestanden.
Simone Buchholz, die für ihre Krimis bereits zahlreiche Preise gewinnen konnte, und seit über 20 Jahren in Hamburg lebt, ist eine Geschichtenerzählerin, wie man sie sich in einer dunklen Hamburger Spelunke am Hafen vorstellt. En passant erzählt sie in ihrem Segelsexbuch von Sterblichkeit, Schuld, Familie, Alleinerziehenden und den Schmerzen, die uns das Leben zufügt, von denen uns verspannte Nacken und Sorgenfalten als Erinnerung zurückbleiben.
Was, wenn uns all das genommen würde? Was würde von uns als Menschen übrig bleiben? Und gäbe es etwas, was uns mehr wert wäre als das? Die Antwort ist so logisch wie naheliegend. Nur die Liebe zu den Kindern ist größer als der Schmerz. Und die Liebe ist es, die am Ende – und dauerte sie auch nur einen kurzen Moment – bleibt. Die Liebe und das Meer sind immer da.
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