Neue Studie zu 1.100 Jahre altem Fund aus Gokstad
Norwegen: Holzschilde aus berühmtem Wikinger-Schiffsgrab kamen wohl im Nahkampf zum Einsatz
Bereits 1880 wurde im südnorwegischen Gokstad eines der weltweit berühmtesten Wikingergräber entdeckt. Genauer gesagt ein mit allerhand Artefakten ausgestattetes Schiffsgrab, zu dem auch Dutzende von Holzschilden zählten.
Foto 1: Über 100 Jahre alte Rekonstruktion der Vorderseite eines Gokstad-Schildes. (Universität Oslo)
Foto 2: Eiserne Schildbuckel vom Fundort des Schiffsgrabes in Gokstad (Universität Oslo)
Foto 3: Das Gokstad-Schiff im Vikingskipshuset auf der Halbinsel Bygdøy in Oslo (Rüdiger Stehn / CC BY-SA 2.0)
Foto 4: Perforationen auf den Schildbrettern, wo die Tierhautschicht befestigt war (Rolf Warming / Universität Stockholm)
Foto 5: Rekonstruktion der Rückseite eines Gokstad-Schildes (Universität Oslo)
Foto 6: Wrack aus dem Wikingerschiffsmuseum im dänischen Roskilde mit Ähnlichkeiten zum Schiff aus Gokstad im Bereich der Schildbefestigung (Werner Karrasch / Vikingeskibsmuseet Roskilde)
Bislang ging die Forschung davon aus, dass die Schilde vor etwa 1.100 Jahren zu rein zeremoniellen Zwecken gefertigt worden waren – eben als standesgemäße Grabbeigabe für einen verschiedenen Wikingerkönig, aber ohne veritablen Wert als Kriegsgerät.
Dass dem womöglich nicht so war, besagt nun eine neue Studie, die den Blick auf den Fund in Gokstad auch als Ganzes verändern dürfte. So gehen die Autoren davon aus, dass mit den Schilden im Vorfeld des Begräbnisses sehr wohl gefochten worden sein könnte.
Potenziell sogar im Nahkampf Mann gegen Mann, wie aus einer Neuanalyse zu dem berühmten Grabfund hervorgeht, die ein Archäologenteam der Universität Stockholm jüngst durchgeführt und Ende März im Fachmagazin „Arms & Armour“ veröffentlicht hat.
Restbestandteile von Tierhaut bilden die Basis für die neue Theorie
Verantwortlich für diese Neubewertung ist ein Detail, das bei bisherigen Analysen zu den Schilden offensichtlich nicht zum Tragen kam: Restbestandteile von Tierhaut, mit der die Schilde bei der Herstellung scheinbar überzogen wurden – als Verstärkung der Planken an den Rändern.
Archäologe und Studienautor Rolf Warming von der Uni Stockholm dazu auf Anfrage von Live Science: „Es gibt in der Tat Fragmente einer organischen Ummantelung auf den Schildbrettern, die wir als Verstärkung für den konkreten Kampfeinsatz interpretieren.“
Zusätzlich fanden sich indirekte Hinweise in Form von Nahtlöchern und abgeschrägten Rändern, die ebenfalls darauf hindeuten, dass die Schilde einst sozusagen kompatibel für die Anbringung einer organischen Schutzschicht gefertigt wurden.
„Damit entsprechen die Gokstad-Schilde im Allgemeinen unserem Verständnis von Modellen, die real im Kampf verwendet wurden“, schildert Warming, für den klar ist, dass die Schilde elementare Ausrüstungs- und Nutzgegenstände des begrabenen Wikingerschiffs waren.
Das Schiff selbst wurde einst auf See eingesetzt, wahrscheinlich für Kriegsführung, Handel und Transport. Doch um 900 nach Christus diente es dann höheren Zwecken, indem es als Ort der Beisetzung für eine hochrangige Wikingerpersönlichkeit an Land gezogen wurde.
Weitere interdisziplinäre Untersuchungen sollen Klarheit bringen
Insgesamt 64 Schilde dürften zu diesem Zeitpunkt seitlich am Schiff montiert gewesen sein. Möglicherweise ein Exemplar pro Besatzungsmitgleid. Als organische Verstärkung der Schilde ist nach Angabe der Studienautoren ungegerbte Rinderhaut eingesetzt worden.
Die Bretter jedes Schildes sollen alternierend gelb oder schwarz bemalt gewesen sein, was ihnen bei überlappender Anbringung am Schiff ein sichelförmiges Aussehen verlieh. Den direkten Beweis dafür, dass die Schilde im Kampf eingesetzt wurden, ist Warming zwar noch schuldig.
Aber Fürsprache für seine Theorie gibt es inzwischen auch von anderen Forschern. Damit ist es nun an weiteren interdisziplinären Untersuchungen, um die Wahrheit hinter den Gokstad-Schilden aus Skandinavien endgültig aufzudecken.
Hintergrund: Die Schiffe der Wikinger hatten viereckige Segel, waren aber für schlechte Windverhältnisse oder die Fahrt auf Flüssen auch mit Rudern ausgestattet. Die Schiffe hatten ferner relativ flache Klinkerrümpfe, sodass sie bei Bedarf leicht an Land gezogen werden konnten.
Warming glaubt, dass die Schilde des Gokstad-Schiffs als zusätzliche Panzerung dienten und auch als optische Komponente, um Stärke zu demonstrieren. Für den Nahkampf konnten sie dann leicht vom Rumpf gelöst und individuell mitgeführt werden.
„Einige unregelmäßige Kerben und Markierungen auf den Schildbuckeln“, wie Warming beschreibt, gelten als weitere Indizien für eine solch kriegerische Nutzung. Im nächsten Schritt sollen sorgfältige Gebrauchsspurenanalyse durchgeführt werden. Spannend, was da noch kommt.