Neue Videoaufnahmen aus 400 m Tiefe
Norwegen und die spannende Frage: Wie alt ist das Wrack auf dem Grund des Mjøsa-Sees?
Im November letzten Jahres entdeckten Forscher der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU) auf dem Grund des Mjøsa-Sees ein vermutlich (sehr) altes Schiffswrack. Doch wie alt es genau ist, blieb seither absolut im Vagen.
Die Bilder der Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU) stammen von den Sonaruntersuchungen im November 2022, bei denen das Wrack entdeckt wurde.
Das zeigt gerade die Zeitspanne, mit der Experten bis dato an den Fund herangingen: Von etwa 1850 bis tief ins Mittelalter und die Vikingerzeit schien alles möglich. Daher auch fand der Fund internationale Beachtung. Unsicherheit erzeugt Interesse, gerade in archäologischen Fragen.
Das Wrack könne möglicherweise das älteste jemals im Mjøsa gefundene Schiff sein, sagte im November Gro Kvanli Dæhlin, Vizerektorin an der NTNU in Gjøvik, nachdem bei einer Kartierung des größten Sees in Norwegen auf einmal die Umrisse zum Vorschein kamen.
Um hoffentlich Klarheit zu bekommen, sind Meeresarchäologen aus mehreren Institutionen vor wenigen Wochen am Mjøsa zusammengekommen. Ihr Ziel: Ein unbemannter Tauchgang mit einem Roboter (ROV) runter in gut 400 Meter Tiefe, um Videoaufnahmen vom Wrack zu machen.
Fast wäre der unbemannte Tauchgang ein Misserfolg gewesen – Akku leer
Zwar ist die Sache mit dem Alter des Wracks auch nach Sichtung der Bilder noch nicht ganz klar, aber es gibt neue, sehr interessante Anhaltspunkte. Immerhin, muss man sagen, denn die Tauchaktion hätte nach Darstellung der Teilnehmenden auch in die Hose gehen können.
Der Grund: Der Akku des Roboters war nach der langen Abtauchphase schon so gut wie leer. Gerade einmal sechs Prozent Kapazität sollen es noch gewesen sein, als man schließlich den Grund des Sees im Visier hatte – aber erstmal nicht das Wrack.
(Das nun vorgestellte Video zeigt immerhin, dass es kein Schiff neuerer Bauart ist)
„Als wir nach 30 Minuten unten ankamen, begann eine hektische Suche auf dem Meeresboden“, sagte Øyvind Ødegård, Archäologe beim Universitätsmuseum, an diesem Donnerstag im Rahmen einer Veranstaltung an der NTNU, auf der das Video vorgestellt wurde.
„Es gelang uns gerade noch, ein paar Sekunden des Wracks einzufangen. Und zum Glück ist darauf kein Außenbordmotor zu sehen“, konnte sich Ødegård einen Scherz nicht verkneifen. „Es gibt de facto nichts, was ausschließen würde, dass es wirklich alt ist“, so der Forscher.
Bislang gab es allerdings nur die Sonaraufnahmen vom letzten November, die Raum für reichlich Spekulationen ließen. „Wir haben auf der Grundlage der hochauflösenden Bilder Interpretationen vorgenommen. So konnten wir sagen, dass es ein geklinkertes Boot ist“, erinnert sich Ødegård.
Also eine typisch nordische Bauweise, bei der die Holzplanken eines Bootes überlappen. Und eine Bauweise, die von der Eisenzeit bis ins 20. Jahrhundert Anwendung fand. Das erklärt in Teilen die unpräzise Datierung, die bislang galt – mit einer leisen Hoffnung.
„Wenn wir von dem Sonarbild ausgehen, das die Umrisse des Wracks zeigt, sieht es tatsächlich einem klassischen Wikingerschiff oder Wikingerboot verblüffend ähnlich“, so Ødegård mit Blick auf den Kenntnis- bzw. Interpretationsstand vom November.
Danach machte man sich daran, mithilfe der Sonarbilder ein 3D-Modell des etwa 10 Meter langen und 2,5 Meter breiten Wracks zu erstellen. Dabei fielen den Forschern um Ødegård Verformungen am Heck auf, die auf ein Steuerruder hindeuten könnten.
Also eine Technik, wenn man so will, die in Norwegen vor dem 14. Jahrhundert nicht üblich war. Daher auch liegt die aktuelle Datierung des Wracks irgendwo zwischen 1300 und 1850, was klar gegen die zunächst ja ebenfalls für möglich gehaltene Herkunft aus der Wikingerzeit spricht.
„Ein langes, schmales Schiff mit Steuerruder könnte weit überregional von Interesse sein“
Dennoch ist der Befund alles andere als eine Enttäuschung. Dafür spricht, dass das älteste archäologische Beispiel für ein Boot mit einem Steuerruder von Form und Proportion her ganz anders aussieht als das Wrack am Grund des Mjøsa-Sees.
„Ein langes, schmales Schiff mit einem Steuerruder könnte weit über die regionale Schifffahrtsgeschichte hinaus von Interesse sein“, sieht Ødegård nach wie vor alle Chancen für einen dicken Fisch im Netz.
Zugleich schließt sich an dieser Stelle der Kreis zum aktuellen Video, auf dem das Ruder leider nicht zu sehen ist. Damit behält das Wrack einen Gutteil seiner Geheimnisse noch eine Weile für sich. Womöglich hätten ein paar Sekunden mehr Akkukapazität ausgereicht, um das Rätsel zu lösen.
„Es ist erlaubt, ein wenig optimistisch zu sein, dass das Wrack von großem kulturhistorischen Interesse ist“, schloss Ødegård seine Präsentation. Immerhin: Man weiß zumindest, dass das Wrack nicht moderner Bauart ist. Alles weitere zeigt dann hoffentlich der nächste Tauchgang.
Hintergrund: Die meisten Wracks im Mjøsa-See wurden bislang an den Rändern gefunden, wo es für Taucher flach genug ist. Die Forscher glauben aber laut ScienceNorway, dass es ein großes Potenzial für die Entdeckung weiterer Wracks in tieferem Wasser gibt.
Das Forschungsprogramm „Oppdrag Mjøsa“ wird also auch unabhängig von den aktuellen Fragen rund um das vorgestellte Video weitergehen – und dabei sicherlich noch für die ein oder andere Schlagzeile sorgen.