Ein Kommentar
Färöer: Jäger töten 130 Wale allein am Samstag
Die Färöer wären ein pittoreskes Reiseziel für Mensch und – warum nicht – Tier, wäre da nicht diese blutige Tradition, Grindwale und Delfine zusammenzutreiben und zu töten. Am 4. Mai begann auf den Färöern die erste Grindadráp des Jahres. Am vergangenen Samstag trieb man 200 Grindwale in die Falle, um sie zu töten. Man kann die Färinger dafür verdammen, sollte aber mit dem erhobenen Zeigefinger zuerst an die eigenene Nase fassen.
Viele Färinger sind mit dieser Art Walfang groß geworden, und doch ist sie auf den Färöern selbst umstritten.
Andere Bewohner des Inselstaates finden nichts dabei, diese auf Selbstversorgungswirtschaft basierende Tradition fortzuführen. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit, die nicht in Frage gestellt wird.
Internationale Tierschutzorganisationen hingegen kritisieren alljährlich die Massentötungen der Meeressäuger, als grausam und für die Selbstversorgung unnötig. Der dänische Ableger der Organisation World Animal Protection prangert in einer Stellungnahme von gestern die Tierquälerei an.
Gelähmt und qualvoll verendet
Mehr als 130 Wale sind in der Bucht von Hvannasund auf den Färöern verblutet, nachdem ihnen mit einem speziellen „Lanzenmesser“, das von Waljägern verwendet wird, die Wirbelsäule durchtrennt wurde.
Das Messer lähmt die Wale, bis sie qualvoll im Wasser und ihrem eigenen Blut ersticken. So werden ganze Walfamilien getilgt.
Vor einem Monat wurde in Klaksvig eine etwa 40-köpfige Grindwalschule bei der Treibjagd getötet. Tierschutzorganisationen in aller Welt brandmarkten den Vorgang als bestialisch und inakzeptabel. Ein Aufschrei ging um die Tierschutzwelt.
Hochsensible und intelligente Tiere
„Es ist verheerend, dass diese hochsensiblen und intelligenten Tiere auf den Färöer-Inseln wieder den qualvollen Treibjagden ausgesetzt sind. Das muss sofort aufhören“, sagt Gitte Buchhave, Direktorin von World Animal Protection Dänemark, als Reaktion auf die jüngste Massentötung von zwei Walschulen im Abstand von nur einem Monat.
Zuletzt wurde am vergangenen Samstag, dem 1. Juni, eine Gruppe von mehr als 200 Grindwalen von Jägern mit Motorkuttern und Schnellbooten in die flache Bucht von Hvannasund getrieben.
Nach Angaben der Organisation Sea Shepherd, die den blutigen Vorfall dokumentierte, wurden 138 Wale getötet, während der Rest der Gruppe traumatisiert und stark gestresst in dem Wasser zurückblieb, in dem ihre Artgenossen kurz zuvor misshandelt verendet sind. Schöner als das, kann man das nicht reden. Wenn man die Jagdmethoden betrachtet, fallen einem eigentlich ganz andere Worte dafür ein.
Haken in den Atemlöchern
Bei der Treibjagd werden die Tiere in seichtem Wasser zusammengetrieben, wo Haken in ihre Atemlöcher gesteckt werden und womit sie dann unter Schmerzen weiter ins Wasser gezogen werden, berichten Augenzeugen von Sea Shepherd. Fotografisch ist dieser Vorgang gut dokumentiert.
Dort stechen die Jäger den Tieren mit dem Lanzenmesser in den Nacken, wodurch die Wirbelsäule und die wichtigsten Blutgefäße der Wale durchtrennt werden und sie theoretisch innerhalb von Sekunden getötet werden.
Augenzeugen hingegen berichten von Tieren, die ertrinken oder langsam verbluten, während ihre Artgenossen direkt neben ihnen um ihr Leben kämpfen.
„Wir haben wiederholt an die Verantwortlichen auf den Färöern appelliert und sie aufgefordert, gegen die völlig inakzeptablen Treibjagden vorzugehen, die den Tieren oft lang anhaltende Schmerzen zufügen. Das hat in einer modernen Gesellschaft keinen Platz“, sagt Gitte Buchhave.
„Es ist grotesk, dass es erlaubt ist, den Tieren so viel Angst und extremes Leid zuzufügen“, so die dänische Direktorin der internationalen Organisation weiter.
Ein Bericht aus dem Jahr 2023 („Unravelling The Truth – Whale Killing on The Faroe Islands“) kommt zu dem Schluss, dass das von den Jägern auf den Färöern verwendete Messer das Tier wahrscheinlich lähmt und die Blutgefäße durchtrennt, aber „das Tier ist weder tot noch bewusstlos und ist höchstwahrscheinlich nicht schmerzfrei“.
„Die Wale sterben in der Regel, während sie langsam verbluten“, schließen die Autoren des Berichts.
Soziale Tiere mit komplexen Beziehungen
„Wale sind hochintelligente Tiere, die enge Bindungen zueinander eingehen. Sie wandern, jagen und leben in komplexen Familienstrukturen zusammen und kümmern sich sogar um die Kinder der anderen“, sagt Buchhave.
„Sie können ihr eigenes Spiegelbild erkennen, sich einfühlen, sich erinnern, Probleme lösen, Schlussfolgerungen ziehen und über große Entfernungen kommunizieren. Sie sind komplexe und hochsensible Tiere, die ein freies Leben in Frieden und Ruhe in unserer gemeinsamen Natur führen sollten.“
Wal- und Delfinjagd nachhaltig?
Kulturell ist die Treibjagd auf Wale neben der gesellschaftlichen Bedeutung der gemeinsamen Jagd für viele Färinger auch ein Teil ihrer Identität. Die gemeinsame Tätigkeit, oder Tat, die von einer relativ kleinen Gemeinschaft ausgeübt wird, verbindet die Menschen des nordatlantischen Archipels.
Entsprechend argumentieren die Befürworter der Grindadráp mit Nahrungserwerb, Tradition, Folklore und Kultur. Das andere oft verwendete Argument ist die vermeintliche Nachhaltigkeit dieser Jagd.
Meistens dient dafür das Beispiel der relativ kleinen Entnahmemenge im Vergleich zur geschätzten Populationszahl der Tierart im Atlantik insgesamt. Laut dem Bericht „Unravelling The Truth …“, sei dieses Argument fadenscheinig. Es berücksichtige nicht die lokale Populationsdynamik. (Seite 3 und Seite 4 des Berichts)
Nach Ansicht des Berichtes, ließen die allgemeinen Populationsschätzungen die geografisch und/oder genetisch getrennten „Walvölker“ außer Acht.
Die Wal- und Delfinpopulationen werden in der Tat wie pelagische Fischbestände mit einer einzigen undifferenzierten Population im gesamten Nordost-Atlantik behandelt, aus der eine bestimmte Anzahl ohne nennenswerte Auswirkungen entnommen werden könne.
In Anbetracht dessen, was wir heute über die Kultur und die Gesellschaft der Wale und Delfine wissen, ist der Verweis auf die Gesamtpopulation weder richtig noch angemessen.
Population der Weißseitendelfine: wenig bekannt, dennoch bejagt
Für einige der von den Färöern bejagten Arten, darunter der Weißseitendelfin, seien die Bestandsdaten besonders dürftig, so der Bericht. Für diese Art gibt es keine adäquate Bestandsschätzung.
Im Jahr 2022 stellte der Wissenschaftliche Ausschuss der Internationalen Walfangkommission (IWC) fest, dass in jüngster Zeit auf den Färöer-Inseln eine große Anzahl Weißseitendelfine getötet wurde, ohne dass der Status der Art und der Population vollständig bewertet worden sei.
Damit allein wird das Argument der Nachhaltigkeit konterminiert. In Wirklichkeit schneidet man die Wirbelsäulen aller Walartigen durch, die in der Bucht gefangen sind, ohne Unterschied und Rücksicht auf die Populationsgröße der Art.
Moralische Überlegenheit unangebracht
Der Walfang auf den Färöern geht auf die Wikingerzeit zurück. Die Tiere werden mit Booten in eine Bucht getrieben, wo sie geschlachtet werden. Anschließend wird das Fleisch an die Teilnehmer verteilt.
Alle Jahre wieder erheben viele Menschen den moralischen Zeigefinger gegen die Färinger, wobei sie in der anderen Hand ein mit Schinken belgtes Brötchen halten. Es ist keine Frage: Die Grindadráp war früher notwenig zum Überleben, heute ist sie grausam und überflüssig. Es gibt kein echtes Argument für den Walfang.
Ebensowenig gibt es ein echtes Argument für die Zustände, die in vielen Tiermastbetrieben allein in Deutschland herrschen. Die Deutschen sind ausgesprochene Fleischesser, wollen zugleich aber gute Haltungsbedingungen für Nutztiere. – In der Massentierhaltung kann es gar nicht zu einer guten Haltung der Tiere kommen, die Art der Haltung und Tierwohl schließen sich aus.
Doch dank der kognitiven Dissonanzfähigkeit der Verbraucher, stört dieser Umstand weder Hinz noch Kunz.
Der „Fleischatlas 2021“ der Heinrich-Böll-Stiftung, dem BUND und der deutschen Ausgabe der Monatszeitung Le Monde Diplomatique zeigt die Probleme der Massentierhaltung auf.
Zur Wahrheit gehört, dass die Implikationen der Massentierhaltung wesentlich schwerer wiegen als ein „Walgenozid“.
Die Top fünf Konzerne der Fleisch- und Milchindustrie stoßen genauso viel klimaschädliche Gase aus wie Exxon, der größte Ölkonzern der Welt. Für die Tierhaltung werden häufig Moorflächen genutzt, dadurch werden Lebensräume vieler Tierarten zerstört, zudem wird zusätzliches CO2 freigesetzt, das zuvor im Moor gespeichert war.
Die führenden Anbauländer von Futtermitteln gehören zu den größten Anwendern von Pestiziden, – das schädigt Grundwasser und Biodiversität. Der Einsatz von Antibiotika begünstigt die Bildung antibiose-resistenter Keime. – Dies, um nur einige Problemfelder zu nennen.
Die mit der Massentierhaltung einhergehende Tierquälerei sei dabei immer mitgedacht. Die offensichtliche Tierquälerei ist auch der Aspekt, der bei der Grindadráp den unbedarften Beobachter verstört.
Daher sollte man, anstatt die Reise auf die Färöer aus Protest zu stornieren oder gar nicht erst zu buchen, zuerst den eigenen Tierprodukt- und Fleischkonsum bewerten. Die Erfahrung zeigt, das in den meisten Fällen der „kritische Endverbraucher“ vor allem kritisch gegen die anderen ist.