Erhöhte Unfallgefahr durch verminderte Aufmerksamkeit
Norwegischer Forscher warnt vor „Touchscreenisierung“ des Autos
Hirnforscher Kenneth Hugdahl hat bei der „Norwegian Brain Health Conference 2024“ deutliche Worte gefunden: Der Trend, in Autos immer mehr Funktionen auf Bildschirme zu verlagern, stehe eindeutig im Widerspruch zu den natürlichen Grenzen des menschlichen Gehirns.
„Es ist eigentlich unmöglich, zwei Gedanken gleichzeitig im Kopf zu haben“, sagte der emeritierte Professor für Biologische Psychologie und verwies auf die grundlegende Art, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet – Schritt für Schritt, nicht parallel.
Diese Eigenschaft mache es nahezu unmöglich, die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf den Straßenverkehr und einen Touchscreen zu richten. „Ein Sekundenbruchteil genügt, um in eine katastrophale Situation zu geraten“, sagte er.
Die Problematik wird durch eine aktuelle Studie von SINTEF unterstrichen. Im Auftrag des norwegischen Rates für Verkehrssicherheit haben Forscher dort untersucht, wie lange es dauert, während der Fahrt Aufgaben auf einem Touchscreen zu erledigen.
Zum Vorgehen: Mit einer Kamera wurden die Augenbewegungen von 44 Fahrern aufgezeichnet, die testweise das Einstellen der Temperatur, das Wechseln von Radiokanälen oder die Nutzung des Navigationssystems ausführten.
Eine Zeit, in der die Aufmerksamkeit vollständig von der Straße abgelenkt war
Die Eingabe einer Adresse im Navigationssystem erwies sich dabei als besonders anspruchsvoll und dauerte im Durchschnitt 16 Sekunden. Eine Zeit, in der die Aufmerksamkeit vollständig von der Straße abgelenkt war.
Selbst vergleichsweise einfache Aufgaben wie die Suche nach Musik benötigten durchschnittlich 10 Sekunden, was Ann-Helen Hansen vom norwegischen Rat für Verkehrssicherheit zu einem klaren Fazit veranlasst: „Wenn man den Blick von der Straße abwendet, fährt man im Grunde blind.“
Auch Kjell Vegard Weyde vom Institut für Verkehrswirtschaft (TØI) bestätigt, dass Studien immer wieder den negativen Einfluss der Bildschirmnutzung im Auto auf die Aufmerksamkeit belegen. Bereits ein Blick von mehr als zwei Sekunden Dauer verdoppelt laut Forschungsergebnissen das Unfallrisiko.
Ein weiteres Problem zeigt sich, wenn Fahrer unsicher sind und erneut nachschauen wollen, ob ihre Eingaben auf dem Touchscreen erfolgreich waren. „In unserer Pilotstudie fiel es mehreren Teilnehmern schwer zu erkennen, ob ihre Aktion auf dem Bildschirm abgeschlossen war“, so Weyde.
Der Trend hat besonders für ältere Menschen potenziell schwerwiegende Folgen
Besonders kritisch sieht Hugdahl die Entwicklung für ältere Autofahrer, deren Fähigkeit naturgemäß abnimmt, den Fokus zwischen Bildschirm und Verkehr zu wechseln. Diese Verlangsamung könne in kritischen Momenten entscheidend sein.
„Dies hat besonders für ältere Menschen schwerwiegende Folgen“, erklärt Hugdahl. „Es ist nicht so, dass diese Gruppe die neuen Funktionen nicht nutzen könnte, sie benötigt aber mehr Zeit dafür, was im Straßenverkehr ein Problem darstellt.“
Auf die Frage, worauf ältere Menschen beim Kauf eines neuen Autos achten sollten, antwortete Hugdahl: „Auch wenn Elon Musk mir das vielleicht übel nimmt, würde ich sagen: Überlegen Sie es sich gut, bevor Sie sich für einen Tesla als erstes Elektroauto entscheiden.“
Die jüngsten Tesla-Modelle hätten beispielsweise den traditionellen Blinkerhebel entfernt und durch Knöpfe am Lenkrad ersetzt. „Wir sind es sehr gewohnt, dass sich die Blinker an einem Hebel befinden. Es braucht Zeit, sich an eine so tief verwurzelte Änderung zu gewöhnen, insbesondere für ältere Fahrer.“
„Je automatisierter das Fahren, desto wahrscheinlicher, dass die Aufmerksamkeit nachlässt“
Die Problematik endet jedoch nicht bei den Blinkerhebeln. Hugdahl weist darauf hin, dass ältere Menschen bei der Entwicklung neuer Produkte häufig übersehen werden, während jüngere Fahrer, die mit digitalen Bildschirmen aufgewachsen sind, flexibler im Umgang mit diesen Technologien seien.
Es bleibe spannend zu beobachten, ob diese jüngere Generation mit zunehmendem Alter weiterhin sicher mit bildschirmbasierten Bedienelementen im Verkehr umgehen könne. Weyde ergänzt, dass moderne Fahrerassistenzsysteme wie die adaptive Geschwindigkeitsregelung (ACC) oder Spurhalteassistenten das Potenzial hätten, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, wenn sie korrekt genutzt würden.
Doch laut Science Norway gibt es Hinweise darauf, dass manche Fahrer diesen Systemen zu viel Vertrauen schenken und sich daher stärker mit Aufgaben beschäftigen, die nichts mit dem Fahren zu tun haben – wie etwa die Bedienung von Touchscreens.
In Experimenten habe sich gezeigt, dass Fahrer mit aktivierter ACC signifikant mehr Zeit damit verbringen, auf den Bildschirm des Fahrzeugs zu schauen, sagt Weyde. Dies führe zu einer gefährlichen Tendenz: „Je automatisierter das Fahren, desto wahrscheinlicher, dass die Aufmerksamkeit nachlässt.“