„Der Brexit ist ein mittelmäßiges Saxophon-Solo“
Positive Endzeitstimmung – Gruff Rhys auf Babelsberg-Tour
Endzeitstimmung mit Hoffnungsschimmer, so kommt die neue Platte des walisischen Ausnahmemusikers Gruff Rhys daher. Nordisch.info hat am vergangenen Dienstag das Konzert in Köln besucht.
Gruff Rhys, eine Legende auf der Insel, ist Musikkennern in unseren Landen als Frontmann und kreativer Motor der Super Furry Animals bekannt, ab Mitte der 90er-Jahre eine der hippsten britischen Indie-Bands. Die Combo feierte damals Mainstream-Erfolge, ohne jedoch an den kommerziellen Triumph der Britpop-Größen heranzukommen. Aber Gruff geht es ohnehin nur um Musik und um den Zustand unserer Epoche.
Das Album „Babelsberg“ wurde bereits vor zwei Jahren in einer dreitägigen Session mit Stephen Black (Sweet Baboo), Osian Gwynedd und dem Drummer Kliph Scurlock (ex-Flaming Lips) aufgenommen. Doch Gruff Rhys schwebte von Anfang an ein anderer Klang für die Platte vor: er wollte einen orchestralen Sound.
So gingen weitere 18 Monate ins Land, bis der in Swansea lebende Komponist Stephen McNeff die Orchesterpartituren vollendet hatte. Eingespielt wurde das Album schließlich vom 72-köpfigen BBC National Orchestra Of Wales.
Ins Studio 672 in Köln passten jedoch lediglich 72 Konzertbesucher, ein Barmann, ein T-Shirtverkäufer und die vierköpfige Band. – Der Musikredakteur Rob Allen aus Manchester, ein intimer Kenner von Gruff Rhys‘ Musik und Darbietungen, empfahl uns das Konzert mit den Worten „Es ist eine kleine Theateraufführung. Gruff ist hochunterhaltsam.“ Wir wurden nicht enttäuscht.
Auf der kleinen Bühne hält er zuanfang ein großes Schild mit dem Titel seiner Platte hoch, das Publikum ist erheitert. Dann legt er das Schild auf die Seite – wir haben das Gefühl, der Vorhang höbe sich – dann holt er ein kleineres Schild zum Vorschein auf dem „SIDE 1“ steht. Der erste Akt beginnt mit dem Stück „Frontier Man“.
Frontier Man – ein Western-Folk-Song der späten 60er, eine volle Dröhnung des Lee Hazlewood-Klangs. Wie ein Schwur auf eine Zeit der scheinbar homöostatischen politischen Verhältnisse des Ost-West-Konflikts und zugleich der Zukunftsgläubigkeit und Mondreisen. Eine Klammer, die geöffnet wird.
Im „dritten Akt“ der Theateraufführung kommt eines seiner älteren Lieder zum Einsatz. Es heißt „Colonise the Moon“ – die Klammer wird geschlossen. – Zur Einleitung des Liedes hält er ein Blatt Papier hoch, darauf steht: „Der Brexit ist ein mittelmäßiges Saxophon-Solo“.
Das vorgetragene Lied enthält die Zeile „I vomited through your saxophone solo.“ Ausdruck seiner Verachtung mittelmäßiger Musiker einerseits, ganz sicher ein Kommentar zu den mittelmäßigen Politikern auf der Insel andererseits, die sich in maßloser Überschätzung für großartig halten.
Gruff Rhys ist zuallererst Musiker, jedoch ein Musiker, der mit beiden Beinen auf walisischem Boden steht. Wie fast immer singt Gruff in Englisch und Walisisch. Walisisch ist in diesem Fall politisch. Seine Landsleute in Wales haben beim Brexit-Votum überdurchschnittlich häufig dafür gestimmt. Das provozierte Gruff 2016 zu einer Liebeserklärung an die EU, in der er unzweideutig sang „I Love EU“.
Nach dem Besuch des Konzerts in Köln können wir antworten, „Und die kleinen Klubs und die EU lieben dich! – Willst du uns heiraten?“
Kaufen Sie seine Platten, kaufen Sie seine Konzertkarten, hören Sie sich den begnadeten Musiker, den walisischen Europäer, auf Spotify an!
ap