„Unvergleichlicher“ Blick in die Vergangenheit
England: 3D-Scans werfen neues Licht auf mysteriöse römische Bestattungspraxis
Archäologen der University of York haben mit Hilfe von 3D-Scans eine römische Bestattungspraxis untersucht, über deren Hintergrund noch so gut wie nichts bekannt ist. Dabei geht es um in Särgen beigesetzte Körper von Erwachsenen und Kindern, die mit flüssigem Gips übergossen wurden.
Zwar bleibt auch nach den Scans mysteriös, weshalb diese Form der Bestattung angewandt wurde – in gehäufter Form übrigens in der Region um York. Aber immerhin ist es den Forschern gelungen, sich ein besseres Bild von dem Ritual zu machen.
Zugleich war es das weltweit erste Mal, dass die 3D-Technologie bei römischen Gräbern dieser Art zum Einsatz kam. Ziel war es nach Angaben der Archäologen, Hohlräume in den Gipshüllen genau zu erfassen und zu analysieren.
Die Forscher teilten dazu vor wenigen Tagen mit, durch das Projekt seien „unvergleichliche“ Bilder entstanden. Bilder, die ein völlig neues Licht auf die mindestens 1600 Jahre alte Bestattungspraxis werfen würden.
Zum Einsatz kam das Verfahren sowohl bei Blei- als auch bei Steinsärgen. Und zwar immer so, dass die bekleideten Körper der Verstorbenen vor dem Begräbnis mit dem Gips überzogen wurden – mit in der Konsequenz spannenden Perspektiven für die heutige Zeit.
Denn natürlich härtete der Gips um den Leichnam herum aus und bildete auch über den Zerfallsprozess hinaus eine Art Abbild des Körpers, das der Wissenschaft heute viel über die ursprüngliche Position und die Konturen der Toten verrät. Eben mithilfe von 3D-Scans.
Erkennbar wurden zum Beispiel Abdrücke von Leichentüchern, Kleidern und Schuhen. Und klar scheint nun auch zu sein, dass diese sehr spezielle Art der Bestattung ausschließlich Menschen von hohem Status vorbehalten war.
Archäologin: „3D-Modell verdeutlicht Unklarheiten auf verblüffende Weise“
Römische Gipsgräber unterschiedlichster Art wurden bislang auch andernorts in Europa und Nordafrika gefunden. In der Gegend um York scheint die Konzentration aber weit höher zu sein, hier wurden seit dem späten 19. Jahrhundert ganze 45 solcher Gräber festgestellt.
Für das Forschungsprojekt wurde ein außergewöhnlicher Gipsabguss verwendet, der nicht bei einer einzelnen Person, sondern beim Begräbnis einer Kleinfamilie angewandt wurde – tragischerweise bestehend aus zwei Erwachsenen und einem Säugling.
Professor Maureen Carroll, Inhaberin des Lehrstuhls für Römische Archäologie an der Universität York, dazu: „Die 3D-Bilder ermöglichen es uns, den ergreifenden Tod einer Familie vor über 1600 Jahren nachzuempfinden. Wir sehen auch die Sorgfalt, mit der man bei der Bestattung vorging.“
Und weiter: „Die Umrisse der drei Personen im Gips sind mit bloßem Auge erkennbar, aber ohne die Scans wäre es schwierig, die Beziehung der Körper zueinander und die Art der Kleidung zu erkennen. Das entstandene 3D-Modell verdeutlicht diese Unklarheiten auf verblüffende Weise.“
Die Scans zeigen, dass alle Leichen der Gruppe in Vorbereitung auf die Bestattung und vor ihrem Verschwinden unter einer Schicht aus flüssigem Gips von Kopf bis Fuß vollständig in Leichentücher und Textilien unterschiedlicher Qualität und Bindung gehüllt waren.
Winzige Details wie die Bänder, mit denen die Leichentücher über den Köpfen der Erwachsenen gebunden wurden, sind nun deutlich zu erkennen. Ebenso die Stoffbänder, mit denen der Säugling eingewickelt war.
Das Projekt wurde von der University of York finanziert und von der Abteilung für Archäologie des York Museums Trust und Heritage360 durchgeführt. Lucy Creighton, Kuratorin für Archäologie am Yorkshire Museum:
„Diese bahnbrechende Technologie eröffnet uns aufregende neue Möglichkeiten, unsere ohnehin einzigartige Sammlung neu zu erleben und mit ihr sozusagen in Kontakt zu treten.“ Das Projektteam hofft nun auf umfangreiche Forschungsfinanzierung.
Ziel wäre es, alle 16 Yorker Gipsschalen und Skelette zu scannen, um Merkmale wie Alter, Geschlecht, Ernährung und sogar die geografische Herkunft bestimmen zu können. Und natürlich erhofft man sich auch neue Erkenntnisse, weshalb man gesellschaftlich hochgestellte Personen derart begrub.