Früheste Hinweise auf bäuerliches Leben
Bei Bauarbeiten in Norwegen entdeckt: 4.000 Jahre alte Grabkammer lässt kulturhistorisch tief blicken
Einen kulturhistorisch äußerst spannenden Fund vermelden Archäologen aus Norwegen, wo in der Gemeinde Selje eine mit Steinen ausgekleidete Grabkammer aus dem späten Neolithikum entdeckt wurde – darin die sterblichen Überreste von mindestens fünf Menschen.
Fotos 1 bis 4: Universitätsmuseum Bergen
Vor allem: Die bei Bauarbeiten zufällig gefundene Stätte könnte nach Ansicht von Forschern des Universitätsmuseums in Bergen Hinweise auf die ersten bäuerlichen Stehversuche liefern, die an der Westküste Norwegens stattgefunden haben. Das zeigt, wie groß der Fund potenziell ist.
Denn im Unterschied zu anderen Erdregionen, wo die Menschen bereits um 10.000 vor Christus zu Ackerbau und Viehzucht übergingen, war die nordische Gesellschaft noch über Jahrtausende hinweg primär von Jagd, Fischfang und einem nomadisch geprägten Lebensstil bestimmt.
Daraus resultieren zwei Bereiche, die in der norwegischen Archäologie von großem Interesse sind: Erstens die Frage, wie und warum sich die Idee der Landwirtschaft hier erst mit massivem Zeitverzug etablieren konnte. Und zweitens, wer die ersten Bauern im Norden waren.
Hier kommt das neu entdeckte Grab ins Spiel, das auf die Zeit zwischen 2.140 und 2.000 vor Christus datiert wurde. Es enthielt neben den Knochen der Verstorbenen unter anderem eine Sichel, von der die Forscher annehmen, dass sie zur Getreideernte verwendet wurde. Also ein fast schlagendes Indiz für landwirtschaftliche Tätigkeit.
Highlight der Ausgrabung: die 3 Meter lange und 1,5 Meter breite Grabkammer
Seit April haben die Archäologen des Universitätsmuseums Ausgrabungen auf dem Gelände eines neuen Hotels direkt an der Nordseeküste durchgeführt. Dabei wurde als Highlight die etwa 3 Meter lange, 1,5 Meter breite und fast einen Meter hohe Grabkammer gefunden.
Darin lagen die Überreste eines älteren Mannes, einer jungen Frau und eines etwa zweijährigen Kindes. Daneben Knochenfunde zweier weiterer Personen, die wohl bewegt oder beiseite geschoben wurden, um „Platz“ für weitere Verstorbene zu machen.
„Die Grabkammer von Selje bietet uns mit ihrer Menge an Knochen eine einzigartige Gelegenheit, die ersten Gruppen von Menschen zu untersuchen, die in der Region als Bauern lebten. Es ist der erste Fund dieser Art an der Westküste Norwegens“, teilte Archäologin Yvonne Dahl gegenüber Live Science mit.
Geplante DNA-Tests an den Skeletten von Selje sollen nun Aufschluss darüber geben, ob die Verstorbenen mit landwirtschaftlichen Kenntnissen aus dem Osten Norwegens – wo wohl schon etwas früher Ackerbau betrieben wurde – nach Westen gewandert sind.
Gut möglich, dass die Begrabenen bäuerliche Vorreiter ihrer Zeit waren
Oder ob es sich um eine lokale Gruppe von Menschen handelte, die sich bewusst für ein bäuerliches Leben entschied. In jedem Fall wird die Gemeinde Selje von Forschern wie Dahl eindeutig als ein Ort angesehen, der „gesellschaftlichen Treffpunkt-Charakter“ hatte.
„In der Region muss es seit vielen tausend Jahren regen Austausch von Menschen, Ideen und Waren gegeben haben“, so Dahl weiter, was sozusagen auch den Ackerbau als Lebensentwurf betroffen haben dürfte. Womöglich waren die Begrabenen Vorreiter ihrer Zeit.
Weitere Untersuchungen werden nun nötig sein, um festzustellen, in welchem möglicherweise familiären Verhältnis die Verstorbenen zueinander standen. Der Grabfund von Selje dürfte der Archäologie in Norwegen noch viele spannende Erkenntnisse liefern.