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„Ein Wettlauf gegen die Zeit“

Bedrohte Zeitkapseln: 17. Jh.-Gräber belegen Härten des Walfangs

Die hoch im Norden gelegene Inselgruppe Svalbard (Spitzbergen) bewahrt seit Jahrhunderten ein besonderes archäologisches Erbe: Gräber von Walfängern aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Doch mit steigenden Temperaturen geraten diese historischen Stätten zunehmend in Gefahr.

Walfang Gräber
Höchste Zeit: Viele der teils Jahrhunderte alten Gräber sind vom Klimawandel bedroht. (Foto: Lise Loktu / NIKU)

Schmelzender Permafrost destabilisiert die Gräber, beschleunigt ihren Verfall – und spülte einige der Stätten sogar schon ins Meer. Damit gehören auch die Fundstätten in Smeerenburgfjorden im Nordwest-Spitzbergen-Nationalpark zu den ältesten und empfindlichsten Kulturerbestätten Svalbards.

Rund 600 Walfänger wurden hier bestattet, ihre Überreste über Jahrhunderte hinweg im Permafrost konserviert. Doch der Klimawandel verändert die Bedingungen in rasantem Tempo: Auftauender Boden setzt die Knochen und Textilien der Erosion und dem mikrobiellen Zerfall aus.

Unter der Leitung der Archäologin Lise Loktu vom Norwegischen Institut für Kulturerbeforschung (NIKU) untersucht daher das Forschungsprojekt „Skeletons in the Closet“ den Zustand der Gräber. „Diese Stätten sind eine einmalige archäologische Quelle, die es in dieser Form weder in Europa noch anderswo gibt“, erklärt Loktu.

Ein wissenschaftlicher Wettlauf gegen die Zeit

In den vergangenen 30 bis 40 Jahren hat sich das Klima auf Svalbard dramatisch gewandelt. Höhere Temperaturen sorgen für extreme Wetterlagen, mehr Niederschlag und eine verstärkte Küstenerosion.

Mit jedem Jahr taut der Boden tiefer auf, was die Bestattungsstätten weiter destabilisiert. Gleichzeitig führt eine geringere Meereisbedeckung zu stärkerer Wellenbewegung – eine Entwicklung, die den Verfall der Gräber weiter beschleunigt.

„In Likneset haben wir dokumentiert, dass viele Gräber bereits zerstört sind“, sagt Loktu. „Die Särge brechen zusammen, wodurch Knochen und Textilien dem Sediment, Wasser und Sauerstoff ausgesetzt werden.“ Der Zerfall schreitet so schnell voran, dass Forscher ihn von Jahr zu Jahr beobachten können.

„Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Wir müssen so viele Informationen wie möglich sammeln, bevor diese Zeugnisse für immer verschwinden“, mahnt die Forscherin. Denn die sterblichen Überreste der Walfänger geben wichtigen Einblick in das Leben europäischer Seeleute im 17. und 18. Jahrhunderts.

Von 1985 bis 1990 förderten Ausgrabungen eine Fülle an Knochenfunden zutage, die von der Osteologin Elin T. Brødholt von der Universität Oslo analysiert wurden. Die Studien geben Aufschluss über die Gesundheit, Lebensbedingungen und sozialen Strukturen der damaligen Walfanggesellschaften.

Viele der Bestatteten stammten aus verschiedenen europäischen Ländern, darunter Westnorwegen. Ihre Ernährung war stark von Meeresfrüchten geprägt. Und entgegen der Annahme, Walfänger seien durchweg arme Männer gewesen, zeigen die Funde erstaunliche soziale Unterschiede.

So waren die in Likneset bestatteten Männer im Schnitt größer als die in anderen Friedhöfen, was auf eine bessere Ernährung und wirtschaftliche Bedingungen in ihrer Kindheit schließen lässt.

Knochenanalysen belegen die körperlichen Strapazen des Walfangs

Die Knochenanalysen belegen zudem die körperlichen Strapazen des Walfangs. Viele der Männer litten an Mangelernährung und Krankheiten, häufigster Todesgrund war wohl Skorbut – ausgelöst durch Vitamin-C-Mangel.

Die starken Abnutzungsspuren an den Knochen deuten zudem darauf hin, dass die Walfänger schon in jungen Jahren harte körperliche Arbeit verrichten mussten. Besonders ausgeprägte Belastungsspuren an Oberkörper und Armen ähneln denen indigener Inuit-Völker, die Kajaks zur Jagd nutzten.

Einige der Walfänger dürften daher spezialisierte Aufgaben wie Rudern oder Harpunieren übernommen haben. Mit dem zunehmenden Verfall der Gräber droht nun ein wichtiges Kapitel der Geschichte unwiederbringlich verloren zu gehen.

„Die Küstenerosion spült die Gräber buchstäblich ins Meer“, warnt Loktu. „Hier geht es um Wissen, das nirgendwo sonst auf der Welt erhalten ist – und das wir für immer verlieren könnten.“ Eile ist geboten, im Sinne der Wissenschaft.

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