Honigglasiertes Wildfleisch und Co.
England: Erstaunlich komfortable Lebensweise in 3.000 Jahre alter Moorsiedlung nachgewiesen
Eine neue archäologische Studie hat in noch nie dagewesener Ausführlichkeit das tägliche Leben der Menschen in einer prähistorischen Stelzenhaus-Siedlung beschrieben. Die „Must Farm“, eine Gemeinde von Moorbewohnern aus der späten Bronzezeit, wird auf etwa 850 vor Christus datiert.
Alle Bilder: Cambridge Archaeological Unit (CAU)
Bild 1: Die Ausgrabungsstätte „Must Farm“ in Whittlesey.
Bild 2: Die Moorsiedlung wurde etwa 850 v. Chr. gegründet.
Bild 3: Fünf Gebäude der Siedlung wurden untersucht.
Bild 4: Die Überreste einer Axt, die unter einem Bauwerk gefunden wurden.
Bild 5: Keramikschüssel mit Überresten eines Weizenmehl-Breis.
Bild 6: Ein Stück feines Textil, das ausgegraben wurde.
Zu den Besonderheiten der Stätte gehört, dass sie vor annähernd 3.000 Jahren komplett in Flammen aufgegangen ist. Zu der lokalen Katastrophe muss es rund ein Jahr nach Gründung der Gemeinde gekommen sein.
Dabei stürzten alle Gebäude und die in ihnen enthaltenen Artefakte in den schlammigen Untergrund. In der Kombination aus Verkohlung und Feuchte fanden die Archäologen der University of Cambridge einen Grad außergewöhnlicher Konservierung vor. Das brachte der Stätte den Beinamen „britisches Pompeji“ ein.
Im Zuge der umfassenden und langwierigen Untersuchungen konnten die Wissenschaftler vier große Rundhäuser aus Holz und ein quadratisches Eingangsgebäude freilegen. Einst errichtet auf Stelzen über dem langsam dahingleitenden Fluss.
Die gesamte Siedlung wurde etwa zwei Meter über der Wasseroberfläche errichtet, wobei einige der Haupthäuser durch Stege miteinander verbunden waren. Das Ganze war zum Schutz von einem etwa zwei Meter hohen Zaun aus angespitzten Pfosten umgeben.
Anhand jahrelanger Forschungen konnte nun rekonstruiert werden, dass die Moorbewohner einen überraschend komfortablen Lebensstil pflegten. Es gab Grundrisse, die modernen Häusern durchaus ähnelten, Mahlzeiten mit honigglasiertem Wildfleisch, Kleidung aus feinem Leinen – und sogar Papierkörbe.
Die Archäologen aus Cambridge sind der Ansicht, dass die Fundstätte einen einzigartigen Bauplan für die Architektur, die Inneneinrichtung und die allgemeine Häuslichkeit der Menschen liefert, die das sumpfige Moorgebiet von East Anglia im 9. Jahrhundert vor Christus bewohnten.
“Diese Menschen waren selbstbewusste und versierte Hausbauer“
„Diese Menschen waren selbstbewusste und versierte Hausbauer. Sie hatten einen Entwurf, der sich hervorragend in die morastige Landschaft einfügte“, sagt Mark Knight, Mitverfasser des Berichts und Grabungsleiter an der Cambridge Archaeological Unit (CAU).
Der Fluss, der unterhalb der Siedlung verlief, war seicht, träge und dicht mit Vegetation bewachsen. Dadurch wurden die verbrannten Überreste an den Stellen, an denen sie herunterfielen, abgefedert und bildeten einen archäologischen Spiegel dessen, was darüber lag.
Eines der Hauptrundhäuser mit einer Grundfläche von fast fünfzig Quadratmetern wies verschiedene Aktivitätszonen auf, die mit den Räumen eines modernen Hauses vergleichbar sind. „Die Forschung war fast so, als würde man von einem Immobilienmakler durch ein bronzezeitliches Stelzenhaus geführt“, sagt Knight.
Keramische und hölzerne Gefäße, darunter winzige Tassen, Schalen und große Vorratsgefäße, wurden im nordöstlichen Bereich gefunden, dem Standort einer Küche. Einige Gefäße waren sogar ineinander geschachtelt und so konzipiert, dass sie gestapelt werden konnten. Platz sparen in der späten Bronzezeit.
Entlang der Ostseite des Gebäudes lagerten Metallwerkzeuge, während der leere nordwestliche Bereich wahrscheinlich zum Schlafen genutzt wurde. Der südöstliche Raum enthielt viele Stofffragmente sowie Spulen und Webstuhlgewichte.
Der südwestliche Bereich des Rundhauses war für die Haltung von Lämmern reserviert. Es gab keine Hinweise darauf, dass Menschen bei dem Brand ums Leben gekommen sind, aber mehrere Tiere waren gefangen und verbrannten wohl bei lebendigem Leibe.
Die Textilien waren mit das Feinste aus dieser Zeit, das jemals in Europa gefunden wurde
Skelettreste zeigten, dass die Lämmer drei bis sechs Monate alt waren, was darauf schließen lässt: die Siedlung fiel wohl irgendwann im Spätsommer oder Frühherbst dem verheerenden Brand zum Opfer. Der Bau der Holzhäuser ist den Erkenntnissen zufolge erst neun bis zwölf Monate vorher abgeschlossen worden.
Die Textilien waren mit das Feinste aus dieser Zeit, das jemals in Europa gefunden wurde. Die Forscher konnten Stoffreste typisieren, die einst für ein samtweiches Tragegefühl standen, versehen mit erstaunlich sauberen Nähten und Säumen.
Jedes Rundhausdach bestand aus drei Schichten: isolierendes Stroh, darüber Torf und zum Schluss Lehm. So waren sie warm und wasserdicht, aber dennoch gut belüftet. „In einem eisigen Winter, wenn der Wind wehte, dürften diese Rundhäuser ziemlich gemütlich gewesen sein“, folgert Knight.
Die Bewohner von Must Farm nutzten die örtlichen Wälder, nachweislich im Umkreis von etwa drei Kilometern, zur Jagd auf Wildschweine und Hirsche, zum Weiden von Schafen und zur Ernte von Getreide wie Weizen und Flachs.
Die Wasserwege waren für den Transport all dieser Materialien unerlässlich. Flussaufwärts wurden die Überreste von neun aus alten Baumstämmen ausgehöhlten Kanus gefunden, die aus der Bronze- und Eisenzeit stammen, darunter auch einige aus der Zeit von Must Farm.
„In der kurzen Zeit, in der die Stätte bestand, wurden viele Bootsfahrten durch die Schilfsümpfe zu den Wäldern unternommen“, heißt es in einem Forschungsbericht der Uni Cambridge. Keine Frage, den Forschern ist es gelungen, ein spannendes Bild aus der Bronzezeit zu zeichnen.