„Ich bin regelrecht überwältigt“
England: Wohl einzig erhaltene Shakespeare-Bühne in uraltem Rathaus entdeckt – bei Sanierung
In einem mittelalterlichen Rathaus in England ist bei Renovierungsarbeiten etwas zum Vorschein gekommen, das man nicht nur in Kulturkreisen als Sensation bezeichnen kann: die wohl einzig erhaltene Bühne, auf der William Shakespeare (1564-1616) aufgetreten ist.
Bilder 1 bis 5: Council of King’s Lynn & West Norfolk
Die rund 600 Jahre alten Eichendielen fanden sich im Unterboden eines Veranstaltungssaals in der St. George’s Guildhall in King’s Lynn (Norfolk). Das Versammlungshaus aus dem frühen 15. Jahrhundert wurde später nachweislich auch als Theater genutzt. Dramaturgisch passt es also.
Konkret 1593, als die Londoner Theater wegen eines Pestausbruchs geschlossen waren, trat Shakespeare mit seiner Schauspielertruppe in King’s Lynn auf. Aus einem Vermerk im Rechnungsbuch des Theaters geht hervor, dass der heute weltberühmte Dichter mitsamt seinem Ensemble für Auftritte bezahlt wurde.
Jahrhunderte später wurde das unter Denkmalschutz stehende Gebäude 1951 von einem örtlichen Grundbesitzer an den National Trust übergeben, der es im nächsten Schritt an den Regionalrat von King’s Lynn und West Norfolk verpachtete.
Doch das in Teilen baufällige Gebäude, das auch eine Kunstgalerie und einen Vortragsraum beherbergt, wurde nie wirklich ausreichend genutzt, sodass seine Zukunft bis vor wenigen Jahren ungewiss schien. So sehr, dass ein Abriss schon mehrfach diskutiert worden ist.
Zum Glück wurde das in Teilen baufällige Haus aus dem 15. Jahrhundert nie abgerissen
Zum Glück kam es nicht dazu, muss man spätestens nach den aktuellen Meldungen sagen. Grund dafür sind staatliche Mittel, die der Träger für eine ordentliche Restaurierung des Gebäudes erhielt – flankiert durch archäologische Arbeiten, die in den letzten zwei Monaten durchgeführt wurden.
Ein Gutteil des nun entdeckten, ursprünglichen Holzbodens wurde auf die Zeit zwischen 1417 und 1430 datiert, als das Gebäude gerade errichtet worden war. Die Bühne hatte also schon ein paar Jahre auf dem Buckel, als Englands Nationalheld mit seinem Ensemble anrückte.
Die großen Eichenbretter sind fast 30 Zentimeter breit und 15 Zentimeter dick. Sie werden nicht mit Nägeln, sondern mit Holzpflöcken zusammengehalten, weshalb die an der Untersuchung beteiligten Archäologen davon ausgehen, dass der Boden einst mit viel Aufwand von Schiffszimmerleuten verlegt wurde.
Tim FitzHigham, selbst Schauspieler und aktuell kreativer Leiter des Hauses, teilte mit, er sei von der Entdeckung regelrecht „überwältigt worden“. Zunächst habe es noch Zweifel gegeben, „aber nun sind sich die Experten sicher, dass dies die Dielen sind, auf denen Shakespeare stand“.
„Das macht dieses Gebäude national und international extrem wichtig“, sagt FitzHigham weiter. Wenn man bedenkt, dass bereits der Abriss im Raum stand, wird die hölzerne Neuentdeckung aus King’s Lynn nur umso bemerkenswerter.
„Muss jeden freuen, der sich für Shakespeare und die Theater seiner Zeit interessiert“
Dr. Jonathan Clark, der projektleitende Archäologe, sagte: „Es ist sehr ungewöhnlich, dass so viel vom ursprünglichen Fußboden erhalten geblieben ist. Normalerweise gibt es zwar Balken und Unterzüge, aber der eigentliche Bodenbelag wurde meist ersetzt.“
Und weiter: „Zur Sicherheit haben wir Proben entnommen und anhand der Jahresringe des Holzes eine Datierung ermittelt. Es handelt sich definitiv um einen Fußboden aus dem frühen 15. Jahrhundert.
„Jeder, der sich für Shakespeare und die Theater seiner Zeit interessiert, muss sich über die Entdeckung der einzigen erhaltenen Bühne freuen, auf der er aufgetreten ist“, äußerte sich laut einer Pressemitteilung des Council of King’s Lynn & West Norfolk Prof. Sir Stanley Wells.
Er ist Ehrenpräsident von „The Shakespeare Birthplace Trust“ und freilich selbst Fan des Poeten. Doch nicht nur in kultureller Hinsicht ist der Fund einzigartig, da es sich laut Jonathan Clark wohl auch um die größte Fläche eines mittelalterlichen Holzfußbodens in ganz England handelt. Definitiv ein Fund der Superlative.