Ehemaliger Königssitz?
Gigantisches Langhaus aus 3. Jh. in Norwegen entdeckt
Die eingebundenen Archäologen mussten tatsächlich zweimal hinsehen, doch das Ergebnis war eindeutig: Ein ungewöhnlich großes Langhaus, das einst in Øvre Eiker stand, wurde im 3. Jahrhundert erbaut – und könnte einem König gehört haben.
Die Grabungen in Øvre Eiker nahe Oslo im Sommer 2023 waren mit hohen Erwartungen verbunden – und die Archäologen wurden nicht enttäuscht. Zum Vorschein kam nämlich ein Langhaus von außergewöhnlichen Dimensionen.
Besonders bemerkenswert: seine Breite. Mit einer Spannweite von 9 Metern zwischen den tragenden Dachsäulen und einer Gesamtbreite von 16 Metern brauchte es massive Balken, um die Konstruktion zu stützen.
„Um etwas Vergleichbares zu finden, müssen wir bis ins 15. Jahrhundert zurückgehen. Anfangs dachten wir daher, das Gebäude stamme aus dieser Zeit,“ erklärt Projektleiter Jes Martens, außerordentlicher Professor am Museum für Kulturgeschichte der Universität Oslo.
Wohl das größte Gebäude seiner Zeit in Skandinavien
Die fällige C14-Datierung brachte dann eine Überraschung: Das Gebäude entstand im 3. Jahrhundert – also über 1.000 Jahre früher als angenommen. Die Forscher zweifelten zunächst an den Ergebnissen, doch weitere Analysen bestätigten das Alter der Konstruktion.
„Es war schwer zu glauben. Bisher gefundene Langhäuser aus dieser Zeit waren höchstens 5 bis 7 Meter breit. Diese hätten problemlos in dieses riesige Haus in Sem hineingepasst. So gewaltig ist es,“ sagt Martens. Laut ihm ist es sogar größer als alle bekannten Bauten aus dem damaligen Dänemark oder Schweden.
„Ein derart außergewöhnliches Gebäude muss eine besondere Bedeutung gehabt haben – als Symbol für Macht und Reichtum. Könnte es sich um eine frühe Königshalle handeln? Das ist nicht ausgeschlossen, denn die Lage war strategisch günstig, mit Zugang zu Ressourcen an Land und auf dem Wasser,“ so der Forscher.
Im 3. Jahrhundert herrschte ein vergleichsweise mildes Klima, und der Wasserspiegel lag höher. Es wäre also möglich gewesen, dass große Schiffe bis nach Sem segelten.
Sollte an diesem Ort tatsächlich ein König während der Eisenzeit geherrscht haben – also 700 Jahre vor Harald Schönhaar, der traditionell als erster König Norwegens gilt – müsste die Geschichtsschreibung überdacht werden.
Foto 1: Die riesige Ausgrabungsstätte in der norwegischen Gemeinde Sem. (Museum of Cultural History Oslo)
Foto 2: Die Gruben für die Stützpfosten des Wikingerhauses werden freigelegt und dokumentiert. (Museum of Cultural History Oslo)
Foto 3: Eine rechteckige Kochgrube wird dokumentiert und gezeichnet. (Museum of Cultural History Oslo)
Foto 4: Ein Schwertgriff aus der Merowingerzeit. Im Boden unter Sem überschneiden sich die Epochen. (Museum of Cultural History Oslo)
Foto 5: Eine von mehreren prächtigen Schnallen, die in Sem gefunden wurden. (Museum of Cultural History Oslo)
Foto 6: Eine von zahlreichen Perlen, die geborgen werden konnten. (Museum of Cultural History Oslo)
Foto 7: In den Kochgruben wurden festliche Mahlzeiten zubereitet. (Museum of Cultural History Oslo)
Foto 8: Es waren Hobby-Archäologen mit Metalldetektoren, die Sem im Jahr 2014 auf die archäologische Landkarte gebracht haben. (Museum of Cultural History Oslo)
Foto 9: Heute unscheinbares Hinterland – vor Jahrhunderten mit dem Wikingerschiff erreichbar. (Museum of Cultural History Oslo)
„Es gibt alte skandinavische Überlieferungen, die von Königen aus der Zeit berichten. Diese Berichte wurden bisher allerdings als Mythen abgetan. Aber vielleicht steckt doch mehr Wahrheit dahinter,“ gibt Martens zu bedenken.
Frühzeitliches Machtzentrum in Sem?
Mehrere Entdeckungen stützen die Hypothese eines frühzeitlichen Machtzentrums in Sem. Es gibt Hinweise darauf, dass von hier aus möglicherweise eine politische Vereinigung Südskandinaviens versucht wurde – inspiriert vom Römischen Reich.
„Auf Jütland und Fünen in Dänemark wurden Tausende Waffen und militärische Ausrüstungen aus dieser Epoche gefunden, die aus Norwegen und Schweden stammen. Sie mussten von einer Armee dorthin gebracht worden sein, die versuchte, Westdänemark zu erobern.
Eine solche Armee benötigt jedoch eine starke Führung und große Ressourcen,“ erläutert Martens. Ein spektakulärer Fund in der Nähe des Langhauses gibt weitere Rätsel auf: die Solberg-Vase. Es handelt sich um ein einzigartiges römisches Kameoglas – das einzige seiner Art außerhalb des Römischen Reiches.
„Lange hat man sich gefragt, warum sich die Solberg-Vase in Norwegen befindet. Vielleicht kommen wir jetzt der Antwort näher. Es ist faszinierend, spektakuläre Entdeckungen zu machen, die Geschichte bestätigen. Noch aufregender ist es jedoch, wenn sie unsere Vorstellung von Geschichte verändern,“ sagt Martens.
„Wir haben bisher nur die Hälfte des Hauses untersucht und noch viele offene Fragen. Die restlichen Räume könnten uns Aufschluss über die Nutzung des Gebäudes geben – und darüber, was hier vor 1.800 Jahren wirklich geschah,“ so Martens.