„Schwieriges Rätsel“
War das Oseberg-Wikingerschiff eine Grabstätte mit Luxusmatratze?
Das Oseberg-Wikingerschiff zählt ohne jeden Zweifel zu den großartigsten archäologischen Entdeckungen in Skandinavien. Gefunden wurde es 1904 unter einem Grabhügel auf dem Gelände eines Bauernhofs am westlichen Ufer des Oslofjords zwischen Tønsberg und Horten.
Bilder 1 bis 6: Norwegisches Museum für Kulturgeschichte
In einer im Jahr 834 nach Christus angelegten Grabkammer waren hinter dem Mast des Schiffes zwei Frauen beigesetzt worden. Vieles rund um die Stätte ist bereits erforscht und dokumentiert. Aber es gibt auch noch Fragen, zum Schiff und zur Bestattung. Ziemlich große Fragen sogar.
So konnte bis dato nie abschließend geklärt werden, warum 1904 bei der initialen Ausgrabung an Bord des Schiffes geradezu absurde Mengen von Daunen gefunden wurden. Neue Schätzungen ergaben, dass man damit locker 30 Bettdecken hätte füllen können.
Zur Geschichte der Daunen gehört aber zunächst, dass sie bei der ersten Ausgrabung scheinbar nur als Beiwerk betrachtet wurden und später in musealen Schubladen und Kisten landeten – wo man sie erst 2009 für die Forschung wiederentdeckte.
Marianne Vedeler, Professorin für Archäologie am Museum für Kulturgeschichte, hat sich der Sache angenommen und den Versuch gestartet, das Rätsel des Daunenbergs aus dem Wikingerschiff zu lösen. Denn unbedeutendes Beiwerk scheint das Gefieder mitnichten gewesen zu sein.
Als sie die Daunen untersuchte, die zu ihr ins Museum gebracht worden waren, wogen diese über 31 Kilogramm. Und das war nur die Menge, die die Archäologen tatsächlich mitnahmen. „Es wurde wahrscheinlich viel zurückgelassen“, teilte sie dieser Tage in einem Interview mit.
Der Grund: Während der Ausgrabung 1904 soll es Perioden mit extrem schlechtem Wetter und starkem Regen gegeben haben. Den Dokumenten zufolge schwammen daher dicke Daunenschichten in Schlammlachen durch die mit Leichenbeigaben opulent gefüllte Grabkammer.
Alle Gegenstände im Grab waren von hohem Rang, in Beschaffenheit und Handwerkskunst
Ein Buddha-Gefäß, kunstvoll geschnitzte Tierköpfe und der Oseberg-Wagen sind nur einige Beispiele für die sehr kunstvoll gearbeiteten Artefakte im Inneren der Kammer. Der Begräbnisort befand sich an Deck des Schiffes und enthielt die sterblichen Überreste zweier bis dato unbekannter Frauen.
(Aktuelles Videomaterial zum Oseberg-Wikingerschiff)
„Alle Gegenstände im Grab waren von hohem Rang, sowohl in ihrer Beschaffenheit als auch in ihrer Handwerkskunst“, schildert Vedeler. „In die Herstellung vieler dieser Gegenstände müssen unzählige Arbeitsstunden geflossen sein.“
Doch warum die Daunen? Vedeler selbst hält es für unwahrscheinlich, dass die großen Mengen für so etwas wie Bettdecken bestimmt waren. Sie vermutet stattdessen etwas anders: Die edlen Damen könnten auf dem Weg ins Jenseits auf einer geradezu riesenhaften Luxusmatratze gebettet gewesen sein.
Vedeler argumentiert auch, dass die bekannten geschnitzten Tierköpfe, die im Grab gefunden wurden, mit diesem möglichen Federbett in Verbindung stehen könnten. „Wir wissen eigentlich wenig darüber. Aber wir können sagen, dass die Köpfe in jeder Ecke der riesigen Daunenansammlung gefunden wurden“, sagt sie.
Zur Theorie passen auch Reste eines möglicherweise pflanzlichen Stoffes, die identifiziert werden konnten. Ein Stoff, der möglicherweise als eine Art Matratzenbezug fungiert haben könnte. Wenn es stimmt, wurde den Frauen vor der Beisetzung schlichtweg das Bett gemacht.
Doch so plausibel es auch klingen mag, noch gilt Vedelers Sichtweise in Expertenkreisen als Spekulation. Zumal nicht vergessen werden darf, dass Grabräuber die Kammer Jahre nach ihrer Versiegelung öffneten und die sterblichen Überreste der Frauen entwendeten.
„Ein unglaublich schwieriges Rätsel, das wir noch nicht einmal annähernd gelöst haben“
„Die Diebe holten die Skelette aus dem Grab und zogen sie durch die von ihnen gegrabene Öffnung nach oben“, beschrieben Archäologen in der Dokumentation „The Oseberg Find“ aus dem Jahr 1917, wie sie das Grab nach dem unbefugten Eindringen vorfanden.
Doch auch in dieser Beschreibung tauchen „große Mengen von Daunen“ auf, die scheinbar unter einer Bahre in der Grabkammer gefunden wurden. Dabei war allerdings unklar, ob diese Bahre Teil des ursprünglichen Grabes war oder eine Folge des diebischen Eindringens.
Laut Vedeler ist es heute äußerst kompliziert herauszufinden, wie die Grabkammer aussah, als sie zum ersten Mal versiegelt wurde. „Das ist ein unglaublich schwieriges Rätsel, das wir noch nicht einmal annähernd gelöst haben“, sagt die Forscherin.
Mit Blick auf ihre Theorie sagt sie: „Wenn es sich tatsächlich um eine solche Matratze handelte, könnte sie während des Grabraubs einen tiefen Riss erhalten haben. Und man kann sich ja leicht vorstellen, was als nächstes passierte. Daunen flogen überall herum und vermischten sich mit allem in der Kammer.“
Einige der Gegenstände, die mit den Daunen vermischt worden sein könnten, waren Wandteppiche aus dem Oseberg-Grab. An der Rückseite mehrerer dieser aufwendig und detailreich gearbeiteten Teppiche hatten sich Daunen festgesetzt.
„Wir können endlos darüber spekulieren, was es damit auf sich hat. Könnte ein Daunenbett eine Art Transportmittel ins Jenseits gewesen sein? Sollte die Grabkammer einst sogar ein edles Schlafgemach darstellen?“, fragt Vedeler. Das Oseberg-Schiff dürfte sie noch eine ganze Weile beschäftigen.