Jüngste Entdeckung in Leicester
123 Tote in Schachtgrab: Rätselhafter Grusel-Fund aus 12. Jh.
Ein Grab aus dem 12. Jahrhundert mitten in der englischen Stadt Leicester sorgt aktuell für Grusel und viele Fragen. Bei Ausgrabungen in den Gärten nahe der Kathedrale stießen Archäologen zuletzt auf einen schmalen, vertikalen Schacht, der mit den sterblichen Überresten von 123 Menschen gefüllt war.
Männer, Frauen, Kinder – alle dicht aufeinander geschichtet. „Es handelt sich um eines der größten je im Vereinigten Königreich entdeckten Gräber dieser Art“, berichtet Mathew Morris, Projektleiter bei den archäologischen Diensten der Universität Leicester.
Bekannt ist, dass die Skelette rund 900 Jahre alt sind, aber beim genauen Grund für für die damalige Massenbestattung tappen die Forscher noch im Dunkeln. „Die Knochen zeigen keine Anzeichen von Gewalt, sodass es zwei Möglichkeiten gibt: Hunger oder Seuche“, so Morris. „Und wir tendieren zu Letzterem.“
Aber: Durch die Radiokarbon-Datierung, wonach die Skelette aus dem frühen 12. Jahrhundert stammen, scheidet der Schwarze Tod als Ursache aus. „Das war überraschend“, gesteht Morris. „Was sonst fand damals statt? Die Pest jedenfalls erreichte England erst 1348.“
„Es muss ein verheerender Ausbruch von irgendetwas gewesen sein“
Um Antworten zu finden, schickten die Forscher Proben an Genetiker in London, um nach Viren, Bakterien oder Parasiten zu suchen, die möglicherweise die Katastrophe in Leicester ausgelöst haben. „Es muss ein verheerender Ausbruch von irgendetwas gewesen sein“, sagte Morris dem Guardian.
Trotz der Tragödie muss damals aber eine gewisse Ordnung geherrscht haben. „Es gab immer noch jemanden, der mit einem Karren herumfuhr und Leichen einsammelte. Was wir bei der Untersuchung in der Grube sehen, deutet nicht darauf hin, dass die Körper in Panik entsorgt wurden“, erklärt der Forscher.
Beeindruckend ist, wie die Leichen im Schacht platziert wurden. Morris beschreibt die Szenerie fast plastisch: „Es sieht so aus, als ob aufeinanderfolgende Fuhren von Leichen zum Schacht gebracht und dann hineingeworfen wurden. Eine Ladung auf die andere und das in sehr kurzer Zeit.“
Zahlenmäßig machten die dort hineingeworfenen Menschen wahrscheinlich etwa 5 Prozent der damaligen Bevölkerung aus. Es ist ohne jeden Zweifel ein drastischer Einblick in das mittelalterliche Leben der Region.
Nicht das erste Mal, dass Leicester archäologische Schlagzeilen schreibt
Morris verweist auf schriftliche Überlieferungen aus den angelsächsischen Chroniken, in denen immer wieder große Epidemien und elende Hungersnöte vom 10. bis ins 12. Jahrhundert geschildert werden. „Diese Massengrabstätte liefert einen physischen Beweis für das, was damals im ganzen Land geschah.“
Die Entdeckung ist eng mit einem Kulturprojekt in der Kathedrale von Leicester verbunden. Vor zwölf Jahren sorgte die Stadt nämlich schon einmal für archäologische Schlagzeilen, als die Überreste von Richard III. unter einem Parkplatz nahe der Kathedrale gefunden wurden.
Seither strömen die Besucher herbei. Grund genug, um in den Gärten der Kathedrale, einem ehemaligen Friedhof, ein neues Lernzentrum zu errichten. Dieses Projekt, gefördert vom National Lottery Heritage Fund, führte zu umfassenden Ausgrabungen, die Morris und sein Team nun abgeschlossen haben.
Neben den 123 Leichen aus dem Schacht entdeckten sie die Überreste von insgesamt 1.237 Menschen, begraben in einer ununterbrochenen Abfolge über 850 Jahre hinweg. „Eine einzige Bevölkerung an einem einzigen Ort – so etwas gibt es nicht oft“, erklärt Morris.