Interessante Studie der Universität Göteborg
Schweden: 60 % der späten Wikinger litten an Karies – und unter harten Behandlungsmethoden
Laut einer neuen Studie der Universität Göteborg litt weit mehr als die Hälfte der späten schwedischen Wikingerpopulation (ab dem 10. Jahrhundert) an mitunter schmerzhafter Kariesbildung. Insgesamt wurden 3292 Zähne von 171 Personen untersucht.
Bilder 1 bis 3: Einige der untersuchten Zähne. (Bertilsson C. et al. / Universität Göteborg)
Bilder 4 bis 5: Museum Kata Gård heute: Gräber unter Glas. (Mårten Bergkvist / vastsverige.com)
Zu dieser in der Tat außergewöhnlichen Stichprobe verhalf den Forschenden um Hauptautorin Carolina Bertilsson, dass 2005 bei Ausgrabungen in Varnhem / Skara (Kata Gård) die Überreste einer christlichen Kirche und ein Friedhof mit vielen Wikingergräbern freigelegt werden konnten.
An den für die Studie verwendeten Gebissen wurden klinische und röntgenologische Untersuchungen durchgeführt. Dabei kamen neben dem Grad der Erkrankungen auch Methoden zum Vorschein, die ganz offensichtlich der Linderung dienen sollten.
Die Autoren schreiben dazu: „In der schwedischen Wikingerpopulation litten über 60 Prozent der erwachsenen Individuen an Zahnkaries. Gelegentlich wurden dagegen Behandlungen mit Zahnfeilen und Zahnstochern durchgeführt.“ Und anderes…
Manche Zahnbehandlungen der Wikinger dürften Torturen gewesen sein
Denn: Bei mehreren Individuen war die Kariesbildung derart stark, dass sie massive Schmerzen verursacht haben muss. In solchen Fällen wurden laut den Autoren auch Versuche unternommen, die Probleme mithilfe von Zahnabrieb / Verformungen zu bekämpfen. Es müssen Torturen gewesen sein.
In den meisten Fällen konnten die Forscher Anzeichen von Karies an der Wurzeloberfläche feststellen. Es wurden aber auch Hinweise auf Zahninfektionen (4 %) festgestellt, bei denen es offenbar ebenfalls „Versuche gab, diese zu behandeln“, schlussfolgern die Autoren.
Interessanterweise wurde bei Verstorbenen im Kindesalter (bis 12 Jahre) keinerlei Kariesbildung festgestellt. Es handelte sich also – im Gegensatz zu heute – um ein rein altersbezogenes Gesundheitsproblem, das in vielen Fällen zum vorzeitigen Verlust von Zähnen geführt haben dürfte.
Dies zeigt zugleich das Problem der Stichprobe. Rein datenbasiert nimmt die Kariesprävalenz hier nämlich mit fortschreitendem Alter der Untersuchten ab, was als Forschungsergebnis schlicht und ergreifend unerwartet kam.
Die Summe der verlorenen / gezogenen Zähne könnte das Ergebnis verfälschen
Die Forscher um Carolina Bertilsson gehen davon aus, dass diese Verzerrung durch vorzeitigen Zahnverlust erklärt werden kann. Sprich: Dort, wo die Kariesbildung im Lebensverlauf zu intensiv und schmerzhaft geworden ist, blieben die Zähne nicht bis zum Ableben im Mund.
In Zahlen: Rund ein Viertel (23 %) aller Zähne der erwachsenen Varnhem-Wikinger sind vor oder nach dem Tod verlorengegangen, was in vielen Fällen eben das Ergebnis krankheitsbedingter Entfernungen gewesen sein dürfte. Die Summe der gezogenen Zähne könnte das Ergebnis demnach verfälschen.
Ansonsten zeigt die Untersuchung im Vergleich zu anderen Populationen aus dem eingangs genannten Zeitrahmen keine erhöhte Kariesrate. Anders ausgedrückt: Der Lebensstil der Wikinger hatte wohl keinen messbar übergeordneten Einfluss auf die Häufigkeit der Zahnerkrankungen.
Wie die meisten schwedischen Wikinger lebte auch die Bevölkerung von Varnhem in bäuerlichen Gemeinschaften. Auf ihrem Speiseplan standen Rind- und Hammelfleisch, Fisch, Milchprodukte, Brot, Brei und Gemüse wie Kohl, Rüben, Lauch, Pilze und Haselnüsse. Dazu Portwein, Bier und Met.
Hintergrund: Die Stichprobe weist ein durchschnittliches Sterbealter von 35 Jahren auf. Untersucht wurden 133 Individuen, die zum Zeitpunkt des Todes über 12 Jahre alt waren – und 38 Individuen unter 12 Jahre. Bei insgesamt 83 von 171 Individuen wurde Karies festgestellt (49 %).
Bei einem Männergebiss wurde übrigens auch das Abfeilen von Zähnen nachgewiesen. Den Forschern zufolge ist der Grund hierfür noch unbekannt. Es wird aber vermutet, dass es im Wikingerkosmos ein Identitätsmerkmal gewesen sein kann, die Zähne derart zu formen. Würde ins populäre Bild passen.
Die Studie wurde am 13. Dezember 2023 in englischer Sprache veröffentlicht. Hier der Link.