Eine lettische Familiensaga
Zigmunds Skujiņš – Das Bett mit dem goldenen Bein
Wo soll ich beginnen, frage ich mich, nachdem ich den modernen Klassiker „Das Bett mit dem goldenen Bein“ von Zigmunds Skujiņš samt dem einordnenden Nachwort von Judith Leister gelesen habe? Ich entscheide mich, am Ende zu beginnen, um von vorne zu erzählen, ganz so wie der Autor es tat.
Das Ende des Buches, der Beginn des Nachwortes, führt den Leser in die Küche des 2022 verstorbenen Autors an den Tisch mit seiner Tochter und erzählt nicht nur vom Leben des erfolgreichen Schriftstellers, sondern gibt Handreichungen und historische Einordnungen zum Text, die der durchschnittliche Leser aus Deutschland gut gebrauchen kann.
Im Anhang gibt es dazu eine Zeittafel zur lettischen Geschichte, Hilfe zur Aussprache lettischer Wörter und zwanzig Seiten Anmerkungen zu einzelnen Worten und Personen, die in diesem Familienepos vorkommen.
Als ich das Nachwort beendet habe, nach der Lektüre des Romans, möchte ich die Geschichte der Familie Vējagals gleich wieder von vorne lesen. Möchte abermals eintauchen in die Ahnentafel der Vējagals, mich mit Noass auf den Weltmeeren befinden und dem Bauern Augusts zuschauen, wie er Kind um Kind zeugt, bis mir selbst die abgebildete Ahnentafel nur noch bedingt hilft, den Überblick zu behalten.
Ich will den einzelnen Figuren, die aus diesen ungleichen Brüdern entsprangen, nochmals durch die Jahrzehnte und Kontinente folgen und mich an ihren kuriosen Leben ergötzen, wohl wissend, dass die kuriosesten Pointen der wahren Geschichte Lettlands entsprangen.
Erschienen ist „Das Bett mit dem goldenen Bein“ 1984, als Lettland noch Zwangsmitglied der Sowjetunion war, und erzählt beginnend im 18. Jahrhundert bis 1980 die fiktive Familiengeschichte der Vējagals.
Die historischen Begebenheiten des über Jahrhunderte fremdbestimmten kleinen lettischen Volkes stehen dabei nicht im Vordergrund, sondern bilden vielmehr den Rahmen in dem sich die Brüder Noass, Augusts und deren Kinder bewegen.
Bedingt durch die politischen Rahmenbedingungen in der Sowjetunion, hat Skujiņš in seinem Klassiker weitestgehend auf Jahreszahlen verzichtet und so letztlich zwei Bücher erschaffen.
Das erste Buch, das offensichtliche, ist eine Familiensaga, wie es sie in vielen Ländern gibt. Schnell sind hier Vergleiche gezogen zu „Buddenbrooks“ von Thomas Mann oder – moderner – zu „Das achte Leben für Brilka“ von Nino Haratischwili. Keine Frage, kann sich „Das Bett mit dem goldenen Bein“ mit den bekannten Klassikern messen, ist es doch selbst einer, wenngleich hierzulande bislang unbekannt gewesen.
Interessanter noch ist jedoch die zweite Lesart für Skujiņš‘ Werk. Denn jenes ist voller historischer Anekdoten und Hinweise, die für Letten offensichtlich sein dürften, den Lesern aus Deutschland jedoch nicht so leicht zugänglich sind.
Hier erweist sich der Anhang als echte Goldgrube, die mir beim Lesen nicht nur eine Hilfe war, sondern Ausgangspunkt für neue Internetrecherchen und für tieferes Wissen und Verständnis der Geschichte Lettlands, als auch der Protagonisten im Roman. Eine Kaninchenbau, der sich zu neuen Welten verzweigt.
Übersetzt wurde „Das Bett mit dem goldenen Bein“ von Nicole Nau, die ihrerseits Professorin für Allgemeine Sprachwissenschaften und Lettische Philologie an der Universität in Posen, Polen ist. Und die Übersetzung ist so hervorragend gelungen, dass der Roman auch auf Deutsch eine enorme Sogkraft entwickelt.
Zu wünschen bleibt mir nur, dass dieser literarische Schatz aus dem Baltikum von möglichst vielen gelesen wird.
Ob Freunde epischer Familienromane, Baltikum- oder Lettlandinteressierten oder Klassikerliebhaber: sie alle werden mit diesem bibliophilen Prachtband sicher glücklich werden.
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