Dänisch-grönländische Studie löst jahrzehntealtes Problem
Durchbruch in der Genforschung: Studie löst jahrzehntealtes Problem
Eine umfassende Untersuchung grönländischer Gene könnte die medizinische Versorgung der Inselbevölkerung revolutionieren – und ein lange bestehendes Forschungsdefizit beseitigen.
Damit eröffnet sie neue Perspektiven in der Diagnostik und Behandlung genetisch bedingter Krankheiten auf der arktischen Insel.
„Diese Forschung könnte das Problem wirklich lösen und zu einer besseren Behandlung führen“, sagt Albrechtsen.
Ein großes genetisches Problem
Bislang war es für Ärzte deutlich schwieriger, genetische Krankheiten bei Grönländern zu diagnostizieren als bei Europäern. Das betrifft vor allem Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Fettleibigkeit.
Grund dafür ist das Fehlen systematischer Studien über das grönländische Genom. Diagnostische Modelle und Datenbanken basieren bislang überwiegend auf europäischem Erbgut, was die Vorhersage und Behandlung von Krankheiten bei der grönländischen Bevölkerung erschwert.
„Die grönländischen Gene wurden in diesen Modellen schlicht nicht berücksichtigt“, erklärt Mikkel Heide Schierup, Professor für Genetik und Bioinformatik an der Universität Aarhus. Das habe zu einer Unterversorgung geführt. Doch mit der neuen Studie könnte sich dies grundlegend ändern. Schierup bezeichnet die Ergebnisse als „großartige Forschung“.
Eine besondere genetische Geschichte
Die Inuit, die Grönland besiedelten, stammen von einer kleinen Gründerpopulation ab. Das führte dazu, dass sich die genetische Variation in Grönland völlig anders entwickelte als in Europa. „Das macht die grönländischen Gene für Genetiker besonders interessant“, so Schierup.
Während manche Krankheiten in Grönland extrem selten sind, treten andere dort häufiger auf als anderswo. Ein Beispiel ist die Saccharose-Intoleranz – eine seltene Zuckerunverträglichkeit, die vier Prozent der grönländischen Bevölkerung betrifft. In Europa ist diese Krankheit nahezu unbekannt.
Die Forscher konnten nun eine genetische Ursache für diese Intoleranz identifizieren. Sie fanden heraus, dass die Genmutation bereits vor 10.000 Jahren bei den Vorfahren der Inuit in Sibirien entstanden ist.
Bessere Diagnosen und neue Behandlungsansätze
Für die medizinische Praxis sind die Ergebnisse der Studie von großer Bedeutung. Bisher mussten Ärzte bei grönländischen Patienten bis zu 13 Genmutationen durchgehen, um die Ursache einer seltenen Form von Diabetes zu finden. Bei europäischen Patienten reichen in der Regel drei Mutationen aus. Die neue Genkartierung reduziert die Suche nun auf ein bis zwei Mutationen.
„Damit wird es erheblich einfacher, genetische Krankheiten bei Grönländern zu diagnostizieren“, erläutert Albrechtsen.
Die neue Forschung könnte sogar dazu führen, dass Grönländer künftig in bestimmten Fällen besser diagnostiziert werden können als Europäer. Ein Beispiel ist eine Genvariante, die das Risiko für Diabetes signifikant erhöht. Während diese Mutation bei fünf Prozent der grönländischen Bevölkerung vorkommt, bleibt sie in Europa nahezu unbekannt.
Eine frühere dänische Studie zeigte, dass diese spezielle Diabetesform durch Bewegung effektiv behandelt werden kann, während die Einnahme von Insulin kaum Wirkung zeigt.
Historisch gewachsene Ungleichheit
Mit der neuen Genkartierung haben Forscher nicht nur eine Grundlage für bessere Diagnosen geschaffen, sondern auch eine historische Ungleichheit in der medizinischen Forschung adressiert. Die Erkenntnisse könnten zudem weit über Grönland hinausreichen, etwa für Bevölkerungsgruppen in Alaska, die gemeinsame Vorfahren mit den Inuit haben.
„Das Potenzial ist enorm“, resümiert Albrechtsen. „Diese wenigen genetischen Varianten, die viele Krankheiten auslösen, bieten uns die Chance, in Zukunft deutlich wirksamere Behandlungen zu entwickeln.“
Die grönländische Genforschung könnte somit nicht nur der dortigen Bevölkerung zugutekommen, sondern auch neue Maßstäbe für die internationale Genetik setzen.
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