Bericht aus England
Brexit kostet Briten bis zu 800 Millionen Pfund pro Woche – und es droht noch mehr
Worum ging es beim Brexit nochmal? Richtig, um Souveränität und natürlich die lieben Finanzen. Jedenfalls wurden Befürworter des britischen Austritts aus der Europäischen Union im Wahlkampf 2016 nicht müde zu betonen, wie viel gutes Geld Monat für Monat von der Insel nach Brüssel fließt – praktisch für nichts.
Sinnbild der Vote leave-Bewegung wurde dann jener omnipräsente rote Omnibus, auf dem in dicken Lettern geschrieben stand: „We send the EU ₤350 million a week“ und „Let’s get back control“.
Es war eine Kampagne, die wie gemalt schien für ihre Protagonisten Boris Johnson und Nigel Farage. Zwei politische Haudegen, die ein erwiesenermaßen taktisches Verhältnis zur Wahrheit pflegen und das plakative Zahlenspiel gekonnt für ihre Zwecke zu nutzen wussten.
Zu spät erst drang durch, dass die Summe auf dem Bus zu hoch gegriffen und letztlich nichts anderes als plumpe politische Lüge war. Heute muss man daher sagen: Wahr ist lediglich die Konsequenz der falschen Zahl – der Brexit nämlich, mit all seinen Konsequenzen.
Passend dazu versuchen britische Analysten schon seit Jahren, den wirtschaftlichen Schaden bzw. Nutzen des Brexit-Votums für das Vereinigte Königreich realistisch zu bemessen. Der Independent greift dies in einem aktuellen Beitrag auf und kommt zu Ergebnissen, die Premier Johnson ganz und gar nicht gefallen können.
Demnach lag der wirtschaftliche Schaden des Brexit-Referendums bereits bis Ende 2019 (also vor Corona) bei etwa 1 bis 2 Prozent des britischen Bruttoinlandsproduktes (BIP), was 20 bis 40 Milliarden Pfund pro Jahr entspricht – und damit (man denke an den Spruch auf dem Bus) rund 400 bis 800 Millionen Pfund pro Woche.
Zwei Faktoren trugen laut dem Bericht maßgeblich zu dieser Summe bei
1.) Der beträchtliche Währungsverfall des Pfund Sterling gegenüber US-Dollar (11 %) und Euro (8 %) als unmittelbare Reaktion auf das Brexit-Votum, wodurch sich die Lebenshaltungskosten auf der Insel im Durchschnitt um fast 900 Pfund pro Haushalt erhöht haben.
2.) Der direkt anschließende Investitionseinbruch in- und vor allem ausländischer Unternehmen, den die Analysten bis Ende 2019 irgendwo bei 10 bis 20 Prozent sehen. Gleichbedeutend mit weniger Kaufkraft/Einkommen und weniger Arbeitsplätzen.
Und auch der Blick in die Zukunft fällt aus Sicht der Analysten sehr verhalten aus. Denn die Modelle deuten – bei allen Ungenauigkeiten, die der Faktor Zukunft naturgemäß mit sich bringt – auf weitere herbe Verluste für die britische Wirtschaft hin.
So sind es offizielle Prognosen des englischen Finanzministeriums (Office for Budget Responsibility/OBR), die besagen, dass der Löwenanteil an langfristigen Brexit-Kosten noch aussteht. Dieser dürfte Schätzungen des Hauses zufolge bei etwa 4 Prozent des britischen BIP liegen, was nochmals annähernd 50 Milliarden Pfund pro Jahr wären.
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