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Brief aus England – Kommentar

Brexit-Tag: „Manche Briten überrascht, dass sie immer noch Europäer sind“

Heute ist es soweit: Der für manche lang ersehnte, für manche gefürchtete Brexit-Tag ist da. Boris Johnson wird sich an die Nation wenden und versprechen, das Land gerechter für alle zu machen, den Norden nicht mehr zu vernachlässigen.

Brexit Day
Big Ben schweigt zu Großbritanniens Stunde der Dämmerung. (Foto: Tasos Lekkas)
Blaue Pässe werden kommen (irgendwann), die Fischer können zumindest hoffen, den Fisch ihrer Gewässer zu behalten, und das böse Brüssel, von manchem als Sklavenhändler bezeichnet, wird nicht mehr dieses Land regieren. „Independence Day“ wird er von manchen Leavern genannt.

Natürlich hat die Armut im Norden nicht das geringste mit der Mitgliedschaft der EU zu tun, die Pässe hätten auch in einer EU-Mitgliedschaft blau sein dürfen, und die Rechte um die britischen Gewässer müssen verhandelt werden, und werden wohl kaum so ausfallen, dass sie 100% nur von Briten leergefischt werden dürfen.

Pünktlich zu diesem Tag hat nun auch das Coronavirus die Insel erreicht, hoffentlich nicht als Omen.

Big Ben wird um 23 Uhr nicht läuten, zum Ärgernis mancher Leaver, die dieses historische Ereignis doch so richtig zelebrieren wollten. Stattdessen gibt es privat organisierte Feiern, aber auch Proteste bzw. Trauerveranstaltungen.

The New European ruft dazu auf, Lebensmittel für freie Essensausgaben zu spenden und heute etwas Positives zu tun, der Welt nützlich zu sein. Vielleicht ist das die beste Botschaft. Wir können alle so positiv wie möglich unser Leben gestalten, ob wir nun EU-Mitglied sind oder nicht.

Wir können Freundschaften zu anderen Europäern pflegen, auch wenn manche Briten vielleicht überrascht darüber sein werden, dass sie nach dem Brexit immer noch Europäer sind. Wie oft habe ich gehört, dass wir „Europa“ verlassen! Heute Nacht verliert ein Drittel meiner Familie seine EU-Staatsbürgerschaft, aber wir sind immer noch die gleiche Familie.

Bis Ende Dezember wird sich für die meisten nicht viel ändern. Nur für diejenigen, die im EU-Parlament gearbeitet haben, ist Brexit heute fühlbar. Ansonsten zahlt das Vereinigte Königreich weiterhin in die EU ein, und geltende Bestimmungen und Gesetze werden bis zum Ende des Jahres beibehalten, wie es im Austrittsabkommen beschlossen wurde.

Wir können weiterhin auf das Festland reisen mit unseren Pässen, sogar unsere Haustiere dürfen noch mit, unsere Handys können weiterhin kostenlos roamen in Europa, äh, auf dem Festland, und unsere Krankenversicherung ist abgesichert. Die Leavers werden dies vermutlich als Beweis sehen, dass alles gut ist, vor allem wenn Downing Streets Politik weiterhin innenpolitisch Signale sendet, sich endlich um die Bevölkerung zu kümmern, nachdem sie die letzten zehn Jahre über falsche Prioritäten gesetzt haben.

Was dann nach dem 31. Dezember passiert, muss alles noch verhandelt werden. Vielleicht verlassen wir dann die EU ohne Handelsabkommen. Aber heute ist die Welt noch einmal in Ordnung.

Pia Kurtsiefer

Über die Autorin
Vor 15 Jahren zog Pia Kurtsiefer aus dem Rheinland nach London, um als Lehrerin in einer Schule für autistische Kinder zu arbeiten. Heute lebt sie mit Kind und walisischem Mann in Hertfordshire. Für NORDISCH.info schreibt sie die Serie „Briefe aus England“.

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