Ein Ökosystem vor dem Kollaps
Das Kaspische Meer trocknet aus – Robben, Küstengemeinden und Wirtschaft in Gefahr
Eine neue Studie der University of Leeds schlägt Alarm: Das Kaspische Meer, das größte Binnengewässer der Erde, verliert rapide an Wasser. Selbst bei optimistischen Klimaszenarien könnte der Pegel bis zum Jahr 2100 um 5 bis 10 Meter sinken – im schlimmsten Fall sogar um 21 Meter. Die Folgen wären gravierend für die Umwelt, die Bevölkerung und die Wirtschaft in der Region.

Ein Ökosystem vor dem Kollaps
Der Rückgang des Wasserspiegels hat drastische ökologische Auswirkungen. Ein Gebiet von rund 112.000 Quadratkilometern – größer als Island – droht auszutrocknen. Besonders betroffen sind flache Uferzonen, in denen sich viele wichtige Ökosysteme befinden. Laut der Studie könnten vier von zehn einzigartigen Lebensraumtypen im Kaspischen Meer vollständig verschwinden. Die Fläche der Meeresschutzgebiete würde um bis zu 94 % schrumpfen.
Gefährdet ist vor allem die Kaspische Robbe, die nur hier vorkommt und schon jetzt auf der Roten Liste steht. Sinkt der Wasserspiegel um fünf Meter, geht ihr Brutgebiet auf dem Eis um über 80 % zurück. Auch ihre Ruhezonen an Land werden unzugänglich.
Störarten, ebenfalls vom Aussterben bedroht, verlieren durch das Austrocknen der Flachwasserbereiche zwischen 25 % und 45 % ihres Lebensraums. Laichflüsse werden unpassierbar. Küstenlagunen und Schilfgürtel, wichtig für Zugvögel und andere Fischarten, sind ebenfalls stark gefährdet.
Mensch und Industrie im Sog des Klimawandels
Mehr als 15 Millionen Menschen in den Anrainerstaaten Aserbaidschan, Iran, Kasachstan, Russland und Turkmenistan sind auf das Meer angewiesen – für Fischerei, Handel, Trinkwasser und das lokale Klima.
Doch die Studie zeigt: In einigen Regionen könnte sich die Küstenlinie um dutzende bis über 100 Kilometer verschieben. Städte wie Turkmenbashi oder der geplante Hafen Lagan wären dann vom Meer abgeschnitten. Auch strategisch wichtige Ölplattformen müssten an Land verlagert werden, was mit enormen Kosten verbunden wäre.
Zudem könnten große Mengen salzhaltigen und verschmutzten Staubs vom trockenen Meeresboden aufgewirbelt werden – eine Gefahr für Umwelt und Gesundheit, wie es bereits am Aralsee beobachtet wurde. Der Rückgang des Wassers könnte außerdem das regionale Klima weiter destabilisieren, mit sinkenden Niederschlägen und negativen Auswirkungen auf die Landwirtschaft.
Schutzmaßnahmen: Flexibilität statt starre Grenzen
Die Forschenden fordern ein radikales Umdenken im Naturschutz. Klassische Schutzgebiete mit festen Grenzen seien angesichts des sich schnell verändernden Wasserstands unzureichend. Stattdessen brauche es dynamische Schutzkonzepte, die sich anpassen lassen. Es müsse in die Überwachung von Biodiversität und in resilientere Infrastrukturen investiert werden. Küstenregionen sollten gezielt bei der wirtschaftlichen Umstellung unterstützt werden.
Auch gesetzliche Rahmenbedingungen müssten Schutzräume mit flexiblen Grenzen ermöglichen. Zudem empfehlen die Wissenschaftler präventive Planungsansätze, um Konflikte zwischen Naturschutz und Infrastrukturentwicklung zu vermeiden – sowie gezielte Umsiedlungen von Arten und Wiederherstellungsprojekte für bedrohte Lebensräume.
Internationale Zusammenarbeit unerlässlich
Die Studie ist das Ergebnis eines internationalen Forschungsprojekts mit Beteiligten aus Deutschland, England, Russland, Kasachstan, Aserbaidschan und Turkmenistan. Die Wissenschaftler mahnen:
Nur durch regionale Koordination und globale Klimaschutzmaßnahmen können die Folgen gemildert werden. Denn das Kaspische Meer ist nicht nur ökologisch, sondern auch geopolitisch ein Brennpunkt – und sein Schwinden ein Warnsignal weit über Zentralasien hinaus.