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Brexit, Einbürgerung, Riss durch die Familie und Irn-Bru

Fast ist es so, als hätte meine Mutter mit Großbritannien abgeschlossen

Das letzte Mal schrieb ich davon, wie meine Mutter sich dazu entschloss, deutsche Staatsbürgerin zu werden und wie in den letzten Monaten, aufgrund der prekären Brexit-Sachlage, mehrere Briten den gleichen Gedanken hegten.

Einbürgerungstest
Erfolgreiche Teilnahme am Einbürgerungstest. Tiefe Gräben in der Familie.
(Foto Nicola Kelly)
Ich schrieb emotional und war sauer ob der ganzen dramedy des Brexits. Ich bin immer noch emotional und erbost, jedoch hat sich nun eine Art Betäubung breitgemacht. Ob es vielleicht Resignation ist? Ob es die Spitze meines Weltschmerzes ist? Darüber mache ich mir keine Gedanken mehr. Das ganze ist wie klebriger Gelee, der nicht von den Fingern abgehen will.

Vor 22 Jahren starb mein Vater und ich übernahm als frische Volljährige die österreichische Staatsbürgerschaft, denn ich dachte: „Es ist Europa! Es ist vollkommen gleichgültig, welche Staatsbürgerschaft irgendwer hat, denn wir sind Europäer. Ob Britin, Österreicherin oder Deutsche – es ist doch egal welche Staatsangehörigkeit ich habe.“ Wie naiv, oder? Oder eher, wie traurig ist es, dass meine damalige Meinung heute als naiv bezeichnet werden kann. Denn das war schon extrem fortschrittlich, dieses Europa, zu fortschrittlich für viele.

Nach meinem letzten Brexit-Rant ist im Hause Kelly einiges passiert. Abgesehen davon, dass der Großteil der Familie in Schottland nun in einer noch größeren Bubble lebt und sich von „Pro Brexiteers“ hat anstecken lassen, hat meine Mutter ihren Einbürgerungstest bestanden und darf nun offiziell Deutsche werden. Ich beglückwünschte meine Mutter zu ihrem bestanden Test. Zumindest im Kopf hörten sich meine Worte an wie Glückwünsche. Ausgesprochen war es dann doch fast wie Beileid.

Ich verstehe, dass sich viele etwas angepisst fühlten, dass ich darüber schimpfte, dass meine Mutter nun Deutsche werden würde. Leider verstanden jedoch die Angepissten nicht, dass ich nicht darüber schimpfte, dass meine Mutter speziell Deutsche wird, sondern darüber, dass sie das Gefühl hatte, keine Britin mehr sein zu können, sowie eben die anderen Tausende, die, aus Unsicherheit ob der Zukunft, ihre Nationalität aufgaben. Und das, meine lieben Hater, ist ein feiner Unterschied – ich bitte euch, dies in euren zukünftigen Kommentaren zu berücksichtigen. Stellt euch einfach vor, Ihr dürftet keine Deutschen mehr sein, nur weil dämliche politische Entscheidungen eure Lebenspläne durchkreuzen.

Meine Mutter und ich sprachen über den bestandenen Test und wie sich das für sie anfühlt. Wir sprachen über die weiteren Schritte bis sie ihren neuen Reisepass ausgehändigt bekommt und was sich evtl. für sie ändern würde.

Fast ist es so, als hätte meine Mutter mit Großbritannien abgeschlossen. Im März starb unser Onkel, natürlich flog meine Mutter nach Schottland, um der Beisetzung beizuwohnen. Jedoch kam sie binnen 48 Stunden wieder zurück.

Noch nie kam meine Mutter so schnell aus ihrer Heimat zurück. Sonst klapperte sie alle Freunde und Bekannte ab. Ging Lebensmittel kaufen, die sie illegalerweise im Koffer nach Deutschland schmuggelte. Ja, wir schmuggelten Lebensmittel aus Schottland nach Deutschland. (Ich höre euch fragen „Was, um Himmelswillen, ist essbar und kommt aus Schottland, was man nicht in Deutschland bekommen kann?“, und ich antworte salopp „Irn-Bru!“.) Und sie würde auf alle Fälle immer zum Strand, an die schottische Nordsee, gehen.

Diesmal wollte sie aber nur „runter von der Insel“. Das traf meine Familie, die noch auf der Insel ist, sehr, und so wie es nun mal ist, wenn Menschen verschiedener Meinung sind, zerstritten sie sich. Im Moment schweigen wir uns alle an.

Wir, weil wir in der EU sind und die auf der Insel. Obwohl das bisher nie ein Problem gewesen ist, ist es nun ein Problem. Meine junge Cousine schickt ab und an „Anti Europe“ Memes in den Family Chat, meine Mama und ich antworten schweigend. Bisher waren meine Familie und ich uns einig: Der Brexit ist Scheiße. Die Engländer haben ihren Tee zu heiß getrunken. Europa ist cool. Die Engländer sind sowieso schon immer an allem Schuld. Ziemlich klar definiert.

Aktuell ist es so, dass meiner in Schottland lebenden durchaus schottischen Familie so dermaßen die Düse geht, weil Schottland unabhängig werden könnte. Die Konservativen und Kapitalisten meiner Familie können den Gedanken einer schottischen Unabhängigkeit nicht ertragen und spreizen ihren kleinen Finger beim Teetrinken mehr denn je. Die jüngere Generation macht dieses Theater natürlich nach.

Meine Mutter und ich sind Aussätzige. Gut, ich war’s eh schon immer, aber meine Mama ist nun definitiv eine, und das bekommt sie zu spüren. Sie versteht ihre Familie nicht mehr und die Familie versteht sie nicht. Großbritannien versteht Europa nicht und Europa versteht Großbritannien nicht.

Und jetzt? Ich merke, wie meine Wut darüber sich zur Trauer entwickelt und ich, auch während ich diese Zeilen schreibe, emotional werde. „Ein ganzes Land gespalten!“ hieß es einst in den Nachrichten. Im Moment scheiß ich auf’s Land, denn meine Familie sowie Freundschaften sind gespalten, und das mittlerweile auf internationaler Ebene.

Um die Schwere etwas aus dem Thema zu nehmen, war das erste, was meine Mutter zum Einbürgerungstest gesagt hat, dass sie einen sehr netten türkischen Mann kennengelernt hat, sie würde sich bald mit ihm zum Teetrinken verabreden. Das ist eine nette Anekdote rund um den ausgelutschten Brexit. Ich wünsche beiden viel Spaß, der Gedanke daran, wie die Türkei und Schottland in Deutschland aufgebrühten Darjeeling trinken, amüsiert mich sehr.

Lesen Sie auch: Ein Mal Brexit, bitte. Ohne Rückflug.

Ein Kommentar von Nicola Kelly

Über die Autorin
Nicola, aufgewachsen in Edinburgh und München, studierte Schottische Geschichte und arbeitete bei The Witchery Tours als offizielle Geschichtenerzählerin und Erschreckerin (als erste und einzige Frau), wo sie viele Touristen in Angst und schreckliches Vergnügen versetzte.

Ihre Familie ist weiterhin in Edinburgh und erschrickt sich nicht mehr.

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