Kolumne
Leben nach dem Brexit: In Großbritannien lassen sich alte Gewohnheiten schwer überwinden
Großbritannien ist zwar nicht mehr in der EU, existiert aber noch weitestgehend. Nordisch fragt sich natürlich, wie es unseren Freunden, den Insulanern, ohne uns ergeht. Was beschäftigt die Briten nach ihrem Austritt? Rob Allen, unser Mann in England, berichtet in einer regelmäßigen Kolumne aus dem Leben nach dem Brexit.
Hallo aus Großbritannien! Ja, wir sind noch hier, gleich hinter dem Ärmelkanal (*winkt*), auch wenn wir unsere „Freiheit“ durch den EU-Austritt endlich gewonnen haben. Wenn Sie zu uns hinüber schauen, können Sie uns an den Bergen stinkender, verwesender Meeresfrüchte erkennen. Egal, ob wir darunter leiden, eine florierende Wirschaft zählt für uns nichts, wenn wir nicht frei wie Löwen sind, und wir sind Löwen und bereit … eine Salmonellenvergiftung zu kriegen. Egal! (*brüllt*)
Es ist 2021 und was ist anders? Hier in dem Land der Höflichkeit, Tee und vielleicht einem riesigen Korruptionsproblem … also, vielleicht (Ruhe, Herr Anwalt!) erscheint nichts wesentlich anders, obwohl wir nicht nur in der Brexit-Ära, sondern auch in der Coronazeit leben.
Beispiel eins – Die Briten beklagen sich nie, das wäre ja peinlich! Der Fall „Good Law Project gegen die britische Regierung“, bei dem es um fragwürdige Verträge, die der Gesundheitsminister, Matt Hancock, an gewisse Freunde und Spender, die die Konservativen mit großen Mengen Geld ünterstützten, ist abgeschlossen. Der Fall machte klar, dass eine persönliche Beziehung zu einem Minister viel wert ist – also, man hat zum Beispiel eine zehn Mal höhere Chance, einen lukrativen Ausstattervertrag für Krankenhauspersonal zu gewinnen.
Aber jetzt sind wir einen Schritt weiter gekommen und in den „Royal Courts of Justice“ hat Judge Chamberlain geurteilt, dass Hancock öffentliches Geld rechstwidrig verwendet hat. Also, ins Gefägnis mit ihm! Nein, wir sind Briten, danke schön! Was als nächstes passiert ist … nichts. Ja, die Franzosen mögen in so einem Fall auf die Barrikaden gehen, Steine werfen und die Paläste der Herrschenden zu Asche verbrennen, aber wir? Wir setzen uns ganz ruhig hin und gießen noch einen Tee auf. Nicht zu heiß, bitte. Nächste Frage.
Ja, OK, vielleicht ist diese Geschichte noch nicht ausgestanden, es muss noch eine „unabhängige Untersuchung“ stattfinden, aber wer würde echtes Geld darauf verwetten, dass es in London, Glasgow, Cardiff und Belfast zur Revolution käme. Nein, behalten Sie das Geld in der Tasche. Wir sind sowieso mit noch wichtigeren Sachen beschäftigt: – URLAUB!
Beispiel zwei – Boris Johnson, ein Promi, der seit 2019 den Premierminister auf der Bühne gibt (aber nicht überzeugend – schau mal, die Perücke!), kündigte überrachenderweise an, dass Covid im Juni vorbei sein werde! Also, nach 12 Monaten muss das Virus echt müde sein und sicherlich urlaubsreif. Wir auch! Mit diesen Worten werden auch schon die Coronabadesachen in den Koffer gepackt, kleine Flaschen Sonnencreme gekauft, winzige Sonnenbrille an, und es ist endlich weg! Schönen Urlaub noch, Corona, viel Spaß!
Wohin das Virus geht … dorthin gehen auch die Briten. Gleichzeitig mit der Ankündigung des Premierministers ist die Zahl der Buchungen von Strandurlauben deutlich gestiegen – 630% im Vergleich zur Vorwoche in vierundzwanzig Stunden! Wir können Boris vertrauen und mit Zuversicht reisen, und baldmöglichst, weil wir das englische Frühstück in Spanien und das englische Bier auf Zypern wirklich vermisst haben.
OK, wir waren enttäuscht, dass das Versprechen von Boris, dass wir Weihnachten alle zusammen feiern würden, ein leeres war. Und, ja, er sagte am Anfang der Krise, dass wir Ende 2020 frei von dem Virus sein würden. Was erwarten Sie? Er ist Promi und kein Medium! Was wollen Sie von ihm? Zu viel, wenn Sie Realität erwarten.
Beispiel drei – Die Gewohnheiten der Briten sind wie Beton – wir lieben Urlaub und wehren uns gegen Unhöflichkeit. Stimmt! Wir essen jeden Abend Fisch mit Pommes ABER … nicht genug. Einfach nicht genug, und es ist jetzt an jeder Frau, Mann und Kind, den Teller aus dem Schrank zu nehmen, und uns aus der Flaute zu fressen.
Der verrottende Berg aus Fisch am Hafen muss gegessen werden, und endlich hat die Regierung eine Antwort – wir müssen es selbst essen. Na, OK. Gute Idee! Die ganze Branche liegt wegen Brexit am Boden und jetzt müssen wir alle unsere Pflicht efüllen, einschließlich derer, die nicht für den Brexit gestimmt haben oder keinen Fisch zu Abend mögen. Und zum Mittagsessen. Und zum Frühstuck. Wenn man Tee aus Fisch machen könnte, dann würden die guten Zeiten rückkehren. Hat jemand ein Rezept für Fischbier? Bis dahin werden sich unsere Gewohnheiten jedoch nur schwer überwinden lassen.
Rob Allen
QUIZ
Über den Autor Rob Allen ist ein freier Journalist und PR-Experte aus dem Norden Englands. Er schreibt u.a. für The Guardian, News of the World und Manchester Evening News. Nun schreibt er auch auf Deutsch für NORDISCH.info. – Auf Twitter unter @northernrob zu finden. |