„War etwa alles umsonst?“
Psychologen schlagen Alarm: Britische Afghanistan-Veteranen leiden unter Situation in Kabul
Was gerade am Flughafen von Kabul los ist, mag man sich nicht vorstellen. Ziemlich genau 20 Jahre nach Beginn des „War on terror“ scheint es, als sei in Afghanistan innerhalb weniger Tage alles zurück auf Los gesprungen.
Kurz das Lagebild: Die Taliban halten die Macht nun wieder fest in Händen, und der tief blamierte „Westen“ versucht nach seinem eiligen Abzug viel zu spät, zumindest eigene Lands- und Gefolgsleute irgendwie außer Landes zu bringen.
Wie schlecht das gelingt, berichten internationale Medien gerade rauf und runter. Verzweifelte Menschen klammerten sich auf dem Rollfeld sogar an startende Maschinen, Angst und Chaos überall. Man nimmt es kopfschüttelnd zur Kenntnis. Was bleibt einem aus der Ferne auch anderes übrig?
Weit tiefer müssen die Emotionen gehen, wenn man selbst Teil der Mission gewesen ist. Wenn man in Afghanistan gefochten und möglicherweise getötet oder Kameraden verloren hat. Alles für eine gute Sache, wie es immer hieß. Nur war die gute Sache irgendwann wohl nicht mehr gut genug, um sie halbwegs geordnet zu Ende zu bringen.
Stattdessen kam der Abzug im Eilmarsch, allen voran die USA. Und mitten rein in das Vakuum der Kriegsmüden stoßen nun gerade jene, die man mit dem alliierten Waffengang eigentlich für immer hatte kleinhalten wollen: die Taliban.
Wie schwierig diese absurde Abfolge gerade aus dem Blickwinkel von Veteranen ist, berichten nun britische Wohltätigkeitsorganisationen. Laut einem Bericht der BBC laufen hier seit Tagen die Drähte heiß, weil ehemalige Afghanistan-Soldaten einfach nicht mehr wissen, wohin sie mit „ihrer Wut, ihrer Trauer und ihrem Zorn“ sollen.
An normalen Tagen gehen allein bei Combat Stress, einer dieser Organisationen, bis zu 30 Hilfeanrufe von britischen Ex-Soldaten ein. Nun sind es bereits über 70 – und die Situation ist noch frisch, weshalb Gesundheitsminister Sajid Javid gerade alle Hebel in Bewegung setzt, um zumindest in seinem Ressort den Überblick zu behalten.
Der Minister prüfe „eilig“ Wege zu mehr Unterstützung für Afghanistan-Veteranen, heißt es in dem Bericht. „Wir sind sehr besorgt“, pflichtet Jeff Harrison bei. Er ist Geschäftsführer von Combat Stress und sieht im medialen Dauerhagel dieser Tage das Hauptproblem für Veteranen, die aus ihren Einsätzen psychische Probleme mit nach Hause gebracht haben.
„Jedes Mal, wenn man den Fernseher einschaltet oder die Zeitung in die Hand nimmt, sieht man Afghanistan. Dann werden die Erinnerungen wieder wach, und das ist schwierig.“ Hinzu käme nun ganz akut die Frage nach dem Sinn des Ganzen.
„Als sie dort waren, wussten sie, dass sie etwas wirklich Sinnvolles taten. Sie halfen einem fremden Land, auf die Beine zu kommen. Sie sorgten für mehr Sicherheit in der übrigen Welt. Sie taten alles, was von ihnen verlangt wurde“, schildert Harrison.
Und jetzt? Zu sehen, dass sich die eigenen Kameraden quasi über Nacht zurückziehen mussten, nähre natürlich grundsätzliche Zweifel an der eigenen Mission in Afghanistan. „War etwa alles umsonst?“, käme einem da als Frage zwangsläufig in den Sinn, ist sich Harrison sicher. Eine Frage, die man sich nach solch einem Einsatz einfach nicht stellen mag.
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