„Jahre an Drogen und Alkohol verloren“
England: Snooker-Superstar Ronnie O’Sullivan schonungslos offen im Interview
Es gibt ein paar Sportsleute auf der Welt, die an guten Tagen Dinge leisten, die selbst unter ihresgleichen offene Bewunderung hervorrufen. Im Snooker ist Ronnie O’Sullivan so jemand. Er kann das perfekte Spiel, ist siebenfacher Weltmeister, hat Charisma. Das volle Programm.
Aber O’Sullivan ist eben auch bekannt für eine andere, eine dunkle Seite, über die der 47-Jährige nun in einem Interview schonungslos offen gesprochen hat. Die Rede ist von Alkohol, Drogen, Depressionen. Auch hier: das volle Programm.
Rückblickend sagt „The Rocket“, wie er wegen seines zuweilen atemberaubend schnellen Spiels genannt wird, er habe mit Sicherheit sieben Jahre seines Lebens an „Alkohol und Drogen verloren“.
„Es gibt da massive Lücken“, gestand er gegenüber der BBC.
Zwar sind die schlimmsten Abstürze nun schon Jahre her, los wird O’Sullivan das Thema aber nicht. Vielleicht auch deshalb, weil er längst akzeptieren musste, dass der breiten Öffentlichkeit viel von dem Kampf bekannt ist, den der Champ abseits des Tisches mit sich selbst ausficht.
1998 etwa wurde O’Sullivan der Titel des Irish Masters aberkannt, nachdem er positiv auf Cannabis getestet worden war. Er war da noch jung im Geschäft und habe „sein Glück regelrecht herausgefordert“, weil er permanent damit rechnen musste, von Drogentestern erwischt zu werden.
Wegen Handgreiflichkeit wurde er schon ordentlich zur Kasse gebeten und provozierte Gegner mit seiner Lässigkeit bis aufs Blut. Gerade die frühen Jahre seiner Karriere passten nicht wirklich zum Saubermannimage, das den Snookersport zweifelsfrei umgibt.
Profi wurde O’Sullivan 1992 mit nur 16 Jahren. Zugleich war 1992 das Jahr, in dem sein Vater Ronnie sr. wegen des Verdachts auf Totschlag letztlich für fast zwei Jahrzehnte hinter Gitter musste. 1994 dann die Festnahme und spätere Inhaftierung seiner Mutter, wegen Steuerhinterziehung.
Durch den kometenhaften Aufstieg und das sagenhafte Talent des Teenagers geschah all dies im Lichte der britischen Medienöffentlichkeit, weshalb man es aus der Distanz fast schon als passend bezeichnen muss, dass die ersten Absturz-Meldungen von O’Sullivan ab Mitte der 90er aufploppten.
In seinen Tiefphasen habe er sich auf die Wirkung von Alkohol und Cannabis verlassen müssen, um „den Tag zu überstehen“, sagt der dreifache Vater heute. „Ich habe meine Persönlichkeit und mein Selbstvertrauen verloren und musste Substanzen nehmen, um unter Leute gehen zu können.“
Aufenthalt in Suchtklinik im Jahr 2000 ein Wendepunkt
Im Jahr 2000 begab er sich folgerichtig in eine Reha-Klinik, um seine Süchte zu behandeln. Aber auch damit war der Kampf nicht vorbei, wie er heute schildert „Wenn man dann clean wird, wird man in sozialen Situationen unbeholfen und ängstlich.“
Die für ihn in diesen Phasen prägenden Fragen: „Wie gehe ich mit diesen Situationen um? Wie kann ich clean leben?“ Er habe lernen müssen, dass es dauert. Und dass es ihm in dieser Zeit gelingen musste, ein anderes Leben aufzubauen – immer wissend, für „X, Y und Z nicht geeignet“ zu sein.
Und heute? „Ich bin glücklich, wenn ich morgens joggen gehe und mich mit meinen Lauffreunden treffe. Das ist für mich in Ordnung. Wenn ich aber in einer Umgebung bin, in der viele Leute sind, laufe ich um die Ecke“, scheinen soziophobe Episoden nach wie vor Teil seines Tagesgeschäfts zu sein.
Umso bemerkenswerter ist, dass genau dieser Ronnie O’Sullivan vor Hunderten von Fans in zuweilen engen Snookerarenen brillieren kann wie kein Zweiter. Übrigens wahlweise mit beiden Händen, was so außer ihm auch niemand hinbekommt.
O’Sullivan hat einfach diese ganz spezielle Gabe, selbst schwierigste Stöße lässig und leicht aussehen zu lassen. So wie bis zuletzt Federer mit dem Racket in der Hand oder Messi mit dem Ball am Fuß.
Selbst für Zuschauer, die mit Snooker und Billard nicht viel am Hut haben, kann O’Sullivans Spiel ein Genuss sein. Jedenfalls dann, wenn bei ihm alles passt, was nach den Motivations- und Formdellen, die bei ihm immer noch dazugehören, quasi planbar wieder kommt. Wenn nicht beim nächsten, dann halt beim übernächsten Turnier.
Heute, in der Spätphase seines Schaffens, sieht O’Sullivan Snooker als „großartigen Eskapismus“ an und Snookerhallen als den Ort, in dem er sich „entspannt und ruhig fühlt“. Geliebt habe er seinen Sport immer, aber Snooker habe ihn eben nicht immer davon abgehalten, das Falsche zu tun.
Keine Frage: O’Sullivan kann heute auf ein Leben als Sportler und abseits davon zurückblicken, das man als Drehbuchautor so wohl nicht erfinden könnte. Daher ist es nur zu folgerichtig, dass der x-fache Rekordhalter an diesem Donnerstag sein neuestes Buch mit dem Titel „Unbreakable“ vorgelegt hat.
„Die Reha hat mich gelehrt, dass Glück eine innere Angelegenheit ist“, beschreibt er seinen Weg. „Seit diesem Moment im Jahr 2000 habe ich immer daran geglaubt.“ Man kann dem Snookersport nur wünschen, dass ihm O’Sullivan noch lange erhalten bleibt.