Demographische Entwicklung ist ein Problem
Vorsichtiger Optimismus im Vorfeld der Wahlen in Großbritannien
Kommentar von Kim Catechis, Investitions-Stratege des Franklin Templeton Institute
- Schlechte wirtschaftliche Ausgangsbedingungen
- Haushaltszwänge und Probleme bei der Beschäftigungs- und Produktivitätsquote
- Markt erwartet, dass sich das Land aus dem Dilemma befreien wird
- Aktienmarkt nicht sonderlich günstig
Dieser Wahlkampf ist gnädigerweise kurz (sechs Wochen), aber auch ungewöhnlich fade. Weder Sunak noch der Vorsitzende der Labour-Partei gelten als besonders charismatisch, weshalb der Mangel an einem überzeugenden Programm noch stärker ins Gewicht fällt. Zu den in den Diskussionsrunden erörterten Themen zählen die Einwanderung (zu viel davon) und die öffentliche Verwaltung, einschließlich des staatlichen Gesundheitswesens (nicht genug davon).
Die Konservativen befassen sich mit Fragen des Kulturkampfes zwischen den Generationen, mit Steuersenkungen für Rentner und der Wiedereinführung des Wehrdienstes für 18-Jährige. Außerdem scheinen sie zu versuchen, die rechtsgerichtete Reformpartei mit Plänen zur Abschiebung von illegal eingereisten Einwanderern nach Ruanda zu schlagen. Die Labour-Partei bleibt in ihrer Politik sehr vage, da sie wahrscheinlich die Wähler der Mitte nicht verprellen will.
Die Fragen der Steuerpolitik, der Ausgabenprioritäten und der Strukturreformen sind noch nicht geklärt. Dies hätte eine einmalige Gelegenheit sein können, den Wählern die Frage zu stellen, wie sie sich Großbritannien wünschen: wie die Vereinigten Staaten, mit niedrigen Steuern und geringen Sozialausgaben, oder wie die Europäische Union (EU), mit höheren Steuern und starken sozialen Unterstützungsleistungen, einschließlich Kinderbetreuung, Wohnungsbau und Bildung.
Egal, für welche Seite man sich entscheidet – der Ausgangspunkt ist suboptimal. Die Konjunktur hat sich kaum verbessert, die Produktivität ist seit 2008 gering, und die Realeinkommen sind in den letzten 14 Jahren kaum gestiegen.
Die energiebedingte Inflation macht den Verbrauchern schwer zu schaffen, und die höheren Zinssätze haben den Druck auf die Verbraucher noch verstärkt. Die Finanzlage der öffentlichen Hand ist angespannt, und die Kreditkosten von Großbritannien sind aufgrund des fehlgeplanten Haushalts vom September 2022 höher.
Zur Finanzierung von Investitionen zur Sanierung der öffentlichen Verwaltung werden höhere Steuern oder eine Ausweitung der Kreditaufnahme erforderlich sein. Außerdem muss das Land dringend in seine Rüstung investieren, wodurch der Finanzierungsbedarf weiter steigt.
Das Land scheint in einem Netz aus schwachem Wachstum, mangelnder Produktivität und relativ großer Ungleichheit gefangen zu sein. Doch beide großen Parteien ignorieren das Offensichtliche, nämlich dass alle Gegenmaßnahmen über Schulden oder höhere Steuern finanziert werden müssen – oder beides.
In Großbritannien liegen die Einkommensteuersätze zwischen 20 % und 45 %. Die Höhe der Kapitalertragssteuer liegt zwischen 10 % und 28 %. Eine Harmonisierung der Sätze scheint wahrscheinlich, was dazu führt, dass weniger Einkommen in Investitionen (z. B. in Immobilien) umgewandelt wird, um die Steuerlast zu minimieren. Schätzungen zufolge könnte eine Harmonisierung rund 16 Milliarden Pfund pro Jahr einbringen. Angesichts der Tatsache, dass nur rund 3 % der Erwachsenen in Großbritannien diese Steuer zahlen, könnte dies ein politisch kluger Schachzug sein.
Demographische Entwicklung ist ein Problem
Am Markt herrscht die grundsätzliche Erwartung, dass sich die britische Wirtschaft aus diesem Dilemma befreien wird. Dies wird jedoch nur sehr langsam geschehen, wenn es nicht gelingt, die Produktivität zu steigern. Ein Problem ist die demografische Entwicklung.
Die Beschäftigtenzahl kann nicht ohne Weiteres einfach aufgestockt werden, da der Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung bereits bei 72 % liegt.
Darüber hinaus scheint es im Land 9,4 Millionen Nichterwerbstätige im Alter zwischen 16 und 64 Jahren zu geben, mehr als vor der Corona-Pandemie. Außerdem schnellte die saisonbereinigte Arbeitslosenquote in den drei Monaten bis April in die Höhe und lag bei 4,4 %.
Die Haushaltszwänge und die Produktivitätsprobleme sind keine Einzelfälle. Die Kapitalmärkte scheinen die Aussicht auf einen Regierungswechsel positiv zu bewerten, in der Erwartung, dass die Politik wachstumsfördernd sein wird, aber mit einem vorsichtigen Ansatz in der Fiskalpolitik.
Durch Reformen auf der Angebotsseite, eine stabile Wirtschaftspolitik und möglicherweise eine konzertierte Initiative zur Verbesserung der Beziehungen zur EU könnten Vertrauen aufgebaut und Handelsströme erleichtert werden.
Die Anleger scheinen mit Vorteilen für Banken, Wohnungsbauunternehmen und den Lebensmitteleinzelhandel zu rechnen. Die Aussichten für den Energiesektor sind dagegen trüber, da die Labour-Parteiführung angedeutet hat, dass sie die Energiegewinnabgabe verlängern oder erhöhen will.
Umfeld könnte sich durch spürbare Senkung der Zinssätze beleben
Der britische Aktienmarkt ist mit einem zukunftsgerichteten 12-Monats-Kurs-Gewinn-Verhältnis von 11,58 nicht sonderlich günstig, und seine Dividendenrendite von 3,7 % ist zwar erfreulich, aber nicht weltbewegend.
Die Wertentwicklung im bisherigen Jahresverlauf deutet darauf hin, dass sich das Umfeld beleben könnte, und da die Inflation allmählich nachlässt, können sich Anleger wahrscheinlich auf eine spürbare Senkung der Zinssätze freuen.
Der Rentenmarkt berücksichtigt, dass die Labour-Partei wohl zwei Amtszeiten anstrebt, da das Projekt der Partei nicht in vier Jahren umgesetzt werden kann; somit ist fiskalische Orthodoxie praktisch garantiert.
Der jüngste Anstieg der Arbeitslosigkeit und der allmähliche Rückgang der Inflation sprechen dafür, dass die Zinssätze ihren Höhepunkt erreicht haben. Da die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung einer Folge von Liz Truss‘ „Stranger Things“ gering ist, dürften Anleiheinvestoren mit 10-jährigen Gilts bei 4,33 % zufrieden sein.
Das Pfund Sterling hat sich im bisherigen Jahresverlauf etwas stabilisiert und gegenüber dem Euro zugelegt. Die Märkte gehen davon aus, dass die Bank of England die Zinsen langsamer senken wird als die Europäische Zentralbank.
Ein Regierungswechsel, die Hoffnung auf weniger Spannungen im Handel mit der EU und die Erwartung von Stabilität und orthodoxer Politik könnten das britische Pfund Sterling in diesem Jahr weiter stützen.
Und auch im Finanzzentrum City of London, das seit dem Brexit einen Abschwung erlebt, da Arbeitsplätze und Transaktionsvolumen in die EU abgewandert sind und einige vielversprechende Tech-Unternehmen New York für ihre Börsennotierungen gewählt haben, scheint eine vorsichtig optimistische Stimmung zu herrschen.
Nach Raspberry Pi (einem britischen Hersteller von Mikrocomputern mit einem Wert von bis zu 540 Millionen Pfund) stehen noch weitere Börsengänge an. Dazu gehören die Notierungen von Shein (ein chinesisches Fast-Fashion-Unternehmen mit Sitz in Singapur) und De Beers (ein südafrikanischer Diamantenkonzern). Gerüchten zufolge soll der Konzern im Rahmen eines Umstrukturierungsplans von Anglo American ausgegliedert werden.