Tradition trifft auf Moderne
100 Jahre Tõnismäe-Apotheke: Tallins traditionsreiche Apotheke feiert Jubiläum
Die legendäre Tõnismäe-Apotheke in der estnischen Hauptstadt Tallinn feiert heute, am 8. März, ihr 100-jähriges Bestehen. Trotz ihres hohen Alters bleibt die traditionsreiche Einrichtung ein zentraler Bestandteil der medizinischen Versorgung der Stadt – und hebt sich durch eine selten gewordene Praxis hervor: Die Herstellung individueller Medikamente direkt vor Ort. Davon berichtet das estnische Fernsehen ERR.

Eine Apotheke mit Geschichte
Gegründet wurde die damalige Gemeinschaftsapotheke der Tallinner Krankenkassen im Jahr 1925 von einer Gruppe von 20 Männern. Bereits 14 Jahre später zog sie in das heutige Gebäude in der Tõnismägi 5, das bis heute für seine historischen Möbel bekannt ist.
Seit einem Jahrhundert fungiert die Apotheke als Bereitschaftsapotheke, in der Medikamente noch immer händisch in den Hinterzimmern zubereitet werden – eine Seltenheit im heutigen Pharmawesen.
Tradition trifft auf Moderne
Apothekenleiterin Silja Moik erklärt gegenüber dem ERR, dass sich die Herstellung von Medikamenten in den letzten 100 Jahren stark verändert habe.
„Heute gibt es eine sehr breite Palette an industriellen Präparaten. Deshalb haben damals zwölf Personen Medikamente hergestellt, heute ist es nur noch eine“, sagt Moik. Trotzdem bleibt die manuelle Herstellung essenziell – insbesondere für individuelle Dosierungen für Kinder oder Tiermedikamente, die nicht als fertige Präparate verfügbar sind.
Die Herstellung erfolgt mit äußerster Präzision, bestätigt die Auszubildende Liis Rets: „Alle Waagen müssen absolut genau sein.“
Ein Beispiel: Während eines Besuchs der estnischen Nachrichtensendung „Aktuaalne kaamera“ wurde eine Salbe zur Behandlung von Hämorrhoiden hergestellt. Die Rezeptur umfasst gelbe Kakaobutter in Pulverform, die mit Lanolin gemischt wird, um eine cremige Konsistenz zu erhalten. Das fertige Medikament wird in speziellen Formen zu zehn Zäpfchen verarbeitet, die nach 15 Minuten im Kühlschrank einsatzbereit sind.
Persönlicher Service und enge Kundenbindung
Die älteste Mitarbeiterin der Apotheke, Elo Mikkal, arbeitet bereits seit 40 Jahren in Tõnismäe. Sie erinnert sich an zahlreiche besondere Momente – sogar Papageien mussten hier schon behandelt werden. Viele Kunden begleiten die Apotheke über Generationen hinweg.
„Eltern kommen mit ihren Kindern oder Enkeln, die wir schon lange kennen und die sich oft persönlich bedanken“, erzählt Mikkal.
Wann ist die Apotheke am meisten gefragt?
Statistisch gesehen ist der typische Besucher der Tõnismäe-Apotheke eine 30- bis 39-jährige estnische Frau. Besonders gefragt ist die Apotheke am Freitagabend um 19 Uhr – genau dann, wenn viele andere Apotheken bereits schließen.
„Wir sehen immer dann einen Besucheranstieg, wenn die Einkaufszentren um 21 Uhr schließen. Die Abendstunden sind bei uns die geschäftigste Zeit“, bestätigt Moik.
Mit ihrer 100-jährigen Geschichte bleibt die Tõnismäe-Apotheke ein einzigartiges Beispiel für gelebte Apotheken-Tradition – und beweist, dass handgefertigte Medikamente auch heute noch ihren Platz in der Gesundheitsversorgung haben.