Keine Hinweise auf Explosion an Bord
Erste Ergebnisse: Gesunkene Fähre „Estonia“ war bei Abfahrt wohl nicht seetüchtig
Zum ersten Mal überhaupt haben Ermittler im tragischen Fall der 1994 gesunkenen Ostseefähre „Estonia“ ins Spiel gebracht, dass das Schiff schon beim Ablegen in Tallinn nicht seetüchtig war. Die vorläufigen Ergebnisse der neuen Untersuchung besagen auch, dass es an Bord keine Explosion gab.
Die Fähre sank am 28. September 1994 auf ihrer nächtlichen Fahrt von Estland nach Schweden (Stockholm) in finnischen Gewässern. Die Katastrophe kostete 852 Menschen das Leben, und auch die 137 Überlebenden ließ die Tragödie verständlicherweise nie wieder los.
Umso bitterer ist, dass sich seit der Unglücksnacht hartnäckig Gerüchte über die Ursache des Untergangs halten. Von technischem Defekt über eine U-Boot-Kollision bis hin zu einer fatalen Explosion an Bord ist alles dabei.
Ende 2021 veröffentlichte Bilder vom Wrack machten das Fass dann vollends wieder auf. Damals tauchte ein bislang unbekannter Riss im Rumpf des Schiffes auf, metergroß, weshalb sich die beteiligten Staaten schnell veranlasst sahen, eine neue Untersuchung zum Unglücksablauf in Gang zu setzen.
Pressekonferenz an diesem Montag liefert erste Ergebnisse
An diesem Montag stellten die Ermittler aus Schweden, Finnland und Estland nun die ersten Ergebnisse ihrer noch laufenden Untersuchung vor. Darin heißt es, dass die Ursachen für den erst nachträglich entdeckten Riss im Rumpf noch nicht endgültig geklärt seien.
Die Ermittler vermuten jedoch: Hauptgrund ist der Aufprall des Schiffes auf dem Felsboden. Hinzu kommt: Laut Jonas Bäckstrand von der schwedischen Unfalluntersuchungsbehörde hat sich das Schiffswrack seit dem Sinken um etwa 13 Grad verschoben.
Dies wird derzeit als Argument dafür angesehen, dass der riesige Riss so lange unentdeckt geblieben ist. Die Estonia soll jahrelang auf ihm gelegen haben, wodurch er für die Linsen der Kameras stets unsichtbar blieb.
Außerdem teilte Rene Arikas, Leiter des estnischen Büros für Sicherheitsuntersuchungen, laut YLE.fi mit, es gebe gegenwärtig keinerlei Hinweise auf eine Explosion im Bug des Schiffes. Jedoch sei die Untersuchung hierzu noch nicht abgeschlossen.
Im Gegensatz zu einer 1997 abgeschlossenen Untersuchung der Tragödie unter schwedisch-estnischer Führung gehen die jetzigen Ermittler allerdings davon aus, dass die Estonia bereits beim Ablegen im Tallinner Hafen nicht seetüchtig war. Ein dicker Hammer, wenn man das so sagen kann.
Dazu gehört, dass das Bugvisier vor dem Auslaufen scheinbar nicht überprüft worden war. Neben anderen Mängeln soll die tonnenschwere Frontklappe, deren Abbrechen stets als das wahrscheinlichste Szenario für den schnellen Untergang galt, falsch montiert gewesen sein.
Das estnische Büro für Sicherheitsuntersuchungen hat interaktive 3D-Modelle des Schiffs, des Wracks und des umliegenden Meeresbodens veröffentlicht. Interessante Einblicke in die Erforschung einer großen Tragödie, deren Fragezeichen auch rund 30 Jahre später noch nicht abschließend geklärt sind.