10.000 Kilometer von der Barentsee bis zum Schwarzen Meer
Iron Curtain Trail: Radeln am Eisernen Vorhang
Dass aus dem Schlechten gelegentlich auch Gutes erwächst, zeigt der Fernradweg EuroVelo 13 – Insidern besser bekannt unter der Bezeichnung „Eiserner Vorhang“-Radweg (Iron Curtain Trail).
Das von der Europäischen Union angeschobene Infrastrukturprojekt verfolgt tatsächlich das Ziel, die ehemalige Grenzziehung zwischen Ost und West komplett per Rad „erfahrbar“ zu machen. Also fast 10.000 Kilometer, die sich von der Barentsee hoch im Norden bis hin zum Schwarzen Meer im Süden Europas erstrecken.
Auf seinem Weg in den Süden säumt der Radweg gleich mehrere Länder, denen wir uns bei Nordisch.info redaktionell widmen. Der Reihe nach: Finnland, Estland, Lettland und Litauen, deren ehemalige Ost-West-Grenzen immerhin gut die Hälfte des gesamten Radweges abdecken.
Hintergrund: Rund ein halbes Jahrhundert waren große Teile Europas bekanntlich in Ost und West geteilt – rechts auf der Landkarte das Sowjetimperium, links der gepriesene Westen unter militärischer Führung der USA.
Mit dem Kollaps des Sowjetimperiums Anfang der 90er Jahre änderten sich die Dinge fast über Nacht radikal. Grenzen, die zuvor noch „eisern“ verriegelt waren, öffneten ihre Pforten.
In der Folge wurden die Grenzbarrieren nach und nach abgebaut, und zurück blieb ein Tausende Kilometer langer Streifen, der nun in Form von EuroVelo 13 exakt das Gegenteil dessen verkörpert, was den entlang der Ost-West-Grenze lebenden Menschen über Jahrzehnte vorenthalten blieb: (Reise-)Freiheit, jedenfalls in weiten Teilen, da die Situation an der finnisch-russischen Grenze natürlich noch immer kompliziert ist (Visum). An dieser Stelle geschenkt, denn es geht um die Idee, die auch im hohen Norden Europas eine gute ist und bleibt.
Zur Strecke: Start im hohen Norden Finnlands
Wer von Norden her starten will, sollte das nicht vor Ende April / Anfang Mai tun. Da Tageslicht und Witterung es nun am ehesten ermöglichen, die Fahrt wirklich genießen zu können.
Die Strecke entlang der finnisch-russischen Grenze ist topfeben und gilt als gut ausgebaut. Viele Streckenteile sind asphaltiert, was das Kilometerfressen in dieser weitgehend menschenleeren Region natürlich deutlich vereinfacht.
Übernachtungsmöglichkeiten – auch Hotels – gibt es alle etwa 70 Kilometer, was in der Etappenplanung natürlich berücksichtigt werden sollte. Dennoch sollte man auch ein Zelt dabei haben, falls eine Panne oder starker Gegenwind mal den Tagesplan zunichte machen.
Kreuzende Autofahrer sind in den nördlichen Breitengraden zudem sehr rücksichtsvoll, was das Gefahrenpotenzial über weite Teile des finnisch-russischen Streckenabschnittes sehr überschaubar macht.
Das ändert sich aber schlagartig entlang der Schnellstraße bei Wyborg in Russland, die als das gefährlichste Teilstück im Nordteil von EuroVelo 13 gilt. Hier muss man wirklich etwas aufpassen.
Nur gut, dass man schon wenige Kilometer später in Richtung Sankt Petersburg (und darüber hinaus) mit einem wunderbaren Radweg entlang des Flusses Newa versöhnt wird.
Vom Rennrad ist übrigens grundsätzlich klar abzuraten, da der EuroVelo 13 streckenweise alles andere als filigran ist. Was es braucht, ist ein voll bepackbares Trekkingrad mit guter Gangschaltung und Pannenschutz-Bereifung.
Der baltische Teil von EuroVelo 13
Über die russische Grenze bei Narva hinweg geht es dann konsequent an der estnischen Küste entlang. Eine traumhafte Strecke, die zum Teil in der Nähe zerklüfteter Steilklippen und durch den riesigen Nationalpark Lahemaa verläuft.
Hier kann man sich die ein oder andere Halbinsel schenken, wenn man Kilometer sparen will. Beispielsweise auf Höhe von Kotka bietet sich hierzu die Gelegenheit. Man muss aber wissen, dass dies zu Lasten einiger wunderbarer Ausblicke über den Finnischen Meerbusen ginge.
Es folgen die wunderschöne Landeshauptstadt Tallinn mit ihrem mittelalterlichen Stadtkern und wahlweise die großen Ostseeinseln Hiiumaa und Saaremaa, die aufgrund ihrer Fläche jeweils eigenständige Etappen darstellen. Um nur die prominentesten Teilstrecken zu nennen.
Das etwas weiter im Süden gelegene Seebad Pärnu lädt gerade in den heißen Wochen des Jahres zu ein, zwei Tagen Strand-Stopp ein. Nicht umsonst handelt es sich hierbei um die Sommerhauptstadt Estlands. Sehr entspannt, nette Restaurants.
Weiter geht es nach Lettland – auch hier stets entlang der Küste -, wo u.a. mit der Felsenküste von Vidzeme ein weiterer schöner Streckenabschnitt wartet. Die Hauptstadt Riga ist schließlich das nächste urbane Highlight entlang EuroVelo 13.
Die Altstadt steht der von Tallinn in nichts nach, weshalb man sich auch für diese Stadt ein bis zwei Tage Zeit nehmen sollte. Danach erwartet einen, abgesehen vom ebenfalls sehenswerten Seebad Jurmala, lettische Natur pur. Kap Kolka und die Steilküste von Jurkalne seien hier beispielhaft genannt.
Und schließlich noch Litauen, das mit der Kurischen Nehrung eine ganz besondere Teilstrecke bereithält. Bei Klaipeda setzt man kurz mit der Fähre über auf den etwa 100 Kilometer langen Landstreifen, der nur wenige Kilometer breit und zu beiden Seiten vom Wasser umschlossen ist.
Hier ist wirklich jeder Kilometer ein Genuss, und mit der Parnidis-Düne von Nida wartet kurz vor der Grenze zu Kaliningrad (russische Exklave) ein weiteres landschaftliches Highlight, das es so in Europa nicht noch einmal gibt. Ein bis zwei Übernachtungen auf der Nehrung sind ebenfalls zu empfehlen. Gerade, wenn das Wetter schön ist.
Der Rest ist Geschichte – und guter Wille
Soweit in der Kurzzusammenfassung der Teil des Eisernen-Vorhang-Radweges, der uns redaktionell besonders interessiert. Aber auch dannach geht es munter und wunderschön weiter.
Entlang der polnischen Ostseeküste bis nach Deutschland, wo der Iron-Curtain-Trail an der ehemaligen DDR-Grenze jäh nach unten abknickt und die Ostsee hinter sich lässt.
Und erst ganz am Ende, nördlich von Istanbul an der bulgarischen Grenze, öffnet sich am Schwarzen Meer wieder der Blick auf die offene See. Wer es bis hierhin schafft, hat schier Unglaubliches vollbracht.
Vielleicht muss man angesichts einer Route von knapp 10.000 Kilometern aber auch einfach nur der Idee, der reinen Vorstellung von einer mehrmonatigen Radtour den Vortritt lassen. Und dem guten Gefühl, dass es theoretisch möglich wäre, diesen Irrsinn auf sich zu nehmen. Eigentlich ein schöner Gedanke.
Weiterführende Informationen zu EuroVelo 13:
-
Hintergründe und Neuigkeiten zum Iron-Curtain-Trail finden sich auf der offiziellen Webseite des europäischen Radrouten-Netzwerks. Vorgestellt und separat beleuchtet werden hier insgesamt 13 Routen, die es allesamt in sich haben – einerseits kilometermäßig, andererseits landschaftlich bzw. kulturell. Ausgewiesenen Tourenradlern wird angesichts der vorgestellten Strecken das Wasser im Munde zusammen laufen. Sehr, sehr spannend, das Ganze.
Webseite: www.eurovelo.com
-
Was man alles mitnehmen sollte auf eine längere Radtour, ist ein Thema für sich. Es ist jedenfalls eine Menge, das sei schonmal verraten. Die Freunde vom ADFC, dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club, haben sich über diese ganz zentrale Frage mal so ihre Gedanken gemacht, gesammelt und gebündelt. Herausgekommen ist eine Checkliste, die beim Packen in jedem Fall als Orientierung dienen kann. Die komplette Liste findet sich unter der folgenden PDF.
PDF-Liste: www.adfc.de
sh