Penthouse gegen Hühnerfarm getauscht
Stadt, Land, Flucht: Vom Büromenschen zum Biobauern
Tanel Tang ist ein junger Mann, der sein Penthouse und Karriere in Tallinn aufgab, um im März des Jahres eine Hühnerfarm zu gründen. Das allein ist schon eine tolle Geschichte, doch kurz darauf kam der Corona-Lockdown und die totale Isolation der Insel, auf der er sich niedergelassen hatte. Der denkbar schlechteste Start für die Gründung eines Unternehmens war damit gelungen. Wir haben den 31-jährigen Ökohof-Gründer diesen Sommer auf Saaremaa besucht.
Tanel Tang und seine Frau Liisa lebten in einer Penthouse-Wohnung in Kalamaja, einem der hippen Stadtteile Tallinns, in einem historischen Holzhaus mit allen Annehmlichkeiten, die man haben kann – dazu eigener Parkplatz und Garten.
Die Tangs sind beide auf Saaremaa geboren und aufgewachsen, nach dem Abitur verließen sie die Insel, um zu studieren und ihren eigenen Weg zu machen. Doch die Sehnsucht nach der Heimatinsel hat sie beide nie ganz losgelassen.
Im Jahr 2018 war diese so groß, dass sie sich ein Sommerhaus auf Saaremaa kauften, – ihre Eltern lebten auf der Insel, doch das junge Paar wollte lieber ein eigenes Feriendomizil haben, an dem sie in ihrem Urlaub basteln konnte.
Der Kauf des Sommerhauses hat die Dinge in Bewegung gesetzt. Je öfter sie ihr Haus besuchten, desto stärker wurde das Verlangen in ihnen, in diesem Haus zu bleiben.
Der Umzug
Ein Jahr später sagte Liisa Tang, sie sei ihrer Arbeit in Tallinn überdrüssig, sie wolle nach Saaremaa ziehen. Tanel Tang wurde gerade erst in die Position eines Regionalleiters eines multinationalen Unternehmens befördert – das war sein Karriereziel. Seine Frau zog auf die Insel, Tanel blieb in Tallinn.
Ein halbes Jahr lebten sie getrennt, nur an Wochenenden sahen sie sich. Liisa Tang fand schnell eine neue Anstellung beim LEADER-Projekt, einem Programm der Europäischen Union zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft.
Doch die Fernbeziehung war für beide nicht zufriedenstellend. So begann er einen Plan zu schmieden, um sein eigenes Unternehmen auf Saaremaa zu gründen, damit er zum Lebensunterhalt der kleinen Familie beitragen konnte. Inzwischen erwarteten sie ein Kind.
„Ich habe viele Jobangebote erhalten, aber in erster Linie wollte ich mir selbst beweisen, dass ich in der Lage bin, mein eigenes Unternehmen zu gründen. Es reizte mich, mein eigener Chef zu sein“, sagt Tang heute.
Die Gründung
In seinem Berufsleben hatte Tang viele verschiedene Seiten der Landwirtschaft kennengelernt, aber auf Seiten des Landwirts, des Produzenten, ist er noch nicht gewesen.
Er hat einen Bachelor-Abschluss in Agrarökonomie, zudem Berufserfahrung im Landwirtschaftsministerium, wo er als Vertreter für landwirtschaftliche Betriebsmittel gearbeitet hatte. Auch durch seine vorherige Position als Regionalmanager eines Unternehmens mit Sitz in Jordanien, das ebenfalls Betriebsmittel an Landwirte verkauft, war es für ihn naheliegend, sich auf diesem Gebiet zu betätigen und ein landwirtschaftliches Start-up zu gründen.
Nun war das Ziel gesetzt: Tanel Tang wollte Landwirt werden.
Er machte eine lange Liste der Möglichkeiten, von denen er anfing Dinge zu streichen, für die er nicht geeignet war, die außer Reichweite für ihn waren, für die er kein Geld hatte oder die er nicht machen wollte.
Um, zum Beispiel, mit dem Anbau von Feldfrüchten zu beginnen, braucht man mindestens 500.000 Euro, aber die Startbeihilfe für Junglandwirte beträgt nur 40.000 Euro. Und wenn man Kühe züchtet, muss man rund um die Uhr bei ihnen sein.
Schließlich kam er auf Hühner. Hühner klangen vielversprechend. Vor allem Bio-Hühner – beste Lebensbedingungen für Hühner und reinste Nahrung für die Menschen.
Die Eierproduktion schien das beste zu sein, und da es auf Saaremaa keinen großen Eierproduktionsbetrieb gab, war Tang davon überzeugt, die richtige Geschäftsidee für seine neue Existenz gefunden zu haben.
Der Beginn bei null
Tanel Tang machte einen überzeugenden Geschäftsplan, der Staat genehmigte ihm als Junglandwirt eine Startbeihilfe und ein Darlehen in Höhe von insgesamt 125.000 Euro. Das war beinahe genug, um alle notwendigen Dinge zu erledigen.
Er kaufte eine ehemalige Schweinefarm im Dorf Salme, die seit 30 Jahren leergestanden hatte, und baute diese zu einer Hühnerfarm um.
„Im Grunde genommen begann ich mit fast 0 Prozent meines eigenen Geldes und 0 Prozent Erfahrung im Bereich der ökologischen Eierproduktion“, sagt Tang.
„Der Anbau von Feldfrüchten und die Produktion von Eiern sind völlig verschiedene Dinge. Auch wenn beides Landwirtschaft ist.“
Die Coronakrise
Der Plan stand, finanziell schien alles geregelt, aber dann kam Corona und Saaremaa war vom Rest der Welt abgeschnitten. Ein internationales Volleyballturnier in Kuressaare, der Inselhauptstadt, brachte das Virus auf die Insel.
Das Virus sprang von den Spielern auf die Zuschauer über, und breitete sich so auf der ganzen Insel aus. Durch das „Superpreading-Event“ wurde die Insel mit nur 36.000 Einwohnern zu einem der Hotspots des Landes mit nahezu genausovielen Infizierten wie in der dichtbesiedelten Hauptstadtregion.
Eine Quarantäne wurde über die Insel verhängt, niemand durfte die Insel verlassen oder betreten. Ein Schock für Tanel und seine Pläne.
„Da meine Farm automatisiert werden sollte, brauchte ich Ausrüstung und Arbeitskräfte außerhalb von Saaremaa“, sagt Tang.
„Und weil die Hühner schon bestellt waren, konnte ich meine Pläne nicht rückgängig machen. Innerhalb von zwei Monaten musste der Betrieb für die Hühner bereit sein. Es war eine schwierige Zeit.“
Es gab Tage, da wollte er aufgeben, sagt der 31-Jährige. Doch dann kamen ihm die Inselbewohner zu Hilfe. Mit ihrer Unterstützung und Know-How war er in der Lage, alles zu organisieren.
Anfang Mai kamen die Hühner, und die Produktion begann. Es waren seine ersten Hühner überhaupt. Selbst seine Eltern haben nie Hühner gehabt, obwohl sie auf dem Lande lebten.
Nach Produktionsbeginn tauchten neue Probleme auf. Tanel Tang: „Als die Hühner kamen, ging mir das Geld aus. Zudem durfte ich keine Eier verkaufen, weil ich noch keine Genehmigung vom Regierungsinspektor hatte.“
Seine Kalkulation war plötzlich Makulatur, weil die zuständige Behörde entschieden hatte, dass ihm als unerfahrenem Landwirt weniger Beihilfe zustünde als denen, die vor der Krise schon Bauern waren. So bekam er nur 30.000 statt der einkalkulierten 40.000 Euro Unterstützung. Nach zwei Jahren erfolgreicher Geschäftstätigkeit, so das Amt, werde man ihm die restlichen 10.000 auszahlen.
Es musste eine andere Lösung her. So startete er eine Crowdfunding-Aktion mit dem Titel „Eierkredit“.
Seine Idee von der Bio-Eierproduktion auf der Insel hatte er auf einer Facebook-Seite dokumentiert, er schrieb dort seine Rückschläge und Erfolge nieder. Es versammelte sich eine Fangemeinde um sein Projekt herum, aus der viele Menschen den Eierkredit kauften. Das rettete sein Unternehmen.
Ursprünglich wollte er mit 3.000 Hühnern starten, doch Aufgrund des Lockdowns hatte er nur 1.500 Hühner bekommen, hinzu kommen noch 15 Hähne. Im Nachhinein war es gut so, sagt Tanel Tang, er habe jetzt schon Absatzschwierigkeiten mit den Eiern. Von den rund 1.300 Eiern, die täglich gelegt werden, wird er bislang nur die Hälfte los.
„Im Moment kann ich nur etwa 50% verkaufen, aber ich bewege mich in die richtige Richtung“, sagt Tang. „Ich überlebe immer noch und tue immer noch etwas, das hoffentlich das Leben der Vögel besser und die Menschen gesünder macht.“
ap