„Sehen hier keinen Platz für ihn“
Estland: Streit um Verbleib von Lenin-Statue in Narva nimmt Fahrt auf
Die Serie der Streitigkeiten über den Verbleib von Sowjet-Denkmälern reißt in den baltischen Staaten nicht ab. Neuestes Beispiel ist die Lenin-Statue in Narva, die derzeit auf dem Gelände der Hermannsfeste steht, dem Wahrzeichen der 54.000-Einwohnerstadt ganz im Nordosten Estlands.
Und um es gleich vorwegzunehmen: Die Streitigkeiten haben hier tatsächlich nur nachrangig etwas mit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine zu tun, denn die Debatte begann schon vor Jahren. Der Grund ist auch nicht politisch oder ideologisch, sondern rein praktischer Natur. Ursprünglich jedenfalls.
Die Statue steht nämlich einer Neugestaltung des Burghofs im Weg, weshalb der Stadtrat den Abbau eigentlich schon vor vier Jahren beschlossen hat. Problem nur: In der Zwischenzeit fand sich keine Folgelösung, weshalb man nun den Salat hat – und die Diskussion doch im Lichte der Kriegsereignisse führen muss.
„Vor Jahren wurde vereinbart, dass Lenin an einen anderen Ort verlagert werden soll. Wenn ich ein Projekt habe, das besagt, dass wir hier etwas bauen müssen, dann wird er nicht bleiben können. So einfach ist das für mich“, lautet die (genervte) Meinung der Projektleitung des Narva-Museums.
Wobei Umzug nicht gleich Umzug wäre. Denn denkbar sind ja zwei Varianten: Verbleib an anderer Stelle in Narva. Und Umzug an ganz andere Stelle außerhalb der Stadt. Auch hierzu hat man beim Narva-Museum eine klare Haltung:
„Wir sehen hier keinen Platz für ihn. Im Moment verhandeln wir mit dem estnischen Geschichtsmuseum in Tallinn, das Erfahrung mit Sowjet-Denkmälern hat und zudem über eine hervorragende Ausstellung zur politischen Geschichte verfügt.“
Völlig anders sieht das allerdings Stadtrat Aleksei Jevgrafov, der zugleich Leiter der Kommission für historisches Erbe in Narva ist. Er denkt laut ERR.ee gar nicht daran, den Finger für eine Entfernung der Statue über die Stadtgrenze hinaus zu heben.
„Lenin soll in Narva bleiben. Es muss ein geeigneter Platz für ihn gefunden werden. Die Statue hat sowohl einen materiellen als auch einen moralischen und historischen Wert für uns“, teilte er mit. Man könne sie leicht auf ein Grundstück im Besitz der Stadt versetzen.
Damit ist eigentlich schon jetzt klar, dass sich der Streit zuspitzen wird. Denn bei Fragen zu Verbleib oder Abschied sind Kompromisslösungen, mit denen alle Seiten gut leben können, nun mal nicht ganz einfach zu finden.
Zumal es in Narva vor Monaten ja schon heftigen Streit um ein mittlerweile entferntes Sowjet-Panzerdenkmal gab. Hierzu kam der Befehl von höchster Stelle aus Tallinn, was viele Bürger und Politiker in Narva auf die Palme brachte. Rund 90 Prozent der Einwohner sind russischstämmig.
Hintergrund: Die vier Meter hohe Lenin-Statue, wurde schon einmal abgebaut. 1993 war das, als man sie aus zentraler Lage in Narva auf das Areal der Hermannsfeste versetzte. Damals war der Grund ein politischer, denn Estland hatte kurz zuvor seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erlangt.