Historischer Überblick
Tallinn: Chronologie einer langen Stadtgeschichte
Im Verlauf des 10. Jahrhunderts als Kaufmannssiedlung unter dem Namen Lindanise gegründet, wurde Reval (Name bis 1918 gültig) erst bei Beginn des 13. Jahrhunderts von den Dänen zu einer befestigten Stadt ausgebaut. Taani linn (auf Deutsch: Dänenburg) – so eine altestnische Bezeichnung, die seither als epochaler Pate für die Anfangsjahre und den heutigen Stadtnamen Tallinn anzusehen ist.
Im Jahr 1285 erhielt Reval Anschluss an die Hanse und entwickelte sich zu einem überregionalen Knotenpunkt des organisierten Ostseehandels. Anno 1346 wurde die Stadt samt umliegender Ländereien an den Deutschen Orden übertragen. Ab jetzt sollten in Reval über viele Generationen hinweg fremde Herrscher bestimmen.
Den einheimischen Bauern blieb dagegen lediglich die Pflege der estnischen Kultur und Sprache vorbehalten, ohne Einfluss auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung ihrer Heimat ausüben zu dürfen. Einzig positiver Aspekt: Die kollektive Basis für den großen Freiheitsdrang späterer Jahrhunderte war damit gelegt.
Tod und Chaos im 16. und 17. Jahrhundert
Mit dem Ende des Ordensstaates ging Reval 1561 in schwedischen Besitz über. Eine Zäsur, die heute als Auftakt in eine sehr wechselhafte, von Aufstieg und Chaos geprägte Entwicklungsphase angesehen wird. Trotz zahlreicher sozialer und kultureller Fortschritte setzten fortan kriegerische Auseinandersetzungen mit Russland (1570/71 u. 1577) der Hafenstadt arg zu. Der Pest-Ausbruch (1602) und ein verheerender Großbrand (1684) taten ihr Übriges.
Im Zuge des Großen Nordischen Krieges nahmen ab 1710 russische Truppen Besitz von Reval. Es folgten der erneute Ausbau des Hafen-Areals und ein beträchtliches Bevölkerungswachstum. Gleichzeitig sprach Peter der Große den alteingesessenen Seilschaften deutscher Herkunft wieder ihre angestammten Privilegien zu.
Von den Wirren des 1. Weltkriegs weitgehend verschont geblieben, stellte das Jahr 1918 für Reval eine weitere Zäsur dar. Die geschichtsträchtige Ostseehafenstadt hieß von nun an offiziell Tallinn und wurde zur Hauptstadt der erstmals unabhängigen Nation Estland.
Hitlerregime, Sowjetimperium und Unabhängigkeit
Nachdem im Verlauf des Zweiten Weltkriegs zunächst die Sowjetunion (ab 1939) und später Hitlerdeutschland (ab 1941) Tallinn und den Rest Estlands besetzt hielten, ging der Baltenstaat ab 1944 im Sowjetimperium auf. Es folgten mehr als fünf lange Jahrzehnte, die stark von politischer und wirtschaftlicher Bevormundung durch den Kreml geprägt waren: auch im durchaus privilegierten Tallinn eine entbehrungsreiche Zeit.
Am 20. August 1991 erlangten schließlich Estland erneut seine Unabhängigkeit und Tallinn seinen wahren Hauptstadtstatus zurück. Das Sowjetimperium hatte sich selbst überlebt, und für die estnische Republik begann wieder die Zeit der politischen und wirtschaftlichen Eigenständigkeit. Speziell für Tallinn entpuppte sich der Umschwung als segensreiche Entwicklung.
Inzwischen präsentiert sich die Hauptstadt als aufstrebender Wirtschaftsstandort und Tourismushochburg des Baltikums stolz einer stetig steigenden Besucherzahl. Die Spuren der langen Historie Tallinns bleiben dabei vor allem architektonisch sehr präsent.
Tallinn im 21. Jahrhundert
Im April 2007 trat der schwelende Konflikt mit Russland abrupt in den Vordergrund, als die estnischen Behörden einen Bronze-Soldaten sowjetischer Prägung aus dem Stadtzentrum auf einen Militärfriedhof versetzen ließen – in den Augen vieler russischstämmiger Bürger ein politischer Affront sondergleichen. Es kam zu massiven Ausschreitungen und Plünderungen, angestachelt von an politischem chaos interessierten Kräften aus Russland.
2011 zeigte sich Tallinn schließlich von einer ganz anderen Seite. Die estnische Metropole war nun europäische Kulturhauptstadt und präsentierte sich der Weltöffentlichkeit durch eine Vielzahl kultureller Veranstaltungen. Tallinn ist weltoffen und fortschrittlich, aber längst kein Geheimtipp mehr.
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