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Eine Region verliert den Zugang zum Meer

80 Jahre Lapplandkrieg: Als Finnlands Norden in Flammen stand

Soldaten mit kindlichen Gesichtern, verbrannte Erde und mehr als 150.000 Evakuierte – der Lapplandkrieg hinterließ Spuren, die bis heute sichtbar sind. Doch bis vor wenigen Jahren blieb das Kapitel der finnischen Kriegsgeschichte weitgehend unbeachtet.

Lappland Krieg
1944 tobte in Lappland ein Krieg, der fast in Vergessenheit geriet. (Foto: SA-kuva Sot.virk. V.Uomala, valokuvaaja 1944)

Im Herbst 1944 tobte im Norden Finnlands ein Krieg, den lange kaum jemand beim Namen nannte. Während der Winterkrieg und der Fortsetzungskrieg fester Bestandteil der nationalen Erinnerung wurden, blieb der Lapplandkrieg weitgehend im Schatten. Historiker Oula Silvennoinen sieht dafür mehrere Gründe: die vergleichsweise geringe Zahl der Todesopfer – rund tausend gefallene Finnen – und die Randlage Lapplands, die im Süden als peripher galt.

Doch die Universität Helsinki erinnert zum 80. Jahrestag an genau diesen Krieg, dessentwegen mehr als 150.000 Menschen aus dem Norden evakuiert werden mussten. Über 15.000 Gebäude, Straßen und Brücken zerstörten deutsche Truppen auf ihrem Rückzug. Rovaniemi, die Hauptstadt Lapplands, brannte bis auf die Grundmauern nieder.

Der Lapplandkrieg markierte die letzte militärische Auseinandersetzung auf finnischem Boden während des Zweiten Weltkriegs. Zwischen September 1944 und April 1945 kämpfte Finnland gegen deutsche Truppen, die zuvor als Verbündete im Land stationiert gewesen waren. In einzelnen Gefechten traf auch die Wehrmacht auf Einheiten der Roten Armee.

Eine Region verliert den Zugang zum Meer

Ein besonders schwerer Verlust war die Abtretung von Petsamo an die Sowjetunion. Die Region mit ihrem Hafen am Eismeer und reichen Nickelvorkommen galt als Symbol für Finnlands moderne Zukunft. Heute erinnert wenig an das einstige „Klondike Finnlands“.

„Man kann sich vorstellen, wie Finnland heute aussehen würde, wenn wir noch Zugang zum Eismeer hätten“, sagt Silvennoinen. „Das geistige Klima wäre vielleicht ein anderes.“

Deutsche Soldaten, verbrannte Erde

Im September 1944 befanden sich mehr deutsche Soldaten in Lappland als Einwohner: 200.000 Mann. Deutschland hatte große strategische Interessen in der Region und wollte sich nicht kampflos zurückziehen.

Lapplandkrieg
Sanitäter warten auf die Fertigstellung der Brücke an der Eismeerstraße in der Nähe von Ivalo. (Foto: SA-kuva Sot.virk. V.Uomala, valokuvaaja 1944 /
Sotamuseo / Bildbearbeitung: Maisa Puranen.)

Zunächst vermieden beide Seiten offene Gefechte. Die Finnen wollten einen direkten Krieg mit ihrem ehemaligen Waffenbruder hinauszögern, die Deutschen halfen sogar bei der Evakuierung der Zivilbevölkerung.

Doch auf Druck der Sowjetunion kam es Anfang Oktober in Tornio zu schweren Kämpfen. Von da an brannten Dörfer und Städte, Brücken und Straßen wurden systematisch zerstört. Die deutsche „verbrannte Erde“-Taktik verwandelte Lappland in eine Landschaft der Ruinen.

Junge Soldaten gegen erfahrene Gebirgsjäger

Ab November wurden junge finnische Wehrpflichtige in die Kämpfe geschickt – schlecht vorbereitet und auf völlig zerstörtem Terrain. Die deutschen Truppen, insbesondere die erfahrene Gebirgsdivision „Nord“, lieferten ihnen einen zähen Stellungskrieg. Ein schneller Sieg war unmöglich.

Silvennoinen räumt mit dem Mythos auf, deutsche Truppen hätten im Norden „milder“ gekämpft: „Die großen Entfernungen und der Mangel an Zivilisten verhinderten Grausamkeiten im Stil der Ostfront. Aber das Ziel blieb dasselbe – die systematische Zerstörung auf dem Rückzug.“

Nach dem Krieg: Aufbau aus der Asche

Nach Kriegsende kehrten die Evakuierten zurück – in ein Lappland, das kaum wiederzuerkennen war. Minen, Sprengfallen und Trümmer dominierten die Ortschaften. Gleichzeitig drängte die sowjetische Armee tief in den Norden vor – eine Tatsache, die selbst in Norwegen wenig bekannt ist, wie Silvennoinen betont.

Finnland hatte wenig Spielraum. Seit dem Winterkrieg stand das Land unter ständiger Bedrohung aus dem Osten und war wirtschaftlich von Deutschland abhängig. Der Lapplandkrieg war aus finnischer Sicht eine erzwungene Entscheidung – und ein hoher Preis für das nationale Überleben.

Erinnerung, die spät kam

Erst im 21. Jahrhundert begannen Historiker, die Geschichte des Lapplandkriegs intensiver zu erforschen. Arbeiten wie Oula Seitsonens Dissertation zur Konfliktarchäologie brachten neue Erkenntnisse über den Krieg in der Arktis und seine langfristigen Folgen für die Region und ihre Menschen.

Auch die Literatur trug dazu bei, das Bild zu vervollständigen. In Rosa Liksoms Roman „Über den Strom“ (Oroginaltitel: Väylä) etwa wird der Krieg durch die Augen von Kindern geschildert, die gemeinsam mit ihren Kühen vor der Zerstörung fliehen.

„Sicherlich gibt es noch viele blinde Flecken“, sagt Silvennoinen. „Die Geschichte Lapplands im Krieg ist noch lange nicht zu Ende erzählt.“

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