Affront? Oder einfach nur klare Kante?
Finnland: Touristenattraktion begrüßt russische Besucher mit ukrainischer Nationalhymne
In der ostfinnischen Stadt Imatra befindet sich eine der bekanntesten Attraktionen des Landes: der gerade bei russischen Urlaubern als Tagesausflug beliebte Staudamm des Flusses Vuoksi – keine zehn Kilometer von der Grenze entfernt.
Bei dem Bauwerk handelt es sich um einen rund 100 Jahre alten Trumm aus Stein und Beton, dessen Schleusenöffnung Tag für Tag von Klängen des finnischen Komponisten Johan Julius („Jean“) Sibelius begleitet wird.
Oder besser: Eigentlich ist das so, denn mit dem Krieg in der Ukraine hat sich die finnische Sicht auf Nachbar Russland stark verändert. Und zwar so sehr, dass die Stadt Imatra die tägliche Wasser-Show seit diesem Juli auch mit dem Abspielen der ukrainischen Nationalhymne einleitet.
Im Video: Finnen heißen Russen mit ukrainischer Hymne willkommen
Einerseits ist das natürlich lautstarker Protest gegen Russlands militärischen Überfall auf die Ukraine. Punkt. Aber gedacht ist die Aktion wohl auch als kleiner Wachmacher, als Wachrüttler für die vielen Besucher aus Russland, bei denen man schlichtweg nicht weiß, wie sie zum System Putin stehen.
Oder auch als Provokation? „Das ist schlecht für die Russen, die Finnland lieben“, zitiert AFP einen 44-jährigen Touristen aus Russland, der mit seiner Familie zu dem Staudamm angereist ist. „Aber wir verstehen die finnische Regierung, nicht alle bei uns sind für Putin.“
Nur zur Einordnung: Finnland und Russland teilen eine etwa 1.300 Kilometer lange Landgrenze. Es gab trotz aller Differenzen stets auch enge regionale und lokale Verflechtungen. Aber der Krieg in der Ukraine hat die Stimmung getrübt, um es noch halbwegs positiv auszudrücken.
Aus Mangel an Vertrauen in den östlichen Nachbarn befindet sich Finnland inzwischen auf dem Weg in die NATO, begleitet von viel diplomatischem Getöse. Und auch kulturell, im Miteinander beider Völker scheint etwas zerborsten zu sein.
So ergab erst letzte Woche eine Befragung des öffentlich-rechtlichen Senders Yle.fi, dass fast 60 Prozent der Finninnen und Finnen sogar für den totalen Stopp der Vergabe von Touristen-Visa nach Russland sind.
Mit einfachen Worten: Man will russische Besucher mehrheitlich nicht mehr im Land haben. Und das, obwohl natürlich die heimische Tourismusbranche ein Ausbleiben der Gäste aus Moskau, Sankt Petersburg und vor allem grenznahen Gemeinden deutlich merken würde.
Rund um die Frage zur Einschränkung der Vergabe von Visa an Russinnen und Russen ist ein EU-weiter Streit entbrannt, ob derart pauschale Strafen nicht eine Nummer zu hart seien. Bzw. ob solche Maßnahmen nicht die Falschen treffen würden. Das unschöne Wort Kollektivstrafe macht die Runde.
Finnland scheint in dieser Frage jedoch klar zu sein. Übrigens genauso wie Estland und Lettland, die beiden anderen Nachbarn Russlands im Osten der EU. Ihr Aufruf an den Rest der Union: Schluss mit der Visa-Vergabe.
„Die Einreise nach Europa ist ein Privileg und kein Menschenrecht“, brachte es dieser Tage Estlands Regierungschefin Kaja Kallas auf den Punkt. Immerhin: Kämen keine russischen Touristen mehr zum Staudamm nach Imatra, könnte man musikalisch wieder voll auf Sibelius zurückgreifen.