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Kein Reiseziel zu viel

Das stille Volk vor der malerischen Kulisse der finnischen Wälder

Was da im Jahr 2017 durch die Medien geisterte, erinnerte ja schon ein wenig an „The walking dead“. Damals machte angeblich ein Mann bei einer Adressen-Recherche mit Google Maps eine gruselige Entdeckung, schrieb damals etwa der Berliner Kurier.

Letzten Monat war das Stille Volk erneut in den Medien. Im Juni berichtete Kainuun Sanomat, dass das Stille Volk Sommerkleider bekam. Es war ein Fest, bei dem auch der Künstler anwesend war.

Untote mit Google Maps entdeckt?

Der Eishauch des Horrors?

Direkt an der Landstraße stehen sie urplötzlich, wie dahin gezaubert, auf einem freien Feld unter dem weiten finnischen Himmel. Still und stumm. Blicken alle in dieselbe Richtung zur Straße.

das stille Volk
Das stille Volk ist ein einzigartige Kunstwerk, von Künstler und Tänzer Reijo Kela konzipiert und entworfen. (Foto: © Tarja Pruess)
Doch was die einen als Gruselkabinett identifizieren, ist ein Kunstwerk. Es ist auch nicht so neu. Und nicht so versteckt, wie man meinen könnte. Viele Touristen, die auf dem Landweg nach Lappland unterwegs sind, kommen daran vorbei, denn es steht direkt an der östlichen Hauptverbindungstrecke, an der Fernstraße E 5 bei Suomussalmi.

Das Stille Volk

Das Stille Volk Reijo Kela
Wer sind sie? Ausgestoßene? Vergessene? Oder das Klischee des schweigsamen Finnen? (Foto: © Tarja Pruess)
Hiljainen Kansa, also das stille Volk nennt Reijo Kela sein Werk. Der 1952 in Suomussalmi geborene Tänzer und Choreograf ist für seine raumgreifenden Tanzperformances bekannt. Er tanzt auf Mooren, in Wäldern, auf Straßen und Bühnen, seine kürzeste Performance ist nicht mal zwei Sekunden lang, die längste dagegen 164 Stunden.

Schon 1988 schuf er das „stumme Volk“, setzte er bei verschiedenen Performances ein, bis die lautlosen Gesellen 1994 ihren Platz in Suomussalmi fanden. Rund 1.000 Vogelscheuchen stehen da auf dem großen Feld, vor der malerischen Kulisse der finnischen Wälder. Keine gleicht der anderen, in Dutzenden unregelmäßigen Reihen und man hat den Eindruck, sie schauen einen an. Manche vorwurfsvoll, andere in sich gekehrt, andere vorwitzig.

Vogelscheuchen, die nur aus einer einfachen Holzkonstruktion und einem Torfkopf bestehen. Die Kleider für die stummen Gestalten sind ausnahmslos abgelegte Kleider der Einheimischen des Dorfes.

Und je nach Wetter, Tages- und Jahreszeit entstehen ganz unterschiedliche Stimmungen. Wenn der Wind in die Röcke und Heufrisuren bläst, dann wirken sie aufgewühlt und beinahe aggressiv, als würden sie gleich losstürmen wollen. Bei leisem Regen mit herunterhängenden Ärmeln wirken sie traurig und deprimiert. Bei Sonnenschein lachen sie einem fast entgegen.

Offene Fragen

Hiljainen Kansa
Auf Finnisch heißt das Kunstwerk „Hiljainen Kansa“. (Foto: © Tarja Pruess)
Das stumme Volk. Wer sind sie? Ausgestoßene? Das Klischee des schweigsamen Finnen? Vergessene? Fragen nach dem Warum bleiben unbeantwortet.

Was ist das wohl für ein Gefühl für jemand aus Suomussalmi, sein Jahre lang getragenes Lieblingskleidungsstück plötzlich inmitten all der anderen stummen Gestalten im Sommerwind wehen zu sehen? Sich selbst als Torfpuppe wieder zu erkennen?

Doch das stumme Volk antwortet nicht. Und auch ihr Schöpfer Reijo Kelo gibt keine Antwort. Seit über 20 Jahren lässt er die Frage offen. Jeder soll selbst nachdenken und für sich eine Antwort finden. Und das ist dann vielleicht genau das, was Kela im Sinn hat.

Manche vermuten, das stille Volk symbolisiere die Gefallenen im finnischen Winterkrieg, als Finnland 1939/40 gegen die Sowjetunion kämpfen musste.

Zweimal im Jahr werden die Vogelscheuchen neu eingekleidet und die Torfköpfe erneuert. Dann bleiben 1.000 Kreuze stehen. Mahnend. Erinnernd. Stumm.

TEXT, FOTOS und VIDEO von Tarja Prüss

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1 Kommentar
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Kai
Kai
23. Oktober 2017 14:14

Schweigen ist Gold ! <3