Ein Reiseführer der besonderen Art
Einhundertundelf Gründe, Finnland zu lieben
Genauso viele Gründe, wie es gibt, Finnland zu lieben, gibt es auch, dieses Buch zu lieben. Ist es ein Reiseführer? Gewiss, ein wenig, – man könnte das Buch als Reiseführer nutzen.
Zum Beispiel das Kapitel über die zweitälteste Stadt Finnlands, Porvoo. Beim Lesen bekommt man Lust, in die Stadt zu reisen. Scheinbar wie in einem Reiseführer wird die Stadt vorgestellt. Doch das scheint nur Anfangs so. Tatsächlich erfahren wir nie, wo die Stadt liegt, und wie man dahin kommt. All die technischen, im Grunde langweiligen Fakten fehlen. Als ob die Autorin darauf vertraute, dass der Leser und potentielle Finnlandreisende selbstständig die geografische Lage eines Ortes herausfinden kann, und wie er ihn erreicht.
Anstatt uns die Busverbindung von Helsinki nach Porvoo vorzukauen, konzentriert sich Prüss darauf, uns etwas Außergewöhnliches zu präsentieren. Die Autorin macht uns mit den Menschen in Finnland bekannt. Das kann kaum ein gewöhnlicher Reiseführer leisten, der die Sehenswürdigkeiten abzählt und über ihre Adressen referiert. Tarja Prüss spricht für uns mit den Menschen.
Der Kontakt mit den Menschen des Landes ist die Stärke der Autorin, er macht das Buch spannend. Die ausgebildete Journalistin lässt die Leute zu Wort kommen. Die Psychologie des für uns Mittel-/Westeurpäer „geheimnisvollen Finnen“ zeigt sich in den kleinen Geschichten der Leute und wie sie sie erzählen. Wir werden viel mehr mit den Menschen in Finnland vertraut als mit Ortschaften und Sehenswürdigkeiten.
Tarja Prüss schafft da etwas Einzigartiges. Sie zeigt uns Finnland durch die Finnen. Ob es der verschrobene Ladenbesitzer ist, in dessen Laden, je nach Wetterlage oder Sympathie des Käufers, die Preise variieren. Oder Matti aus Rauma, der von seinem Heimatort erzählt und persönliche Einblicke gibt. Es entsteht der Eindruck, dass der Leser, der Außenstehende, in finnische Geheimnisse eingeweiht wird.
Die Sehenswürdigkeiten kommen ja gar nicht zu kurz, sie sind da, stehen aber nicht im Vordergrund. Sie bilden eine Kulisse für das Wesentliche: die Menschen, mit denen Prüss leicht ins Gespräch zu finden scheint. Als hätte sie 111 Informanten in Finnland.
Mühelos kommt Tarja Prüss mit den Menschen ins Gespräch, schließlich ist sie halbe Finnin. Doch das vergrößert nur die Leistung des Buches. Wir Leser können darauf vertrauen, dass die Erlebnisse und Eindrücke aus Finnland authentisch sind. Ganz bestimmt plaudert der Finne eher aus dem Nähkästchen, wenn er es in finnischer Sprache tun kann.
Apropos Sprache. Prüss beherrscht die Sprache des Geschichtenerzählens. Sie beherrscht den Spannungsbogen, ihr Erzählstil ist literarisch. Zum Beispiel das Kapitel „Unverhofft, kommt oft“ fängt folgendermaßen an: „Eija will mir unbedingt ihr Heimatdorf zeigen.“ Sofortige Spannung. Wer ist Eija? Was hat es mit ihrem Heimatdorf auf sich?
Mit so einem ersten Satz könnte eine Kurzgeschichte beginnen, oder ein Roman. Ich habe bislang kaum einen Reiseführer gelesen, der beiläufig mit literarischen Stilmitteln aufwartet und sich so rund lesen lässt, dass man im Grunde kein Interesse an dem Land haben muss, um das Buch gut zu finden. „Ein Pyrenäenbuch“ von Kurt Tucholsky ist noch so ein Buch. Aber wir wollen trotz unserer Abenteuerlust nicht abschweifen.
Ist es ein Reiseführer? Gewiss, ein wenig. Vor allem ist es ein Band mit Liebesbriefen an die Natur, Kultur und die Menschen in Finnland. Wer sich für das Land und die Leute interessiert, der wird an diesem Buch seine Freude haben. Wer sich nur für Leute interessiert, auch. Von uns gibt es eine Kaufempfehlung ohne Einschränkungen.
Tarja Prüss
111 GRÜNDE, FINNLAND ZU LIEBEN
Eine Liebeserklärung an das schönste Land der Welt*
328 Seiten | Taschenbuch
Mit separatem Farbteil
ISBN 978-3-86265-614-1
12,99 EUR (D)
ap
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