Auf die Schultern – Fertig – Los!
Huckepack: Frauentrage-Weltmeisterschaft in Finnland
Finnland ist bekannt für verrückte Wettbewerbe. Neben Luftgitarren-Weltmeisterschaft und Handyweitwurf lockt die Frauentrage-Weltmeisterschaft (finnisch: eukonkanto) jedes Jahr Tausende aus der ganzen Welt nach Finnland, genauer gesagt in den kleinen Ort Sonkajärvi im Norden der Region Savo. Mittelfinnland. Seenland.
Einmal im Jahr steht die 2.000 Seelen Gemeinde Sonkajärvi im Mittelpunkt der Weltpresse, wenn es um die verrückesten Verrücktheiten geht. 56 verschiedene Medien, darunter viele aus dem Ausland, sind angereist, um diesen einmalig skurrilen Wettbewerb festzuhalten und in die Welt zu tragen.
Zum 23. Mal in der Geschichte Finnlands schultern Männer ihre Frauen, die im Übrigen nicht ihre Ehefrauen sein müssen, und tragen sie über einen 253,5 Meter langen Hindernisparcours, bei dem Holzbarrieren genauso überwunden werden müssen wie ein über ein Meter tiefes Wasserbassin.
Die Regeln wurden über die Jahre hinweg immer weiter verfeinert. Spikes etwa sind verboten und führen zur Disqualifizierung. Wie man seine Frau, Freundin oder einfach nur WM-Partnerin schultert, ist dagegen frei. Drei Varianten haben sich jedoch als besonders praktikabel erwiesen. Darunter die, die sich estnische Methode nennt, bei der die Frau mit dem Kopf nach unten am Rücken des Mannes hängt, während sich die Knie an die Schultern schmiegen, die Füße vor der Brust des Mannes über Kreuz zusammengehalten werden und die Frau ihre Arme um die Hüften schlingt.
Angefeuert vom Publikum, das auf Rängen rund um den Parcours mitfiebert, springen insgesamt über 50 Paare todesmutig ins Wasser. Luft anhalten heißt es dann für die Damen, denn die Köpfe der Frauen tauchen unweigerlich und manchmal unfreiwillig lang unter Wasser.
Wie bereitet man sich auf so einen Wettbewerb vor?
„Wir haben zuletzt vor einem Jahr trainiert,“ erzählen Janno und Anu aus Estland lachend. „Bei der letzten WM hier in Finnland.“ Sie nehmen schon seit 21 Jahren an solchen Wettbewerben teil, seit fünf Jahren am finnischen.
Von Räubern und nervösen Stadionsprechern
Hier in Sonkajärvi wurde die WM vor 23 Jahren erfunden. Dabei geht die eigentliche Geschichte noch viel weiter zurück.
Denn in der Region gab es in alter Zeit einen Räuber, eine Art Robin Hood, der alles mitgehen ließ, was nicht niet- und nagelfest war, und es den Armen gab. Auch die Frauen nahm er mit, Huckepack, wie die Alten des Dorfes erzählen. Herkko Rosvo-Ronkainen war sein Name und er war gefürchtet. Groß und hässlich sei er gewesen, heißt es, aber die Frauen liebten ihn.
„Ich bin seit Anfang an dabei.“, erzählt Joni aus dem finnischen Iisalmi, der bereits fünffacher Weltmeister ist. „Dieses Jahr muss er das erste Mal sogar eine Großmutter tragen!“, wirft seine Partnerin Jaana lachend ein. Die im übrigen nicht aussieht wie eine Oma, aber bald eine sein wird.
Der Stadionsprecher, der mehr an einen nervösen brasilianischen Fußballkommentator erinnert, feuert die Paare lautstark über die Lautsprecher an und kommentiert aufgeregt den Fortgang des Wettbewerbs.
Jedes Team, egal wie schnell oder witzig kostümiert, wird auf der Zielgeraden noch einmal vom Publikum jubelnd angefeuert und ihr Durchhaltevermögen beklatscht. Mancher starker Mann gerät kurz vor dem Ziel ins Straucheln, denn der Parcours zehrt enorm an den Kräften. Doch im Ziel angekommen, liegen sich dann alle in den Armen. Denn letztlich geht es hier gar nicht ums Gewinnen.
„Wir feiern unser bestandenes Abitur.“, erzählt eine Gruppe junger Männer. Das Schwierigste sei, dass man bei dem Teamwettbewerb auf der Strecke zweimal einen halben Liter sprudelndes Mineralwasser trinken müsse.
„Das haben wir wieder und wieder mit Alkohol geübt, selbst gestern Abend haben wir nochmal eine ziemlich heftige Trainingseinheit eingelegt.“ Und danach wollen Marko und Tuomo aus dem nahegelegenen Kuopio feiern, dass sie die Strecke unfallfrei überstanden haben. Und ziemlich sicher nicht mit Mineralwasser.
Devise: Zusammenhalt unter Nachbarn
13 Gemeinden der Region organisieren das Festival gemeinsam. Das Essen kommt ausnahmslos aus der Region. Local food ist die Devise: rote Beete, Salat und Ofenkartoffeln kommen ebenso auf den Tisch wie hausgemachter Kuchen mit Blaubeeren und hausgemachtem Bier.
Für die passende Arbeitskleidung der vielen freiwilligen Helfer wurde extra eine professionelle Theaterkostümbildnerin engagiert. Außerdem werden jedes Jahr die engagiertesten ehrenamtlichen Helfer mit einer Medaille ausgezeichnet.
So verfolgt man gleich mehrere Ziele mit dem zunächst vielleicht oberflächlich erscheinenden Gaudi-Wettbewerb. Wirtschaftliche Impulse setzen, den Zusammenhalt in der Region unter Nachbarn stärken, gemeinsam eine gute Zeit und noch viel mehr Spaß haben sowie mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeit und lokale Produkte schaffen.
Am Start war übrigens auch der deutsche Comedian Simon Gosejohann. Mit seinem Rentierkostüm wird er demnächst wohl auch auf einem der privaten Fernsehkanäle zu sehen sein. Es sei das Anstrengendste gewesen, was er je habe durchstehen müssen, sagt er, im Ziel angekommen.
Gewonnen haben schließlich Vytautas und Neringa Kirkliauskas aus Litauen. Die beiden Durchtrainierten brauchen nur 1 Minute und 5 Sekunden für den Hindernisparcours.
Bei ihrer Ehrenrunde durchs „Stadion“ danken sie dem Publikum und versprechen ihren Titel nächstes Jahr zu verteidigen, wenn es wieder heißt: Auf die Schultern – Fertig – Los!
Text & Fotos: Tarja Prüss