Bärenbeobachtung in Finnland
Gänsehautmomente: Auf Bärensafari in Kuusamo
Es gibt nur wenige Plätze auf der Welt, wo man Braunbären in freier Wildbahn beobachten kann. Der Osten Finnlands ist so ein Platz. Da gibt es nicht nur Bäume, Seen und Moore. Dazwischen auch Bären, Wölfe, Luchse und Vielfraße. Die nördlichste Bärenbeobachtungsstelle Finnlands.
Im Revier des Bären
Tuomo Pirttimaa ist ein typischer Vertreter des Klischees vom finnischen Mann. Schweigsam, zurückhaltend, beinahe schüchtern. Ein Naturbursche mit Baskenmütze und Wanderhose im military look, der sich am liebsten allein im Wald aufhält. Wobei er weiß, dass er dort nie allein ist. Denn die Grenzregion um Kuusamo mag dünn besiedelt sein und großteils aus dichten, sumpfartigen Wäldern bestehen, aber genau da leben mehr wilde Tiere als man ahnt.
Weniger als 2.000 Bären gibt es schätzungsweise noch in den dichten Wäldern Finnlands. Wenn Tuomo nach den Bären gefragt wird, dann hellt sich sein Gesicht auf. Seine Augen beginnen zu leuchten, als hätte man ihn aus dem Winterschlaf geweckt. Die Worte kommen erst zögerlich, als müsste er nach den richtigen erst suchen, dann aber sprudeln sie wie von allein.
„Es gibt nichts Faszinierenderes als Bären. Der Bär ist das edelste und beeindruckendste Tier in der finnischen, ja in der europäischen Natur.“
Tuomos Paradies liegt unweit der russischen Grenze. Wald- und Sumpfgebiet in privater Hand. Toumo kennt es ganz genau. Seit zehn Sommern bietet er zusammen mit seinem Kompagnon Pekka Bärenbeobachtung für Naturliebhaber, Fotografen und Touristen an.
Gut eine halbe Stunde geht es zunächst mit dem Auto über Schotterstraßen. Dann zu Fuß weiter durch mooriges Waldgebiet. Ab und zu hört man in der Ferne Kolkraben krächzen. Feuchte Schwüle begleitet uns, ebenso Mückenschwärme und Stille. Tuomo hat uns zuvor eingeschärft, leise zu sein. Wir wollen die Bären nicht verscheuchen, bevor es überhaupt richtig losgegangen ist.
Nach einem kurzen Marsch gelangen wir zu einer einfach gezimmerten Holzhütte. Die nördlichste Bärenbeobachtungsstelle Finnlands. Mitten im Nirgendwo. In der Stille. In der Einsamkeit des finnischen Waldes. Hören, was sie uns erzählen mag.
Der König des Waldes
Würden wir ihn heute zu sehen bekommen? Das erste Mal im Leben? Mit eigenen Augen? Da kribbelt es schon ein bisschen im Bauch. Gelockt werden die instinktiv scheuen Bären mit rohem Lachs, der am Waldrand ausgelegt wird. Doch zunächst passiert gar nichts. Aufgeregt scannen meine Augen die Umgebung. Eine sumpfige Freifläche erstreckt sich direkt vor uns, dahinter beginnt der Wald.
Wolken verdecken die Sonne an diesem Abend. Da irgendwo hinten im Wald sind sie. Und andere vermutlich auch. Wölfe und Luchse. Letztere sind scheu, die sieht man nicht. Aber allein zu wissen, dass sie da sind, erhöht den Spannungsfaktor noch einmal. Hat sich da gerade was bewegt? Oder ist das nur der Wind? Das Sumpfgras wiegt sich, Silbermöwen fliegen kreischend umher, da ein toter silbergrauer Baumstamm. Wildnis. Irgendwie mystisch.
Von der Hütte aus können wir die Bären durch die Scheibe sicher beobachten und fotografieren. Dafür gibt es extra ‚Schießscharten‘ – mit Stoff verhängte Luken, gerade so groß, dass man das Kameraobjektiv durchschieben kann.
Zuvor hatte man uns eingeschärft, kein Parfum und kein Mückenabwehrmittel zu benutzen. Damit uns die Bären nicht schon von weitem riechen. Das nächste, was ich an diesem Abend lernen darf, ist: Geduld!
Gänsehautmomente
Tuomos Augen sind geschulter als unsere. Keine Regung entgeht ihm. Er ist es dann auch, der den Bär als erster entdeckt. Lautlos zeigt er in die Richtung und die Kameras beginnen leise zu klicken.
Langsamen Schrittes wagt sich ein ausgewachsener Braunbär aus der Deckung. Am Waldrand bleibt er stehen. Blickt sich um. Ob er uns wohl wittert? Doch der Lachsgeruch scheint stärker und verlockender zu sein.
Da schlägt einem das Herz höher. Nach zwei, drei Bissen schnappt er sich den Fisch, der extra als Lockmittel für ihn ausgelegt wurde, und verschwindet damit im Wald. Vorstellung beendet.
Die Aufregung dagegen bleibt noch ein wenig. Eine seltsame Mischung aus Faszination, Ehrfurcht und eine gehörige Portion Respekt. Als wäre tief in unseren Genen die Angst vor Bären abgespeichert.
Der, dessen Name nicht genannt werden darf
Die Finnen haben 200 bis 280 verschiedene Wörter für den Bär – die Zahl variiert, je nach dem, mit wem man spricht. Kontio, ohto, nalle, pöpö, jumalan vilja, metsän kuningas. Umschreibungen, um das eigentliche Wort für Bär = karhu zu vermeiden. Denn das bringt nur Unglück. Die Menschen glaubten, man würde den Bären anlocken, wenn man seinen Namen laut ausspricht.
„In ganz alter Zeit war der Bär eine Gottheit. Und als Gott durfte er nicht direkt angesprochen, nicht mal sein Name ausgesprochen werden.“ Aus Tuomos Mund klingt das logisch. „Der Bär ist der König des Waldes.“ In seinen Sätzen schwingt Ehrfurcht und Respekt mit.
Und da kommt „er“. Gemächlich trottend schlendert „er“ an den Bäumen vorbei, schaut sich in alle Richtungen um und fängt in aller Ruhe an zu fressen. Zwischendurch hebt „er“ den Kopf und vergewissert sich, dass alles in Ordnung ist und niemand seine Mahlzeit stört oder ihm streitig macht. Gewaltige Tiere – bis zu 300 Kilogramm bringen ausgewachsene Männchen auf die Waage. Und sie scheuen auch nicht vor Elchen als Beute zurück.
Bärenstark
„Man muss keine Angst haben vor Bären,“ sagt Tuomo. Viele Finnen hätten Angst vor Bären, weil man sie erzogen habe, Angst zu haben. Aber der Bär sei weder aggressiv noch angriffslustig. Im Gegenteil: der Bär müsse den Menschen fürchten. Denn noch immer werden Bären geschossen in Finnland. Legal und illegal. Um die hundert, schätzt Tuomo. Bei einer Gesamtzahl von unter 2.000.
Tödliche Zusammenstöße mit Bären sind äußerst selten. Im letzten Jahrhundert ist nach Angaben des skandinavischen Bärenforschungsprojekts von Sven Burgberg nur ein tragisches Unglück in Finnland verzeichnet, als 1998 im Südosten des Landes ein Jogger von einem Bär getötet wurde. Aufgrund mangelnder Zeugen sind die genauen Umstände jedoch unklar geblieben.
Vorsicht ist allerdings bei Bärenweibchen mit Jungtieren geboten. Wenn sie überrascht werden, verteidigen sie ihre Jungen und greifen an.
In der Hütte ist es mucksmäuschenstill. Ab und zu raschelt eine Jacke oder der Deckel einer Wasserflasche knackt. Es ist heiß geworden, doch nicht allein von der milden Abendsonne, die durchs Fenster rein scheint. Es ist auch eine gute Portion Aufregung, Faszination und Ehrfurcht vor den selten gewordenen wilden Raubtieren. Dass uns die Dunkelheit des einbrechenden Abends das Licht nimmt, müssen wir dank der Mitternachtssonne nicht fürchten. Von Mai bis September kann man die Bären beobachten. Dann halten sie Winterschlaf.
Bärenhunger
Für die baldige Winterruhe brauchen sie jedoch ein dickes Fettpolster. Der Herbst ist die beste Sammelzeit der Braunbären. Täglich fressen sie dann bis zu 40 Kilogramm und nehmen fast drei Kilo pro Tag zu. Während des Winterschlafs drosseln sie dann ihre Körperfunktionen, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Die ausgelegten Lachse als Lockmittel sind somit sehr willkommen.
Ein Jungtier, im Auftreten vorsichtiger, fast ein wenig ängstlich schleicht sich an die Beute heran. Als würde es sich nur ungern aus dem geschützten Wald auf die offene Lichtung wagen. Immer wieder blickt es sich um. Vielleicht rechnet es auch mit ebenso hungrigen Seinesgleichen. Schnappt sich die Beute und schleppt sie in den Wald.
Bärenaugen
Ich frage mich, ob er uns wohl wittert. Und vielleicht deswegen so schnell die Biege macht. Er ist letztes Jahr auf die Welt gekommen, erklärt Tuomo. Trotz der gefährlich dicken Pranken hat er etwas Kuscheliges und Tolpatschiges an sich. Kein Wunder, dass der Braunbär mit seinen lustigen Ohren und den braunen Knopfaugen einst für den Teddybären Pate stand.
Toumo ist ein Missionar in Sachen Bär. Er hat sie genau studiert und kann ihre Verhaltensweisen deuten. „In jeder seiner Bewegungen kannst du sehen, dass der Bär der König des Waldes ist.“ Und mit einem Mythos räumt er auch noch auf: Der auf den Hinterbeinen aufgerichtete Bär erscheint uns als Bedrohung. Als stünde er kurz vor einem Angriff. Doch nichts dergleichen.
Tatsächlich überprüft er, was sein guter Geruchs- und sein scharfer Gehörsinn ihm längst verraten haben. Keine Drohgebärde, sondern eher ein Zeichen der Schwäche. Raten Sie mal welche. Der Bär bräuchte eigentlich eine Brille. Er kann nämlich nicht gut sehen. Und das wiederum ist gut für uns.
Text und Fotos: Tarja Prüss
INFOS Mehr Bärenbeobachtung: www.karhujenkatselu.fi/de |
Anreise:
Mit Bahn/Bus: Es gibt drei Bahnstationen: Oulu, Rovaniemi, und Kemijärvi. Alle sind sind von Helsinki aus gut zu erreichen. Von da geht es mit dem Linienbus weiter nach Kuusamo. Mit dem Auto: Von Helsinki auf der E 63 und Route 5 nach Kuusamo. Rund 800 Kilometer. Mit dem Flugzeug: Flug nach Helsinki und Weiterflug nach Kuusamo. Der Flug von Helsinki dauert eine knappe Stunde und vom Flughafen Kuusamo fährt ein Shuttlebus ins Zentrum. |
Die Reise erfolgte mit freundlicher Unterstützung des Fremdenverkehrsamtes von Finnland. |