Schneekunst auf dem 65. Breitengrad in Finnland
Multiskulpti: 1. Internationaler Schneeskulpturen-Wettbewerb in Oulu
27 Kubikmeter Schnee, ein paar Schaufeln und eine Idee im Kopf – so lautet die Herausforderung für die Schneekünstler aus zehn Ländern beim 1. Baltic Snow Call in Oulu im Norden Finnlands, 200 Kilometer südlich vom Polarkreis.
Naja, etwas komplizierter sind die Regeln schon. Die Teams müssen sich für den Contest bewerben, aus den Einreichungen werden die zehn Besten ermittelt.
Aus Deutschland hat sich ein einziges Team qualifiziert. Lothar Luboschik, Detlef Schürtzmann und Mike Schneider aus dem Schwarzwald.
Ihr Name: Team Black Forest
Ihr Werkstoff: Schnee
Ihre Mission: Tanzende Kugeln
Ihr Motto: Teamwork ist alles
Kaffeebecher stehen in einem länglichen Eisblock, die Wärme hat Aussparungen in den Quader gelötet. Daneben liegen verstreut Schaufeln, Sägen und Raspeln. Die Welt hier besteht nur aus Weiß – für jedes Team rund 15 Tonnen gepresster Schnee. Drei Meter lang, drei Meter tief, drei Meter hoch.
Das Team um Lothar Luboschik war schon bei zahlreichen internationalen Wettbewerben von Kanada bis Japan dabei. Mehrere erste Plätze bei internationalen Wettbewerben zieren ihre Laufbahn. Das Trio hat in der Schneeskulpturenszene längst seinen festen Platz.
Schnee ist Schnee ist Schnee
Schnee-Bildhauern ist immer auch ein Kampf gegen die Zeit, gegen die äußeren Wetterbedingungen, das schwindende Licht und die Gesetze der Statik.
„Die ersten zwei Tage sind entscheidend,“ sagt Lothar Luboschik. Die Teams dürfen nicht trödeln, innerhalb von 40 Stunden – verteilt über mehrere Tage – muss das Kunstwerk fertig werden.
„Aber der Schnee hier ist super,“ schwärmt Lothar. Das liegt vermutlich auch an den Temperaturen, die dauerhaft im zweistelligen Minusbereich liegen.
Schnee ist nicht nur ein eiskalter, sondern auch ein fragiler Werkstoff.
„Manchmal läuft es von selbst und manchmal geht gar nichts,“ erklärt Lothar, zieht seine Mütze zurecht und streift sich wieder die Handschuhe über. Die konkaven Wände, die die übereinander liegenden Kugeln in der Mitte einfassen, sollen noch schmaler geschliffen werden. Mit ausreichend Abstand betrachten die drei gemeinsam ihr Werk und diskutieren, ob sie weitere Kugeln einfügen wollen.
Eiskalte Schönheiten
Genauso schnell, wie sich die Sonne an diesem Tag nach wenigen Stunden bereits wieder verabschiedet, verrinnt auch die Zeit für die Schneekünstler. Man hört nur ein dumpfes Sägen und Meißeln. Überflüssiger Schnee rieselt zu Boden, Schneestaub wird von den Flächen gewischt. Der Countdown läuft: nur noch fünf Stunden, dann muss alles fertig sein. Flächen schleifen, Oberflächen glätten, Kugeln noch runder machen. Am Schluss noch den Sockel ebnen und polieren.
Alle Teams sind konzentriert am Arbeiten. Zuschauer wandern an den Absperrungen entlang und begutachten interessiert die Fortschritte, fotografieren die eiskalten Werke und diskutieren über die unterschiedlichen Annäherungen.
So zeigt das schwedische Team die amerikanische Freiheitsstatue, komplett eingeschnürt von Bandagen und Seilen, sodass nur noch der Kopfkranz zu sehen ist. Die eingesperrte Freiheit.
Das polnische Team schält zwei kopflose Figuren aus dem Schnee, die Rücken an Rücken mit ihren elektronischen Geräten spielen. „Together forever“ hat der polnische Teamchef Tomasz Koclega seine Skulptur genannt. „Das ist einfach meine Beobachtung. So sehr uns die Technik auch unser Leben erleichtern mag, gerade junge Menschen kommunizieren nur mehr virtuell – dabei säße der reale Freund direkt hinter ihnen. Doch gefangen in ihrer Internetwelt nehmen sie es gar nicht mehr wahr.“
Dennoch will Tomasz Koclega es nicht als Gesellschaftskritik verstehen. „Es ist hoffentlich nur eine zeitweise Erscheinung,“ fügt er augenzwinkernd hinzu.
Vergängliche Kunst
Gleich nebenan befindet sich der Campingplatz Nallikari, auf dem die Teams in modernen Ferienhäusern mit Blick aufs Meer wohnen. Und im Café um die Ecke können sich die Schneekünstler bei Kaffee oder Suppe zwischendurch aufwärmen. Was bei minus 18 Grad am Tag nicht die schlechteste Idee ist.
Antti vom finnischen Team steht auf einem Gerüst, um die obersten Spitzen der Sonnenstrahlen zu bearbeiten. Ihr Werk symbolisiert den Tagesanbruch nach der langen Polarnacht. Antti verdient sein Geld als Kameramann, aber seit 20 Jahren kreiert er jeden Winter zusammen mit seinen Freunden Schneekunstwerke. Vier mal haben sie schon die finnischen Landesmeisterschaften gewonnen.
Unterdessen schreitet die Zeit gnadenlos voran. In den letzten verbleibenden Stunden wird vor allem geschmirgelt und gefeilt. Die Bildhauer zaubern glatte, ebene Flächen und Formen aus dem Schnee. Am Abend werden alle Kunstwerke in eindrucksvolles Licht getaucht.
Die Idee zu diesem ersten Wettbewerb mit internationaler Beteiligung in Oulu hatte Janne Andberg, Künstler, Designer und Bildhauer.
Er selbst arbeitet seit 11 Jahren mit Schnee. Während des Studiums hatten ihn Kollegen aufgefordert, beim landesweiten Schneeskulpturen-Wettbewerb mitzumachen. Diese Erfahrung hat gereicht. Seitdem lässt der Schnee ihn nicht mehr los.
Die Vergänglichkeit der Kunstwerke ist dabei Teil der Faszination. „Die Kunstwerke sind wie Blumen, die du deinem oder deiner Liebsten schenkst. Sie verwelken. Vergehen. Wie alles auf der Welt. Selbst Diamanten oder Sterne kennen keine Ewigkeit.“
Auch Lothar und seine Kollegen Mike und Detlef sagen übereinstimmend: Die Vergänglichkeit sei gerade das Schöne an der Schneekunst. „Das ist die Natur des Schnees. Er kommt und er vergeht. Genauso wie unsere „Dancing Bubbles“, unsere Blasen, wie der Schnee: vergänglich. Wir fahren morgen wieder weg, aber unsere Skulptur bleibt. Bis die Sonne sie im Frühling wegschmilzt.“
Eine große internationale Familie
„Wir sind wie eine große Familie,“ erzählt Antti Kolppo vom finnischen Team. Man kenne sich in der Szene, treffe sich immer wieder bei den verschiedenen Wettkämpfen, helfe sich gegenseitig und feiere zusammen.
Und so wird auch hier, nach fünf Tagen anstrengender Arbeit unter eisigen Bedingungen, am letzten Abend ausgiebig gefeiert. Zusammen mit dem Luftgitarren-Weltmeister Justin „Nordic Thunder“ Howard. Seit Jahren ist die Luftgitarren-WM untrennbar mit Oulu verbunden und Justin, der in Chicago lebt, ist ein großer Fan von Oulu.
Und so zeigt er seinen weltmeisterlichen Auftritt noch mal vor rund 200 begeisterten Fans – wieder in luftiger Kleidung, nur diesmal auf der Schneebühne bei eisigen Temperaturen. Was das dick eingemummelte Publikum mit dem typisch dumpfen Handschuh-Applaus belohnt.
Den bekommen dann auch die neuen Schneeskulpturen Champions reichlich. Den ersten Platz vergibt die Jury an das russische Team, auf den weiteren Plätzen folgen die Finnen und die Esten. Doch letztlich sind hier alle Gewinner: „Wir wählen nur die Besten der Besten aus,“ sagt Janne. Und nächstes Jahr soll es noch besser und größer werden.
Die Jury besteht übrigens aus fünf Fachleuten, darunter auch der Präsident der Internationalen Vereinigung der Schnee- und Eisskulpturen, Juhani Lillberg. Bei der Preisverleihung lobt er die herausragende Organisation und betont, wie wichtig es sei, die Idee der Eis- und Schneekunst weiter voranzutreiben.
Das Schwarzwaldteam fährt dieses Mal ohne Medaille heim. Aber mit tollen Erinnerungen und wieder neuen Freunden der großen internationalen Familie der Schneekünstler.
Sie waren das erste Mal in Finnland. Aber sicher nicht das letzte.
„Es ist echt schön hier. Wir sind schon am Überlegen, im Sommer wieder zu kommen. Sehen, wie es hier ohne Schnee aussieht.“
Die frostigen Kreationen sind noch die nächsten Wochen, vielleicht Monate zu sehen. So lange es kalt bleibt hier oben – auf dem 65. Breitengrad.
Text und Fotos Tarja Prüss
Über die Autorin Tarja Prüss ist Radio- und Fernsehjournalistin. Sie ist eine Kennerin und Liebhaberin Finnlands, ihr Reisebuch-Bestseller „111 Gründe, Finnland zu lieben“ ist eine Liebeserklärung an das Land ihrer Mutter. Die passionierte Fotografin hat dem schönen Land ein Blog gewidmet: tarjasblog.de. |