Reisebericht
Landratten auf hoher See – Mit der Fähre Travemünde-Helsinki
Die Reise begann damit, dass sie nicht begonnen hatte. Mein Mann und ich lagen im Bett. Unsere drei Kinder schliefen. Sämtliche Kleidung und Dinge lagen bereit, um am nächsten Morgen schnell eingepackt zu werden.
Unser Baby war erst ein halbes Jahr alt, seine zwei Geschwister: ein Kindergartenkind und ein Grundschulkind. Wir hatten uns dafür entschieden, mit eigenem Auto und der Fähre von Deutschland nach Finnland zu reisen. Ausreichend Bewegung für die Kinder, und die nicht zusätzlich zu transportierenden Kindersitze für den Flieger waren für uns überzeugende Gründe. Der Preis war es sicherlich nicht. Denn für eine Außenkabine für uns fünf zahlten wir für Hin- und Rückreise über 1.400 €.
Wir waren aufgeregt vor unserem ersten Urlaub als größere Familie und noch wach, als um 0:30 Uhr das Handy meines Mannes klingelte. Es war die Fährgesellschaft, die wissen wollte, warum wir noch nicht eingecheckt hatten. In Travemünde. Jetzt.
Fünf Autostunden von Travemünde entfernt war der Anruf ein Schock. Wir würden doch erst morgen die Fähre nehmen, hörte ich meinen Mann sagen. Das sei so gebucht worden. An seiner Mimik konnte ich ablesen, dass die Fährgesellschaft wohl andere Daten vorliegen hatte. Was man denn jetzt machen könne, wir müssten am nächsten Tag auf die Fähre. Die Frau von der Fährgesellschaft sagte, sie würde sich informieren und gleich nochmals anrufen. Dann legte sie auf.
„Wir hätten jetzt auf der Fähre sein müssen.“ sagte mein Mann. Wie konnte das sein? Wir wollten doch erst am Samstag unser Ferienhaus übernehmen und jetzt war es Donnerstagnacht. Die Frau im Reisebüro musste sich vertan haben, beschlossen wir. Da kam der Anruf der Fährangestellten. Sie könne uns Tickets für den nächsten Tag anbieten. Allerdings nur eine Zweierkabine. Mein Mann würde in einem Schlafsessel übernachten können, außerhalb unserer Kabine. Wir mussten eine kleine Umbuchungsgebühr zahlen, aber immerhin konnte so unser Urlaub mit einem Tag Verspätung starten.
Am kommenden Morgen packten wir das Auto, die Kinder und fuhren noch vormittags Richtung Travemünde. Es war ein schöner Tag, wir hatten viel Zeit eingeplant für Pausen und mit guter Stimmung und wilden Flüchen auf die Inkompetenz der Reisebürodame kamen wir gegen 16 Uhr in Travemünde an. Wir checkten bei der Fährgesellschaft ein und hatten sogar das Glück, gegen einen Aufpreis (ca. 80 EUR) eine Außenkabine für uns alle zu bekommen.
Der Spätnachmittag war noch jung, wir schauten uns die Strandpromenade von Travemünde an und aßen dort zu Abend.
Später am Hafen bekamen wir unsere Bordkarten. Wegen der Kinder durften wir in der wesentlichen kürzeren Autoschlange für Familien aufs Boarding warten. Auf dem Schiff angekommen, nahmen wir das Nötigste für eine Nacht aus dem Auto. Für alle Fälle nahm ich aus dem Wagen doppelt so viele Windeln und Milch mit. Die Kinder tobten noch im Bällebad, es dauerte ein wenig bis die Kabinen bezugsbereit waren. Gegen 3:00 Uhr nachts fuhr die Fähre los. Erschöpft und glücklich schliefen wir fünf auf vier Betten ein.
Es war 8:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Da auf der Fähre finnische Zeit herrschte und wir gegen neun Uhr in Helsinki sein sollten, packten wir unsere Sachen und gingen zum Deck, auf dem die Autos geparkt waren. Wir waren trotz des Verschlafens die ersten. Zu dem Zeitpunkt sahen wir kein Land aus dem Fenster. Vielleicht musste das so. Vielleicht sah man erst kurz vor der Ankunft das Land. Wir warteten auf die baldige Landung, wunderten uns aber langsam darüber, dass außer uns niemand die Absicht hatte auszusteigen.
Die wenigen Menschen, die an uns vorbeikamen, gingen zum Fahrstuhl, der sie ins Bistro fuhr. Mein Mann ging zur Rezeption. Sie war nicht besetzt. Also fuhr er mit dem Fahrstuhl auf das höchste Deck und fragte in der Bar nach, wann wir denn ankämen. Die Kinder und ich warteten währenddessen weiterhin auf dem Autodeck.
Zehn Minuten später kam der Mann zurück. Wir kommen am Sonntag um 9:00 Uhr in Helsinki an, sagte er, nicht Samstag.
Nicht die Dame aus dem Reisebüro hatte einen Fehler gemacht. Sondern wir hatten unsere Unterlagen so grob überflogen, dass uns nicht auffiel, dass die Fährfahrt nach Helsinki zwei Übernachtungen dauerte. Wir waren mitten auf der Ostsee mit ca. 40km/h auf dem Weg nach Finnland. Ohne Internet oder Handyempfang und hätten wenige Stunden später unser Ferienhaus in Empfang nehmen müssen. Zum Glück hatte ich ausreichend Windeln und Milch bei mir. Denn während der Fahrt war der Zugang zu den PKW nicht möglich.
„Alles zurück in die Kabine!“ lautete nun das Kommando. Wir sagten den Kindern, dass wir noch bis morgen auf dem Schiff bleiben würden. Die Kinder tobten vor Begeisterung. Der Spielbereich an Deck, die Kabine mit Bad und Fernseher, dem großen Fenster zum Hof, der das Meer war, all das war für die Kinder schon lange ein Urlaub. Und als wir es dann noch schafften unsere Ferienhausvermieter zu erreichen mit einer SMS, die auf wundersame Weise doch verschickt werden konnte, beschlossen auch die Erwachsenen den Urlaub mit einem Frühstück an Bord zu beginnen. Und mit zwei Bier vor vier.
Der Rest der Fahrt war wunderbar. Ich konnte zum ersten Mal seit Donnerstagnacht zur Ruhe kommen, bewunderte mit den Kindern die See und erlebte abends einen bildhübschen Sonnenuntergang auf dem Meer.
Gegessen haben wir in der Bar und abends am Buffet des Restaurants. Das finnische Rundumsorglos-Abendessen war für uns mit 71€ nicht gerade günstig. Allerdings wurden zwei Kinder und zwei Erwachsene – davon ein Vegetarier – satt und zufrieden.
Als wir am Sonntagmorgen um 9:00 Uhr in Helsinki ankamen, in einem Hafen am äußersten Rand der Stadt, waren wir tatsächlich schon erholt.
Der Urlaub hatte chaotisch begonnen, unser Mangel an Erfahrung mit Fährreisen hatte seine volle Durchschlagskraft entfaltet. Doch Dank unserem Improvisationstalent, sowie der Gelassenheit, die wir Eltern an den Tag gelegt haben, hatte der Urlaub für alle bereits auf der Fähre begonnen; zwangsentschleunigt, auf hoher See vom Stress des Alltags befreit.
Weil es uns allen so gut gefallen hat, werden wir diesen Sommer wieder mit dem Auto und der Fähre nach Helsinki reisen. Dieses Mal jedoch mit ausreichend Handgepäck und am richtigen Tag, wie echte Seebären.
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Schlimme Helena