Finnland feiert den 1. Mai mit einem Studenten-, Arbeiter- und Frühlingsfest
Vappu – Finnland außer Rand und Band am 1. Mai
Wie in einem Kettenkarussell hängen ein Dutzend Studenten in luftiger Höhe an einem Kran, das Wichtigste in der Hand: Sektflaschen und Putztücher. Ihr Auftrag: die Havis Amanda ordentlich sauber schrubben. Die Brunnenfigur der nackten Meerjungfrau, Symbol der Hauptstadt Helsinki, schaut derweil weiter in Richtung Meer und lässt die Behandlung gelassen über sich ergehen.
Mütze auf, das Fest beginnt
Das ist der Auftakt der öffentlichen Vappu-Feierlichkeiten in Helsinki. Tausende Schaulustige versammeln sich um den Brunnen am Rand des Kauppatori-Platzes und feuern die frei schwebenden Studenten lautstark an. In den Händen mindestens eine Flasche Sekt, Plastikkelche zum Anstoßen und das Handy, um die schönsten Momente gleich über Facebook & Co mit der Welt zu teilen. Jedes Jahr übernimmt eine andere Fakultät das Waschritual und für jeden Studenten ist es eine Ehre, dabei zu sein.
Der Countdown beginnt: 10 – 9 – 8 … das Publikum fiebert dem Höhepunkt entgegen und schwenkt zur Aufforderung die Mützen. Punkt 18 Uhr, wenn die nackte Schönheit blitzeblank erstrahlt, setzt der Putztrupp ihr unter großem Beifall die finnische Studentenmütze auf.
Manta, wie die Finnen die bronzene Schönheit nennen, kennt diese Prozedur schon seit 1932. Generationen von Studenten sind jeden Frühling bei jedem Wetter an ihr hochgekraxelt, haben sich an ihren Brüsten festgehalten, Herzklopfen gehabt und den Kick des Verbotenen genossen, denn der Brauch war bis 1951 illegal.
Die Studentenmütze
Die Studentenmütze ist das zentrale Kennzeichen der Feierlichkeiten rund um den 1. Mai, neben Mittsommer und Weihnachten das größte Fest. Schon am Vortag tragen alle, die jemals Abitur gemacht haben, stolz ihre ylioppilaslakki, eine Studentenmütze aus weißem Samt mit schwarzem Schirm mit goldener Lyra.
Dieser Brauch ist über 150 Jahre alt. 1865 brachten finnische Studenten den Vappu-Brauch von der schwedischen Universität Lund mit in ihre Heimat. Die Geschichte der Mütze selbst begann, als vier Studenten eine Hutmacherin beauftragten, eine Studentenmütze zu fertigen, die sich an dem Vorbild der Uni Uppsala orientiert.
Nach dem nordischen Studententreffen 1875 in Uppsala wurde sie von allen finnischen Studenten übernommen. Damals sollten sie eigentlich aus Gründen der Disziplin eine Uniform tragen, doch bis auf die Mütze hielt sich kaum einer daran.
Bis 1918 hatte jeder Abiturient automatisch einen Studienplatz an der Alexander Universität in Helsinki. Deswegen die Bezeichnung ylioppilaslakki, also Studentenmütze. Die Tradition, sein bestandenes Abitur öffentlich mit einer Mütze zur Schau zu tragen, mag anderswo befremdlich erscheinen. Sie beweist, welch hohes Ansehen Bildung in Finnland genießt. Und das schon sehr lange.
Früher wurde Havis Amanda erst um Mitternacht die Mütze aufgesetzt. Eine ziemliche Herausforderung für die Studenten, die in der oft eisigen Nacht in den wassergefüllten Brunnen klettern mussten, über dem die nackte Schöne thront. Heute kommen die Studenten trocken davon und müssen nicht fürchten, in den Brunnen zu stürzen. Die Vorverlegung auf 18 Uhr läutet die Feierlichkeiten ein. Anschließend ziehen Tausende Feierwütige zum nahegelegenen Dom, wo die Party richtig losgeht.
An vappuaatto (Vortag von Vappu) ist es leicht, neue Menschen kennenzulernen. Die typisch finnische Zurückhaltung wird einfach Zuhause gelassen. Auch von Schweigsamkeit keine Spur. Schließlich liegt Frühlingsduft in der Luft. Und beflügelt alle Sinne.
Eine Stadt im Ausnahmezustand
Zugegeben, Vappu ist auch ein Tag mit viel Alkohol. Einer der wenigen finnischen Festtage, an denen auf öffentlichen Plätzen Alkohol getrunken werden darf. Und das beginnt schon morgens, wenn man grüppchenweise junge Menschen durch die Stadt ziehen sieht, gut erkennbar an ihren Studenten-Overalls (Haalarit), die mit zahlreichen Aufnähern geschmückt sind. Die unterschiedlichen Farben beziehen sich auf die jeweiligen Fakultäten.
So wird Helsinki bunt an diesem Tag, auch wenn die Natur noch nicht so weit ist, dass sie mit Farben um sich werfen würde. Dazu tragen auch die zahlreichen Luftballon-Verkäufer bei, die an fast jeder Ecke stehen. Helsinki versprüht Jahrmarkt-Stimmung.
Vappu wird in Finnland schon seit dem Mittelalter gefeiert, seit Ende des 19. Jahrhunderts ist es zunehmend ein Fest der Studenten, während der Tag als Fest der Arbeiter in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren hat. Der Name Vappu geht zurück auf Walpurga, eine deutsche Äbtissin, die im 8. Jahrhundert lebte und an einem 1. Mai heilig gesprochen wurde.
Die ganze Stadt ist somit am Vorabend des 1. Mai fest in der Hand der Studenten. Bis in die Nacht hinein wird in allen Kneipen und auf öffentlichen Plätzen gefeiert und der Frühling begrüßt. Alkohol fließt in rauen Mengen und die Rettungsdienste haben alle Hände voll zu tun. Zweidrittel mehr Einsätze wie an einem normalen Wochenende verzeichnen sie und der Hauptgrund ist übermäßiger Alkoholkonsum.
Alt und jung tragen ihre Studentenmütze stolz erhobenen Hauptes und manche Mütze hat ihre besten Zeiten längst hinter sich. Doch hier gilt: je mehr Flecken, desto besser, desto stolzer. Waschen darf man sie keinesfalls. Vergilbungen und Flecken, deren Herkunft man nicht genauer auf den Grund gehen möchte, sind im Gegenteil wahre Auszeichnungen. Beweisen sie doch, dass man im Leben nicht nur brav studiert hat.
Landesweites Picknick im Park
Am 1. Mai pilgert dann landesweit eine wahre Karawane mit Studentenmützen auf den Köpfen Richtung Park, in Helsinki Richtung Kaivopuisto. Ganze Scharen strömen in den Park zum ersten gemeinsamen Picknick des Jahres. Unter dem finnisch weiß-blauen Himmel und dem ständigem Geschrei der vorbeisausenden Möwen.
Schon am Vormittag wird der Platz knapp. Rasenflächen und Felsen sind übersät mit Decken, Tischen, Stühlen und allem, was ein Picknick rund macht. Böse Zungen behaupten, dabei gehe es in erster Linie darum, nach dem nächtlichen Rausch den Kopf auszulüften.
Ein Meer an weißen Mützen und in der Luft Karnevalsstimmung. Manche tragen bunte Blumenketten um den Hals oder haben sich verkleidet. Als wollten sie so dem Frühling, der noch auf sich warten lässt, auf ihre Art ein Schnäppchen schlagen.
Menschen allen Alters sitzen bei jedem Wetter auf dem Boden und wünschen sich gegenseitig „Hauskaa Vappua!“, einen schönen 1. Mai! Wildfremden bietet man sein selbstmitgebrachtes Essen und Trinken an. Die Profis haben Pavillons, Stühle und Tapeziertische für opulente Buffets dabei. Manch einer schmeißt schon mal den selbst mitgebrachten Grill an, denn immer nur Flüssignahrung ist dem Allgemeinzustand auch nicht gerade förderlich. Wieder andere sitzen gemütlich an langen, mit weißen Tischdecken überzogenen Tischen und blinzeln in die Sonne, immer ein Getränk in Reichweite.
Mittlerweile sieht man nicht nur die typischen weißen Studentenmützen, sondern auch Exemplare ausländischer Universitäten sowie zunehmend auch „Berufsmützen“.
Kaksoistutkintolakit nennen sich die Mützen derjenigen, die sowohl Hochschulreife als auch eine berufliche Ausbildung absolviert haben. Sozial- und Pflegeberufe waren die ersten, die diese Mützen einführten. Heute werden sie auch von anderen Berufsgruppen getragen, lediglich farblich verschieden und mit unterschiedlichen Symbolen versehen.
Finnland begrüßt den Frühling
Der Park ist voller Lachen und Musik. Geigen, Akkordeon, ja selbst Klaviere finden sich zusammen und stimmen bekannte Lieder an, darunter auch so mancher finnischer Tango. Wildfremde Menschen stimmen mit ein und so entsteht ein vielstimmiger Chor, als wollten sie mit Macht den Frühling herbei singen und den Winter endgültig hinter sich lassen.
Doch die Kehlen wollen feucht gehalten werden und so fließt auch an diesem Tag eine Menge Alkohol. Nicht fehlen darf Sima, ein vergorenes Zitronengetränk, das an hausgemachten Met erinnert. Es wird aus Hefe und Zucker gemacht und mit Bier, Zitronen und Rosinen versetzt. Neuerdings gibt es Sima auch fertig im Supermarkt zu kaufen. Traditionell isst man dazu tippaleivät, in heißem Fett ausgebackenes krapfenartiges süßes Gebäck, das aussieht wie kleine Vogelnester.
Am höchsten Punkt des Parks, in der Nähe des Observatoriums Ursa spielt das Studenten-Orchester der Aalto Universität, die Retuperä Freiwillige Feuerwehr Band, standesgemäß auf einem alten Feuerwehrwagen und heizt die Stimmung noch mal ordentlich an. Die Finnen brauchen keine weitere Aufforderung, keinen Tanzboden und keine Festtagskleidung. Sie tanzen, feiern und singen – auch an diesem 1. Mai – egal, ob es regnet oder schneit. Denn der Frühling kommt bestimmt. In diesem Sinne:
„Hauskaa Vappua!“ – Schönen 1. Mai!
QUIZ
Text und Fotos: Tarja Prüss