UNESCO Memory of the World-Nominierung
Lettland / Baltikum: Als „Briefpapier“ für Post aus dem Gulag blieb Inhaftierten oft nur Birkenrinde
Wenn Menschen auf der Suche nach so etwas wie Briefpapier zu Birkenrinde greifen, müssen sehr besondere, in diesem Fall schlimme Bedingungen vorherrschen. In Gulags war das so, leider, was den gekritzelten Zeitzeugnissen aus dunkelster Sowjetzeit nun eine wichtige Nominierung einbrachte.
Bilder 1 bis 2: Estonian History Museum / Bild 3: Vabamu Museum
Die Briefbotschaften sind von zentraler Bedeutung für das Verständnis der Geschichte Lettlands und seiner Nachbarstaaten. Mit Blick auf die Aktualität – siehe Ukraine – zeigen sie beispielhaft, weshalb man hier mit etwaigen Zugeständnissen an Moskau absolut gar nichts anfangen kann.
Das weite Netz von Arbeits- und Straflagern, für welches das Kürzel Gulag steht, bildete in der Geschichte der Sowjetrepubliken den Kern unzähliger Einzelschicksale. Nur ein paar Zahlen: Im Zeitraum von 1930 bis 1953 waren insgesamt fast 20 Millionen Menschen in Gulags inhaftiert.
Schätzungen zufolge verstarben rund 3 Millionen davon direkt vor Ort, in den Lagern. Aber auch wer zurückkehrte, war mit hoher Wahrscheinlichkeit für den Rest seiner Tage gezeichnet – von harter Arbeit und üblen Repressalien.
Fast 150 solcher Zeitdokumente bildeten zuletzt den Rahmen für einen UNESCO-Antrag
Wie wohl kein anderer Begriff aus dem Innenleben der Sowjetunion steht daher „Gulag“ für die Durchsetzung von Macht mithilfe von Willkür, Deportation und physischer sowie psychischer Gewalt. Keine Orte, an denen man Menschlichkeit in irgendeiner Form erwartet.
Als umso wundervoller ist die Existenz der auf Birkenrinde geschriebenen Briefe, der Zeichnungen und auch Liebesbotschaften an die Wartenden daheim anzusehen, die in Lettland aktuell in mehreren Ausstellungen zu sehen sind.
Fast 150 solcher Zeitdokumente bildeten zuletzt den Rahmen für einen Antrag Lettlands, Estlands, Litauens, Polens und der Ukraine bei der UNESCO. Ziel der Nominierung ist es, die Birkenpost als Teil des Programms „Memory of the World“ auch offiziell unter kulturhistorischen Schutz zu stellen.
“Beschreiben die Fähigkeit des Sowjetregimes, das Leben der Menschen zu kontrollieren“
„Ihr Inhalt, ihre Sprache und die Zensurstempel, die auf ihnen zu sehen sind, beschreiben die Fähigkeit des totalitären Sowjetregimes, das Leben der Menschen zu kontrollieren. Die Briefe können in der Tat als Anklage gegen das sowjetische Regime betrachtet werden“, heißt es in einer Erklärung.
Eine Entscheidung über die Aufnahme bei der UNESCO wird für Mai 2025 erwartet. Laut LSM.lv wurden die betreffenden Briefe in der Zeit ab 1940 verfasst. Es sind allesamt Dokumente von politischen Gefangenen und Exilanten.
Die Listen des UNESCO-Programms „Memory of the World“ sammeln dokumentarisches Erbe von weltweiter Bedeutung. Derzeit gibt es 494 Einträge in diesem Register, darunter bereits mehrere mit Bezug zu Lettland. Mutmaßlich werden bald weitere folgen.