Mit Zeittafel
Rigas lange Geschichte – Begehrt und umkämpft
Die Geschichte Rigas ist derart reich an Entwicklungen, Wirrnissen und Episoden, dass wir versucht sind, an dieser Stelle einen Überblick zu geben. Der historische Umfang zwingt uns jedoch dazu, nur ein paar Etappen ausführlicher zu beleuchten – gefolgt von einer detaillierten und chronologischen Aufzählung der wichtigsten Meilensteine in der Stadtgeschichte.
Die Gründungsepoche Rigas
Rigas imposante Stadtgeschichte begann um 1150 mit dem aufkeimenden Handel am Unterlauf des Flusses Daugava (zu Deutsch: Düna). Zunächst waren es gotländische bzw. schwedische Kaufleute, die in der Region wirtschaftlich Fuß fassen wollten, gefolgt von Händlern aus deutschen Landen. Der wichtigste Handelsplatz in der Region bestand zu dieser Zeit jedoch nicht dort, wo sich heute Riga befindet, sondern in einem etwa 60 Kilometer entfernten Hafen.
Allerdings wurde dieser auf Betreiben der immer einflussreicher werdenden Kaufleute mit deutschen Wurzeln zum Jahrhundertwechsel kurzerhand dichtgemacht. Und zwar mit dem Kalkül, den regionalen Handel auf Riga zu konzentrieren. Der Plan sollte schnell aufgehen.
Der Einfluss des Deutschen Ordens
1201 ist als das Gründungsjahr in die Stadtgeschichte Rigas eingegangen. Unter Bischof Albert von Buxthoeven aus Bremen war die einst kleine Ansiedlung an der Daugava nun zur Hauptstadt Livlands aufgestiegen. Fortan war bzw. wurde Riga mit hoher religiöser und wirtschaftlicher Strahlkraft ausgestattet. Einerseits war die Stadt Sitz der Erzbischöfe und Basis für die Missionierung – man könnte auch sagen Unterwerfung – Livlands durch den Schwertbrüderorden. Andererseits gewann Riga auch als Handelsplatz schnell und überregional an Einfluss, sodass der Anschluss an die Hanse nur eine Frage der Zeit war. 1282 wurde die Mitgliedschaft offiziell.
Später war es mit der Eintracht zwischen den Bischöfen und den Ordensbrüdern jedoch vorbei. Den Anfang der Auseinandersetzungen markierte die nicht ganz freiwillige Eingliederung des Schwertbrüderordens in den Deutschen Orden, der nun seine eigenen Machtinteressen vertrat. Und der den Bischöfen von Riga in den folgenden Jahrzehnten das Leben deutlich erschwerte – mal durch kriegerische Konfrontation, mal durch Streitigkeiten, die über den Papst in Rom ausgetragen und entschieden wurden. Es war ein zähes Ringen um Macht und Einfluss in Livland, das erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts entschieden war. Nun akzeptierte der Bischof den Status des Ordens als führende Schutzmacht in der Region.
Lesen Sie auch: Wo bitte liegt Livland? – Kleine Geschichte Estlands und Lettlands
Schwedische und russische Vorherrschaft
Als um das Jahr 1520 die Reformationsbewegung auch in Riga ankam, neigte sich die religiöse Vorherrschaft der Erzbischöfe dem Ende zu – begleitet durch politische Spannungen, die sich 1558 im Ausbruch des Livländischen Krieges entluden. In der Folge stand Riga (nach einer kurzen Episode der Eigenständigkeit als freie Reichsstadt) für gut 40 Jahre unter der Obhut Polen-Litauens.
1621 fiel Riga schwedischen Truppen in die Hände, was die strategische Bedeutung der Stadt nochmals deutlich erhöhen sollte. Denn Riga war nun sozusagen über Nacht zur zweitwichtigsten Stadt nach Stockholm geworden – Schwedens verlängerter Arm nach Osteuropa. Entsprechend gewaltig fielen in den Folgejahren die Ausbauarbeiten am Schutzwall Rigas aus. Die Stadt glich nun eher einer Festung, gewappnet für russische Angriffe, die nicht lange auf sich warten ließen.
1710 rissen russische Truppen Riga nach langer Belagerung an sich. Es war die Zeit, in der Russland ohnehin zur Großmacht im Ostseeraum aufstieg, weshalb Rigas Bedeutung als wichtige Handelsmetropole nicht nur blieb, sondern nochmals wuchs – und mit ihr auch die Einwohnerzahl. Ende des 18. Jahrhunderts hatte die Stadt 30.000 Einwohner, zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren es bereits 60.000, doch das war erst der Anfang.
Im Zuge der Industrialisierung entstanden rund um den Hafen Rigas völlig neue Möglichkeiten und Märkte. Große Unternehmen siedelten an und benötigten ein Heer von Arbeitern, was große Teile der Landbevölkerung in das aufstrebende Wirtschaftszentrum lockte. Die Arbeiterviertel wuchsen und wuchsen, sodass sich die Einwohnerzahl Rigas bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges nahezu verzehnfachte. Auf etwa 500.000 Menschen.
Zwei Weltkriege und mehr bis zur Unabhängigkeit
Beide Weltkriege trafen Riga mit voller Wucht. Ab 1915 war die Metropole zunächst als Frontstadt blutigen Kämpfen zwischen Russland und dem Deutschen Reich ausgesetzt. Zur Sicherung des Nachschubs an militärischem Gerät verfrachtete Russland nun kurzerhand einen Großteil der Arbeiterfamilien Rigas weit weg von der Front ins Hinterland, wo sich die gigantische Rüstungsanlagen befanden. Auf einen Schlag verlor die Stadt so fast 200.000 Einwohner.
Einer kurzen und den zeitgenössischen Schilderungen nach beschwingten Phase der Unabhängigkeit folgte mit dem Hitler-Stalin-Pakt ab 1939 die erneute Angliederung Lettlands – diesmal an Russland, wenn auch nur von kurzer Dauer. Denn ab 1941 sorgte Hitler mit seinem grausamen Russlandfeldzug für völlig neue Frontverläufe, und zwar weit über das Baltikum hinaus.
Schon kurz nach der Eroberung der Stadt wurde die jüdische Bevölkerung im Rigaer Ghetto interniert. Zeitweilig lebten und litten hier etwa 30.000 Menschen unter schlimmsten Bedingungen.
Das Ende des jüdischen Lebens in Riga besiegelten dann Massaker, die Ende 1941 in den nahegelegenen Wäldern von Rumbula stattfanden. Fast alle Insassen des Ghettos fanden hier am 30. November und am 08./09. Dezember den Tod durch Erschießung. Heute befindet sich in dem Wald, in dem die Gräueltaten begangen wurden, eine Gedenkstätte. Sie wurde 2002 eingeweiht.
Bei der Rückeroberung Rigas durch die Rote Armee vom 13. bis zum 15. Oktober 1944 wurde die Altstadt schwer beschädigt. Ab nun erneut unter russischer Besatzung, wurde Riga die wichtigste Industriestadt im Baltikum und wuchs bis zum Ende des Sowjetimperiums auf über 900.000 Einwohner an. 2001 dann, längst wieder in der Unabhängigkeit angekommen, feierte die Stadt ihr 800-jähriges Bestehen. Bleibt zu hoffen, dass es die Zukunft gut mit Riga und seinen Einwohnern meint. Besser jedenfalls, als es phasenweise die Vergangenheit war.
Zeittafel: Die Zeit der Gründung
11.-12. Jahrhundert: Besiedelung der Region um die Düna-Mündung. Einsetzender Handel.
1198: Der Name Riga taucht erstmals in den Chroniken auf.
1201: Stadtgründung unter Bischof Albert von Buxthoeven.
1211: Baubeginn des Doms zu Riga und des Klosters. Eröffnung der ersten Schule.
1215: Der erste große Brand in Riga. Erhebliche Zerstörungen.
1225-1226: Riga erhält seinen Verteidigungsgürtel. Ein Bürgerrat wird eingerichtet.
1282: Riga schließt sich der Hanse an und wird Knotenpunkt des Ostseehandels.
1293: In der Stadt wütet ein verheerender Großbrand. In der Folge werden strikte Bauvorschriften erlassen.
Zeittafel: Der Deutsche Orden greift an
1297-1330: Kampfhandlungen zwischen der Stadt Riga und dem Deutschen Orden.
1354: Rigas Kaufleute schließen sich in Gilden zusammen.
1412: Empfindliche Beschneidung der Handelsfreiheit durch den Stadtrat. Massive Bevorteilung deutscher Kaufleute durch verschiedene Reglementierungen.
1481-1494: Erneut Krieg zwischen Riga und dem Deutschen Orden. Als Konsequenz bietet Riga Ordensmeister Wolter von Plettenberg (1450-1535) die Gefolgschaft an. Dennoch behält die Stadt eine gewisse Selbstständigkeit.
1521: Die Reformation erfasst auch Riga.
1535: Die Ordens-Obrigkeit gewährt Riga Religionsfreiheit.
1621: Riga ergibt sich dem schwedischen König Gustav II. Adolph (1594-1632) und verliert seine Unabhängigkeit.
1656-1661: Im Russisch-Schwedischen Krieg wird Riga von zaristischen Truppen belagert, ohne jedoch eingenommen zu werden.
1698: Die erste lettische Bibel wird in Riga gedruckt. Übersetzt durch den deutschen Theologen Ernst Glück, lettisch Ernsts Gliks.
1700-1721: Im Großen Nordischen Krieg wird Riga hart umkämpft. 1709 wird die Stadt neun Monate lang von russischen Truppen belagert. Hungersnot als direkte Folge.
1710: Tausende Bürger sterben an der Pest. Die Stadt verliert fast die Hälfte ihrer Einwohner.
1721: Im Frieden von Nystad wird die Eingliederung Rigas in das Russische Reich festgelegt.
1803: Das erste städtische Krankenhaus öffnet die Pforten.
Zeittafel: Napoleon hat auch mal angeklopft
1812: Napoleonische Truppen streben Riga entgegen. Als Konsequenz werden die Randbezirke der Stadt niedergebrannt – ein voreiliger Entschluss, der den damaligen Gouverneur Rigas sein Amt kostete.
1861: Die Eisenbahnlinie Riga – Daugavpils wird fertig gestellt. Gleichzeitig erhält Riga seinen ersten Bahnhof.
1857-1863: Die Verteidigungsanlagen der Stadt werden abgetragen und durch den Boulevard-Ring, einen breit angelegten Grünstreifen am Rand der Altstadt ersetzt.
1850-1900: Riga wird systematisch zu einem der wichtigsten Häfen Russlands ausgebaut. Die Bevölkerungszahl verzehnfacht sich nahezu auf rund 450.000.
1868: Nationales Erwachen in Lettland. In Riga kommt es zur Gründung der ersten nationalistischen Vereinigungen.
1873: Das erste lettische Lieder-Festival findet statt.
1915: Die Frontlinie des 1. Weltkriegs rückt nähert. Rund 200.000 Russen verlassen die Stadt. Riga wird von deutschen Truppen belagert.
1917: Deutsche Truppen nehmen Riga ein. Kaiser Wilhelm II. Macht sich vor Ort ein Bild von der Lage.
1918-1939: Die 1. lettische Unabhängigkeit. Riga wird Hauptstadt des Landes.
1940-1944: Im 2. Weltkrieg gelangt Riga zunächst in russische (bis 1941), dann in deutsche (1941-1944) und schließlich wieder in russische Hände.
Zeittafel: Sowjetzeit und Unabhängigkeit
1944-1990: Riga ist die Hauptstadt der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik (LSSR).
04.05.1990: Die 2. Unabhängigkeitserklärung Lettlands wird ausgerufen.
1991: Zeitweilige Besetzung des städtischen Parlamentsgebäudes durch russische Truppen.
21.08.1991: Anerkennung der lettischen Unabhängigkeit durch Russland. Lettland ist nun ein demokratischer Staat mit Riga als Hauptstadt.
1998: Das historische Zentrum Rigas wird UNESCO-Weltkulturerbe.
2001: Riga feiert 800. Geburtstag.
2003: Der Eurovision Song Contest findet in Riga statt.
Weiterführende Infos:
Angesichts der langen Geschichte Rigas könnten hier etliche Hinweise stehen, aber dieser war uns doch besonders wichtig. Zum Memorial Rumbula mit der gleichnamigen Haltestelle gelangt man mit Bus Nr. 18. Ein Metalltor in unmittelbarer Nähe markiert den Eingang zur Gedenkstätte.
www.jews.lv/en (Webseite der jüdischen Gemeinde in Lettland auf Englisch)
sh