Beteiligt am Beschuss von Odessa?
Russlands Marine von deutschem Zulieferer mit Technik beliefert – via Lettland, trotz Sanktionen
Ein heikles Ding: Laut einem Bericht des lettischen Rundfunks, der in investigativer Zusammenarbeit mit „Correctiv“ und „Die Welt“ entstanden ist, hat ein deutscher Zulieferer die russische Marine trotz geltender EU-Sanktionen mit Technologie beliefert.
Um das Geschäft möglich zu machen, könnte dabei ein lettisches Unternehmen mit Sitz in Riga als Zwischenschritt, als eine Art Mittelsmann fungiert haben. Ob bewusst oder unbewusst? Hier widersprechen sich die Aussagen der Beteiligten. Noch.
Fakt ist, dass es sich bei den Lieferungen um Teile für Motoren russischer Kriegsschiffe handelte. Und das über Jahre hinweg, obwohl solche Komponenten seit der völkerrechtswidrigen Besetzung der Halbinsel Krim (2014) eigentlich nicht mehr nach Russland hätten geliefert werden dürfen.
Das sah eindeutig die Beschlusslage der Europäischen Union vor, der zufolge Dual-Use-Güter – also solche Güter, die potenziell zivil oder militärisch genutzt werden können – seit der Krim-Annexion sanktioniert waren.
Und es kommt noch dicker: Einige der betreffenden Kriegsschiffe sollen bereits im Ukraine-Krieg zum Einsatz gekommen sein. Unter anderem im Frühjahr, als die strategisch wichtige Schwarzmeer-Hafenstadt Odessa wiederholt das Ziel von russischem Marinebeschuss war.
Ein Correctiv-Journalist zu den brisanten Recherche-Ergebnissen: „Wir fanden heraus, dass eine Firma in Sankt Petersburg Motoren für den Einsatz in russischen Militärschiffen (in China, Anm. der Redaktion) gekauft und diverse andere Motorentechniken aus Deutschland importiert hat.“
Darüber hinaus hätten die Recherchen ergeben, dass „diese Technologien nicht direkt aus Deutschland, sondern über ein Unternehmen in Riga bezogen wurden“. Daraus folgt zwangsläufig die Frage: War den Beteiligten zu jeder Zeit klar, was mit den sanktionierten Komponenten passierte?
Laut dem Bericht auf LSM.lv gab der deutsche Zulieferer mit Sitz in Köln inzwischen an, die Lieferungen nach 2014 in dem Bewusstsein fortgesetzt zu haben, ausschließlich Komponenten für zivile Wasserfahrzeuge innerhalb der EU zu liefern (Lettland ist bekanntlich Teil der Union).
So weit, so gut? Nein, denn diese Sichtweise teilt man in Riga ganz und gar nicht. Hier heißt es den Recherchen zufolge, der deutsche Zulieferer sei sehr wohl über die Zielrichtung der gelieferten Komponenten informiert gewesen. Und diese lautete: Sankt Petersburg, Russland.
Das sei aus den Vertragsunterlagen immer klar hervorgegangen, wird die Finanzdirektion des lettischen Unternehmens zitiert, die sich mit Blick auf die Schuldfrage aber klar hinter einem Argument verschanzt: Man habe keinerlei Einfluss auf die Art der Warennutzung beim Endkunden gehabt.
Konkret: Wer könne schon wissen, ob für zivile Objekte bestellte Produkte am Ende nicht doch in Kriegsgerät verbaut würden, so die nichtsahnende Haltung dahinter. Gegenfrage: Beziehen generalisierte Sanktionen auf Dual-Use-Güter aus solchen Unwägbarkeiten nicht gerade erst ihren Sinn?
Hinzu kommt, dass dieser Fall lediglich die Spitze eines womöglich riesigen Eisberges sein könnte. Der Verdacht der Rechercheure: „Verschiedene Unternehmen aus den Bereichen Technik, Gesundheit und anderen Sparten werden sich überlegen, wie sie die begonnenen Geschäftsbeziehungen weiterführen können.“
Und um das Geschäft finalisieren zu können, würden sich Umwege wie China, Zentralasien oder eben auch die baltischen Staaten anbieten. Wer weiß, was da noch alles kommen wird.
Der gesamte Artikel, in dem übrigens Ross und Reiter genannt werden, ist diese Woche bei LSM.lv erschienen (auf Englisch). Darin enthalten sind weitere Hintergründe zu dieser Angelegenheit, die angesichts der brutalen Kriegsrealität in der Ukraine ein mehr als bitteres Geschmäckle hat.