Warum sich Litauen so stark für Weißrussland einsetzt
Litauischer Außenminister schlägt der weißrussischen Opposition vor, Vertretung in Vilnius zu eröffnen
Auch an diesem Wochenende gingen tausende Weißrussen auf die Straße, um gegen Präsident Lukaschenko zu demonstrieren. Auch diesmal gab es Verhaftungen und Gewalt des Unrechtsregimes gegen die friedlichen Demonstranten. Dabei ist das an Einwohnern kleine Litauen der größte europäische Verbündete, den die Opposition in Weißrussland hat.
Kaum ein anderes Land engagiert sich so stark mit Wort und Tat für die Menschen in Weißrussland wie Litauen.
Alles fing damit an, dass nach der Präsidentschaftswahl in Weißrussland im August 2020, Alexander Lukaschenko gewalttätig gegen Demonstranten vorging, die gegen Wahlbetrug und für die Absetzung Lukaschenkos protestierten, und Litauen der weißrussischen Oppositionellen Swetlana Tichanowskaja, die ihr Land verlassen musste, Asyl gewehrte. Linas Linkevicius, damals noch Außenminister, twitterte persönlich, die geflohene Präsidentschaftskandidatin sei in Sicherheit.
Dann erleichterte das baltische Land Weißrussen die Einreise, auch die Corona-Einreisebeschränkungen wurden für weißrussische Flüchtlinge aufgehoben. Litauens damaliger Premierminister Saulius Skvernelis kritisierte zudem ganz offen die EU und sprach dabei das aus, was viele über den Umgang der EU mit der Krise in Weißrussland denken: „Die erste Reaktion der europäischen Hauptstädte ist, gelinde gesagt, enttäuschend.“
Der Staatspräsident Gitanas Nauseda drohte Lukaschenko mit Sanktionen, die das Land nötigenfalls auch im Alleingang verhängen würde – sollte die EU nicht mitziehen.
Der neueste Vorstoß: Gabrielius Landsbergis, der seit Dezember 2020 Außenminister ist, hat vorgeschlagen, dass der Koordinierungsrat der weißrussischen Opposition ein Büro in Litauen eröffnen und eine Form der rechtlichen Anerkennung von der litausischen Regierung erhalten solle. Das berichtete am Freitag die Website des litauischen Fernsehsenders LRT.
Die Vertretung könnte einen ähnlichen Status haben wie litauische Informationsbüros, die während der sowjetischen Besatzung im Ausland tätig waren, sagte Landsbergis nach dem Treffen mit der weißrussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja am Freitag.
„Eine solche Vertretung des weißrussischen Volkes hätte mehr als nur einen nichtstaatlichen Status, vielleicht könnte die Regierung [Litauens] nach Wegen suchen, sie als offizielles Informationsbüro anzuerkennen“, sagte der Minister gegenüber Reportern.
„Unser Vorschlag war, die Einrichtung des Büros des Koordinierungsrates in Litauen zu erwägen, aber wir haben vereinbart, auf diese Frage später zurückzukommen“, fügte er hinzu.
Tichanowskaja bezeichnete es als „einen wunderbaren Vorschlag“, gab aber keinen weiteren Kommentar ab.
„Wir unterstützen dies und jetzt ist es Gegenstand einer Diskussion“, sagte sie.
Tichanowskaja, die bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen August gegen Alexander Lukaschenko antrat, dankte Litauen dafür, dass es die Weißrussland-Frage auf der internationalen Bühne so vehement vertrete.
„Wir sind mit Litauen befreundet; wir haben eine gemeinsame Geschichte“, sagte sie. „Litauen hat vor 30 Jahren den gleichen Kampf für Demokratie und Freiheit geführt; wir tun das jetzt und ich bin sicher, dass wir in Zukunft eine freundschaftliche Beziehung haben werden.“
Weißrussland sieht sich mit Protesten konfrontiert, seit Lukaschenko sich zum Sieger der Präsidentschaftswahlen vom 9. August erklärt hat. Die Opposition und westliche Länder behaupten, die Wahl sei gefälscht worden.
Tichanowskaja flüchtete nach der Wahl, in der sie den Sieg gegen den autoritären Führer beanspruchte, nach Litauen.
Landsbergis forderte auch die Ausweitung der litauischen Sanktionen gegen die Minsker Beamten, um Richter und Beamte der Sonderpolizeieinheit OMON einzubeziehen, berichtet LRT.
„Während des Treffens betonten wir die Notwendigkeit, nach Möglichkeiten zu suchen, die sogenannte ’schwarze Liste‘ von Personen, denen die Einreise nach Litauen verboten ist, auf die Europäische Union auszuweiten“, sagte er.
Sollte der Koordinierungsrat der weißrussischen Opposition ein Büro in Litauen eröffnen, hätte dies den Charakter einer Exilregierung.
Warum setzt sich Litauen so stark für Weißrussland ein?
Litauen hat ein besonderes Interesse an Weißrussland, die historisch gewachsenen Beziehungen sind Teil des kulturellen Erbguts beider Völker. Darauf gehen wir gleich ein, zunächst die Gegegenwart:
Zwischen den Ländern herrscht ein reger Grenzverkehr, der zunächst wegen der EU-Mitgliedschaft Litauens erschwert wurde. Inzwischen haben Visaerleichterungen auf beiden Seiten jedoch Grenzübertritte vereinfacht und sie auf fast drei Millionen pro Jahr anwachsen lassen. Nicht zuletzt dank der Offenheit der Litauer gibt es in Weißrussland so viele Schengenvisa pro Kopf wie in keinem anderen Land der Welt. – Warum das?
Das 2,8 Mio.-Einwohnerland Litauen gehört zu den zehn größten Investoren in Weißrussland. 2018 investierte es mit 140 Millionen Euro mehr als Deutschland.
Litauen gehört zu den wichtigsten Handelspartnern Weißrusslands. Die Wirtschaftsbeziehungen florieren, jedes Jahr werden abwechselnd in Minsk und Vilnius Foren des Litauischen Industriellenverbands abgehalten. Dazu kommt, dass der litauische Ostseehafen Klaipeda ein wichtiger Transitpunkt für weißrussische Düngermittelexporte ist, eine weißrussische Schlüsselindustrie.
Lukaschenko ist sehr daran gelegen, dass die Partnerschaft mit Litauen funktioniert, heute mehr denn. Über Klaipeda bezieht Minsk Ölimporte aus Norwegen, Saudi-Arabien und den USA. Dieser Zugang ist besonders wichtig, seit sich der Konflikt um Öl-Subventionen mit Moskau verschärft hat.
Wenn Litauen also, und sei es im Alleingang, ein Handelsembargo gegen Weißrussland verhängt, dann ist es mehr als nur ein symbolischer Akt, es tut Lukaschenko weh.
Doch die wirtschaftliche Verflechtung allein ist es nicht, die Litauen antreiben dürfte, den Demokratisierungsprozess in Weißrussland mit allen Mitteln zu unterstützen.
Die Menschen beider Länder verbindet eine gemeinsame Geschichte, die Jahrhunderte zurückreicht. Die zwei Staaten bildeten einst einen gemeinsamen Staat: das Großfürstentum Litauen.
Die weiß-rot-weiße Fahne der Protestbewegung wurzelt in eben diesem Großfürstentum. Die sogenannte Pahonja, als ehemaliges weiß-rotes Wappen der Republik Weißrussland von 1991 bis 1995, ähnelt stark dem Wappen des Großfürstentums und des heutigen Litauen. Man könnte sie fast identisch nennen.
Die Politikwissenschaftlerin aus Vilnius, Irmina Matonyte, beschrieb laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom September 2020, das Verhältnis der beiden Völker so: “Mir fällt ein deutsches Wort ein. Sprecht Ihr nicht von Schicksalsgemeinschaft? So ist es zwischen Weißrussen und Litauern.”
Wenn man sagte, Litauen sei ein Weißrusslandversteher, läge man damit goldrichtig. Deshalb besteht Litauen auf gezielte Sanktionen, die sich gegen Lukaschenko und seine politischen Schergen richten, aber nicht gegen das weißrussische Volk.
Wenn sich die Führer der EU-Länder also an den Ratschluss Litauens in der Frage Weißrusslands hielten, dann würden sie damit alles richtig machen.
ap